Herne.. Vor dem Wanner Rathaus stand im Ersten Weltkrieg ein Häuschen, in dem die Bürger Nägel einschlugen – gegen Gebühr. Das steckte dahinter.


Vor dem alt-ehrwürdigen Wanner Rathaus stand vor über 100 Jahren ein kleines Häuschen, ein weißes Gemäuer mit Säulen, umrahmt von Fahnenmasten und einer Kanone. Auch wenn die Vermutung nahe liege: Das kleine Gebäude, sagt Gerd Biedermann von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“, sei keine Trinkhalle gewesen und auch kein Toilettenhäuschen. Sondern: ein Nagelhaus. Ein was?

Gerd Biedermann, Mitglied der Geschichtsgruppe „Die Vier!“
Gerd Biedermann, Mitglied der Geschichtsgruppe „Die Vier!“ © Unbekannt | FUNKE Foto Services






Zunächst zur Vorgeschichte: Er sei neugierig geworden, als er eine Postkarte mit dem Häuschen vor dem Wanner Rathaus, dem damaligen Wanner Amtshaus, in den Händen gehalten habe — und sei auf Spurensuche gegangen, berichtet Biedermann. Bei seinen Recherchen habe er eine weitere Postkarte aus der Serie entdeckt mit Vermerk auf der Rückseite: „Nagelhaus während des Krieges 1914/18“. Damit sei klar gewesen: Das Häuschen beheimatete ein Kriegswahrzeichen zum „Benageln“.

Alle Bevölkerungsschichten wurden aufgerufen

Das Benageln, also das Einschlagen von Nägeln, sei eine aus heutiger Sicht skurrile, aber effektive Form der Propaganda im Ersten Weltkrieg gewesen, so der Börniger. In Mode gewesen sei es 1915 und 1916. Von Gemeinden und karitativen Organisationen seien dazu Figuren aus Holz, zum Beispiel Ritter und Soldaten, oder regionale und nationale Symbole, darunter Stadtwappen, Eiserne Kreuze und Säulen aufgestellt worden.

Gegen eine Spende hätten die Menschen einen Nagel in die Objekte schlagen dürfen: „Zu den Nagelungen wurden alle Bevölkerungsschichten im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen mit feierlichem Charakter zur Teilnahme aufgerufen“, so der Heimatforscher. Ein eiserner Nagel habe 25 oder 50 Pfennige gekostet. Die eingenommenen Gelder hätten zur Unterstützung von Kriegsopfern gedient, sie seien etwa Hinterbliebenen und Verwundeten zu Gute gekommen.

„Benageln“ gab es auch in Herne-Mitte

So sah die Kriegskarte aus, die ins Nagelhaus vor das damalige Wanner Amtshaus kam.
So sah die Kriegskarte aus, die ins Nagelhaus vor das damalige Wanner Amtshaus kam. © Unbekannt | Unbekannt






Auch in Herne und im damaligen Amt Wanne seien Kriegswahrzeichen zum Benageln aufgestellt worden: vor dem Herner Rathaus am 28. November 1915 der „Eiserne Ritter von Strünkede“ und vor dem Wanner Amtshaus am 16. April 1916 eine großformatige Kriegskarte mit dem Deutschen Reich im Mittelpunkt. Die Wahrzeichen seien mit einer großen gesellschaftlichen Feier eingeweiht worden. Für das Herner Kriegswahrzeichen sei sogar eigens das „Nagel-Lied des Ritters Konrad von Strünkede“ komponiert worden – gedichtet und vertont vom „Barden“ Dr. med. Kristel, schmunzelt Biedermann.

In Wanne seien die Wanner, Eickeler und Röhlinghauser zur „Nagelung“ vor das Wanner Amtshaus aufgerufen worden, und auch die örtliche Presse habe die Bürgerschaft im Interesse des Hinterbliebenen-Fonds aufgerufen, „recht fleißig zu nageln“: „Es gilt das Wohl der Witwen und Waisen unserer Krieger!“ Die Anteilnahme sei groß gewesen, und auch die Freiwillige Feuerwehr Wanne habe sich patriotisch gezeigt: Ende Mai 1916 seien die Mannschaften der einzelnen Abteilungen in voller Ausrüstung zur Nagelung angetreten.

„Nagel-Begeisterung“ ebbte schließlich ab

Vor dem Herner Rathaus stand ein „Nagelritter“.
Vor dem Herner Rathaus stand ein „Nagelritter“. © Unbekannt | Unbekannt






Die Einnahmen seien jeweils nicht entscheidend für den Erfolg der Nagelungen gewesen: „Weit bedeutender war ihre propagandistische Wirkung, da sie den Patriotismus und das Gemeinschaftsgefühl der Menschen ansprachen und so zur Stärkung der ,Heimatfront’ beitrugen“, erklärt Biedermann.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1916 sei die „Nagel-Begeisterung“ dann mehr und mehr abgeebbt, der preußische Innenminister habe im Dezember 1916 schließlich die Einstellung des Nagelns verfügt.

Kanone vor dem Haus stammt aus Belgien

Der Eiserne Ritter von Strünkede ist - gut erhalten – ins Schloß Strünkede gekommen und kann dort in der Dauerausstellung des Emschertal-Museums besichtigt werden. Der Verbleib des Wanner Kriegswahrzeichens, der im Nagelhaus ausgestellten Karte, sei dagegen nicht bekannt, sagt Biedermann.

Eines aber habe er noch herausgefunden: Bei der Kanone vor dem „Nagelhaus“ handelt es sich um eine belgische Beutekanone.