. Das City-Center an der Bahnhofstraße wurde vor 45 Jahren eröffnet. Damals galt es als Sensationsbau. In den 90er Jahren beginnt der Niedergang.

„Einen solchen Ansturm hat Herne noch nicht erlebt“: So berichtet die WAZ über die pompöse Eröffnung des City-Centers vor 45 Jahren. Vor dem Kaufhaus drängten sich am 28. Februar 1973 seit dem Morgen hunderte, vielleicht tausende Menschen, es „herrschte ein beängstigendes Gedränge von Kauf- und Schaulustigen“, heißt es in der Herner Lokalausgabe.

Dann gab es kein Halten mehr. Als die Pforten geöffnet wurden, stürmten die Menschen, unter Bonbon-Regen und Blumen-Salven, ihr neues Einkaufszentrum. Drinnen spielte die Kapelle des II. Queensregiments auf, und Hernes Popstar Jürgen Marcus gab, umringt von jungen Fans, Autogramme.

„Atmosphäre eines Großbasars“

Es waren die 1970er-Jahre, und Herne war stolz auf sein 20 Millionen Mark teures City-Center. Auf einer Grundfläche von 10 000 Quadratmetern öffneten auf zwei Etagen 37 Einzelhandelsgeschäfte von Küper-Damen- und Herrenmode, Die Schallplatte und Kühnke-Zoo bis Siebert-Buchhandel, Kepa und Prenatal. Drüber: ein Wohnhaus mit 100 Wohnungen.

Alle Schaufenster, aneinandergereiht, würden von der Kreuzkirche bis fast zum Bahnhof reichen, hieß es. Was heute selbstverständlich ist, kam in Deutschland damals fast einer Sensation gleich: Alles war unter einem Dach, mitten in der Stadt gelegen und mit dem Personenkraftwagen erreichbar — Herne hat sein „Drive-in-Kaufhaus“.

Glockenspiel in der ersten Etage verschwunden

Anfang der 70er Jahre war das City-Center noch in der Bauphase.
Anfang der 70er Jahre war das City-Center noch in der Bauphase.

150 Tage im Jahr stehe das Barometer in der Bundesrepublik auf „Schlechtwetter“, hieß es zur Eröffnung im damals regelmäßig erscheinendem City-Center-Blatt, der Hauszeitung. Den Hernern könne das egal sein: „Sie wandeln überdacht auf Straßen im trockenen, dazu auf klimatisierten Straßen.“ Und: Beim Flanieren würden sie „an die berühmten Passagen vergangener Zeiten erinnert oder an die anregende Atmosphäre eines orientalischen Großbasars“.

Auch Oberbürgermeister Robert Brauner war angetan. Mit dem City-Center sei „eine städtebauliche Domäne“ geschaffen worden, mit einer imposanten und variantenreichen Gestaltung, sagte er. Und würdigte, dass mit dem (heute verschwundenen) Glockenspiel in der ersten Etage des Mitteltrakts und dem Brunnen des Künstlers Günter Tollmann vor dem Gebäude auch die Kunst Berücksichtigung gefunden habe.

Leise Zweifel auch schon damals

Auch die Ruhr-Nachrichten schwärmten: „Wir können stolz darauf sein, mit diesem City-Center den Anschluss an die großen Städte gefunden zu haben“, schrieb ein Kommentator. Das „Einkaufsparadies der kurzen Wege“ sei „ein echter Knüller in Westdeutschland, kein Zweifel“.

Kein Zweifel? Auch die gab es damals schon, aber leise. Die Außenfassade sei langweilig und könne „nicht gerade begeistern“, hieß es damals in der WAZ. Auch vom „hässlichen Konsumbunker“ war die Rede. City-Center-Investor Heinrich Heiland konnte das nicht schrecken. Er lobte seine „Erlebniswelt“ und sah der „Volksabstimmung“ über sein Haus mit Freude entgegen. Zunächst sollte er recht behalten: Das „CC“, so nannte der sein Einkaufszentrum, brummte, und im Rathaus sorgte sich die Stadtspitze um die Innenstadt-Geschäfte. Die Befürchtung: Die Herner gehen nur noch ins City-Center, die Bahnhofstraße blutet aus.

