Herne. Herne hat auf dem Südfriedhof der Opfer des Nazi-Überfalls auf Russland gedacht. Warum es auch kritische Untertöne und eine gute Nachricht gab.
22. Juni 1941: Das Deutsche Reich überfällt die Sowjetunion, mehr als 27 Millionen sowjetische Bürgerinnen und Bürger sterben in dem von den Nazis geführten Vernichtungskrieg. 80 Jahre später steht der Russe Vladimir Spiridonov auf dem Herner Südfriedhof am Gräberfeld der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter und spricht vor rund 50 Menschen über „einen der tragischsten Tage in unserer Geschichte“.
Der stellvertretende Generalkonsul des russischen Generalkonsulats in Bonn nimmt am Mittwochabend auf Einladung des Fördervereins Mahn- und Gedenkstätte Polizeigefängnis Herne und weiterer Veranstalter (siehe Kasten) an einer Gedenkstunde anlässlich des Angriffs der Nationalsozialisten auf die Sowjetunion teil. „Das ist eine große Ehre für mich“, sagt Spiridonov.
Vertreter Russlands plädiert für Zusammenarbeit und Vertrauen
Der Krieg habe tiefe Spuren im Schicksal der Völker der Sowjetunion hinterlassen: „Er ist untrennbar mit der Geschichte jeder russischen Familie verbunden.“ Die Ereignisse ließen eine Reihe wichtiger historischer Schlussfolgerungen zu, von denen die wichtigste sei, dass gemeinsame Sicherheit nur durch Zusammenarbeit, gegenseitiges Vertrauen und gemeinsame Anstrengungen der Staaten erreichbar sei.
Auch Norbert Arndt vom Förderverein und der SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel verleihen ihrer Trauer über die schrecklichen Verbrechen Ausdruck und betonen den daraus erwachsenen Auftrag: der Sicherung von Frieden und Verständigung zwischen den Völkern. Doch auch kritische Worte werden laut. „Es ist beschämend, aber gleichsam bezeichnend und von interessierter Seite politisch wohl kalkuliert, dass das Andenken gerade an die sowjetischen Opfer des Faschismus in unserem Land von so untergeordneter Rolle ist“, sagt Arndt.
SPD-Politiker kritisiert Russlands Haltung gegenüber der AfD
Serdar Yüksel findet ebenfalls in einem Punkt kritische Worte, was nicht von allen Teilnehmern gutgeheißen wird, wie sich nach der Gedenkstunde offenbaren wird. Der Landtagsabgeordnete reagiert in seiner Rede auf Aussagen Spiridonovs, der darüber klagte, dass die Lehren der Geschichte leider oft ignoriert würden und die Nazi-Ideologie von manchen weiterbetrieben werde. Er habe kein Verständnis dafür, so Yüksel, dass Russland Rechten ein Forum biete und deutsche AfD-Delegationen in Moskau gerngesehene Gäste seien.
Wie Mahnen und Gedenken in der Gegenwart aussehen kann, dokumentiert Rolf Dymel in seinem Redebeitrag. Der Vorsitzende des Fördervereins spricht über die schreckliche Geschichte des Polizeigefängnisses am Rathausplatz in Herne-Mitte, das der Gestapo in den letzten Kriegsjahren als Sammelplatz insbesondere für geflüchtete osteuropäische Zwangsarbeiter diente. Auf unfassbare Sterbefälle sei die DGB-Geschichtswerkstatt in ihren Nachforschungen gestoßen, so Dymel.
Eigentümerwechsel: Mahn- und Gedenkort rückt offenbar näher
Es bedürfe noch vieler Nachforschungen über die Hintergründe der getöteten Häftlinge, dem Verhalten der Herner Bevölkerung sowie zu zahlreichen weiteren Aspekten dieses furchtbaren Kapitels, erklärt er. Dafür wird nun offenbar eine Grundlage geschaffen, denn: Der jahrelang Kampf des Fördervereins für eine Mahn- und Gedenkstätte Polizeigefängnis trägt wohl Früchte, wie Serdar Yüksel am Rande der Veranstaltung gegenüber der WAZ andeutet.
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Zur Erinnerung: Der landeseigene Bau- und Liegenschaftsbetrieb hat als Eigentümer des Gebäudekomplexes am Friedrich-Ebert-Platz bisher alle Forderungen nach einem Mahn- und Gedenkort zurückgewiesen. Yüksel, der sich als Vorsitzender des NRW-Petitionsausschusses hinter das Anliegen der Herner Initiative gestellt hat, berichtet, dass es einen neuen Eigentümer gebe, der dem Ansinnen des Fördervereins „eine besondere Bedeutung“ beimessen werde. Er gehe davon aus, dass die Öffentlichkeit nach der Sommerpause informiert werde.
>>> Vier Veranstalter
Vier Veranstalter zeichneten für die Gedenkstunde verantwortlich: der Trägerverein Mahn- und Gedenkstätte Polizeigefängnis Herne, die DGB- Geschichtswerkstatt Herne, das Schülerprojekt „Kohlengräberland“ der Erich-Fried-Gesamtschule und die Herner Friedensinitiative.
Vier Kränze wurde auf dem Gräberfeld des Friedhofs abgelegt: von Rat- und Verwaltung, Linkspartei, DGB sowie vom russischen Generalkonsulat.