Niedergang beginnt in den 80ern

Es sollte anders kommen. In den 80-ern, spätestens 90-ern beginnt der Niedergang des City-Centers. Erste Geschäfte finden keinen Nachmieter, Besitzer des Gebäudes wechseln, sie kündigen Nachmieter und Investitionen an, die dann doch nicht kommen.„Wenn wir den 40. Geburtstag feiern, sind wir komplett vermietet“, sagte eine Sprecherin des City-Centers 2010.

Nun steht der 45. Geburtstag an, und das einstige Einkaufsparadies steht in weiten Teilen leer. Aus dem versprochenen Umbau zur „Mall“ wurde nichts, auch die neue Fassade kam nie. Hernes ehemaliger Baudezernent Jan Terhoeven sagte einmal, am besten wäre es, wenn man das Ding in die Luft jage.

Die Gelsenkirchener Engler-Gruppe will das nicht. Sie ist seit 2017 Besitzer der Immobilie. Nun ist sie es, die große Pläne hat mit dem Geburtstagskind.

Früher Standort von Amtsgericht und Bücherei

Bevor das City-Center gebaut wurde, stand an der selben Stelle das alte Amtsgerichtsgebäude, sagt Stadtarchivar Jürgen Hagen. Am 1. Oktober 1892 wurde es eröffnet: „Vier Amtsrichter sprachen zu Beginn dort Recht.“ Schnell aber sei das Gebäude zu klein gewesen. Ein neuer Standort musste her. „Dieser fand sich schließlich ganz in der Nähe des Herner Rathauses auf dem jetzigen Friedrich-Ebert-Platz“, sagt Hagen.

Von 1922 bis 1930, bis die Polizei ins neue Polizeiamtsgebäude ebenfalls auf den heutigen Friedrich-Ebert-Platz umzog, sei das Amtsgerichtsgebäude Heimat der Polizei gewesen. Nachfolger wurde die städtische Bücherei: „Am Eröffnungstag bildete sich eine Schlange von Lesern, die sich mit neuem Lesestoff versorgen wollte“, berichtet Hagen. Kurz darauf habe auch das städtische Museum mit seinen Sammlungen dort seine Zelte aufgeschlagen.

Abriss im Zuge der Stadtsanierung

Im Juni 1936 habe zunächst die Bücherei, im Juli 1937 dann das nunmehr in Emschertal-Museum umbenannte städtische Museum das Gebäude räumen müssen. Grund: „Die SA-Standarte 457 Herne zog ein und machte das alte Amtsgericht zu einer örtliche Machtzentrale der Nazis“, so der Stadtarchivar.

Bevor an dieser Stelle das City-Center entstand, war dort das Amtsgericht.
Bevor an dieser Stelle das City-Center entstand, war dort das Amtsgericht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg seien das städtische Wirtschaftsamt und der britische Stadtkommandant ins einstige Amtsgerichtsgebäude gefolgt; der Stadtkommandant habe von 1945 bis 1951 dort seinen Sitz gehabt. Dann sei an der Bahnhofstraße 7c wieder die Bücherei eingezogen. Auch die 1948 gegründete „Bücherei des deutschen Ostens“ — deren Bestände 1989 von der Martin-Opitz-Bibliothek wurden — sei hinzugestoßen. 19 Jahre später wurden wieder die Umzugskartons gepackt. Die WAZ vom 15. April 1969 klärte unter der Überschrift auf: „Das alte Amtsgericht unter der Spitzhacke - Stadtsanierung hinterlässt kräftige Spuren“.

Oder in den Worten des Stadtarchivars: „Im Rahmen der Stadtkernerneuerung musste das altehrwürdige alte Amtsgericht Platz machen für das City Center“.