Herne. In Herne gab es einst eine stolze Wassermühle, die zu einem Adelssitz gehörte. Heute ist sie eine Ruine. Und doch offenbart sie Überraschendes.

In der Nähe des Tierparks Gysenberg stehen am Oberlauf des Ostbachs die Reste eines Gebäudes. Mauern, gehalten durch Stahlträger, klaffen ins Leere, Farbe bröckelt, zwei übrig gebliebene Fenster haben längst keine Scheiben mehr. Im Zentrum thront, ganz in Gelb, ein Mühlenmahlwerk und davor im Boden: eine Glasplatte, die Einblick gibt in den Keller. So zeigt sie sich heute, die Ruine der einst stolzen Wassermühle des Adelssitzes Gysenberg.

Dabei war das alt-ehrwürdige Fachwerkhaus schon komplett für die Nachwelt gerettet. Aber der Reihe nach. Die Wassermühle im Gysenberger Wald, sagen Gerd Biedermann und Jürgen Hagen, Mitglieder der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“, sei für die Bauerschaft früher von großer Bedeutung gewesen. „Eine schöne und einträgliche Mühle“ sei sie, habe schon 1757 der Pfarrer und Historiker Johann Diederich von Steinen festgestellt.

Mahlgenossen mussten die Wassermühle nutzen

Nur noch eine Ruine ist die ehemalige Mühle heute. Eine Glasplatte auf der Terrasse gibt Einblick in das Mahlwerk im Untergeschoss.
Nur noch eine Ruine ist die ehemalige Mühle heute. Eine Glasplatte auf der Terrasse gibt Einblick in das Mahlwerk im Untergeschoss. © Gerd Biedermann

Und in der Tat: In der alten Bauerschaft Gysenberg habe es einen „Mühlzwang“ gegeben, erklärt Hagen, der auch Stadtarchivar ist. Heißt: Ein fester Kreis von 43 Mahlgenossen sei gezwungen gewesen, sein Korn ausschließlich in dieser Mühle mahlen zu lassen. Mit diesem Mühlzwang sei die Auslastung der Mühle gewährleistet worden, was wiederum die Einkünfte des Grundherrn gesichert habe.

So sei beispielsweise für das Jahr 1721 ein Jahresertrag von 4 Reichstalern und 50 Stübern erzielt worden. „Damit konnte immerhin eine Köchin für ein halbes Jahr entlohnt werden“, sagt Hagen. Mit dem Wegfall der Leibeigenschaft Anfang des 19. Jahrhunderts sei diese sprudelnde Einnahmequelle dann weggefallen. Fortan habe jeder selbst wählen können, welche Mühle er nutzt. Es entstanden zahlreiche neue Mühlenbetriebe und die Gysenberger Mühle musste sich ungewohnter Konkurrenz stellen, sagt Hagen.

Betrieb bis nach dem Zweiten Weltkrieg

Doch der Betrieb sei noch viele Jahrzehnte weiter gegangen. Der letzte tätige Müller der Gysenberger Mühle sei ein gewisser Johannes Höltmann gewesen, der die Mühle noch nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben habe, so die Mitglieder der Geschichtsgruppe. Danach sei das Fachwerkhaus gastronomisch genutzt worden: „Es gibt zu wenig Imbissmöglichkeiten in diesem Bereich“, habe der Unternehmer Pelani in den Ruhr-Nachrichten vom 4. Mai 1971 klar gestellt - und mit einem Selbstbedienungsimbiss die Marktlücke im Gysenberg selbst geschlossen. „Tische und Stühle im Außenbereich sowie ein Bootsverleih zur Erkundung der ehemaligen Mühlteiche rundeten das Angebot ab“, berichtet Biedermann.

Die weiteren Teile der WAZ-Serie „Herne historisch“

In den 1970er Jahren war ein Schnellimbiss in dem Gebäude untergebracht.
In den 1970er Jahren war ein Schnellimbiss in dem Gebäude untergebracht. © Stadtarchiv

Nicht jeder aber sei mit der Umwidmung der historischen Mühle zur Verpflegungsstelle für hungrige Mäuler einverstanden gewesen. Jürgen Hagen verweist auf einen alten WAZ-Artikel: „Altes Mahlwerk verrottet neben Affenküche“ titelte die WAZ vom 17. Februar 1982 und bemängelte demnach, dass das historische Fachwerkhaus als Imbissbude „höchst profan“ genutzt werde.

Das habe der Heimatforscher Günter Habijan nicht hinnehmen wollen. Er richtete laut Biedermann und Hagen einen Appell an die Stadt, das geschichtsträchtige Fachwerkhaus komplett unter Denkmalschutz zu stellen. Mit Erfolg: 1986 sei die Mühle in die Liste der Baudenkmäler eingetragen worden.

Restauriertes Gebäude brannte aus

1990 schließlich begann die langwierige und schwierige Restaurierung des historischen Gebäudes. Und dann kamen die Flammen: Durch Brandstiftung sei das Holzfachwerk 1997 vom Erd- und Dachgeschoss über die Holzbalkendecke und das Kellergeschoss vollständig zerstört worden. „Ein Wiederaufbau des Mühlengebäudes war nicht realisierbar, mit der Konsequenz, dass es aus der Denkmalliste fiel“, sagt Hagen. Immerhin: Das Mahlwerk sei mit Ausnahme geringfügiger Beschädigungen weitestgehend erhalten geblieben. Da die Mühlen-Technik nur noch bei vier weiteren Ruhrgebietsmühlen zu finden sei, habe sich unter anderem der Münsteraner Landeskonservator energisch für eine Instandsetzung der noch erhaltenen Anlagen eingesetzt.

Gut erhalten ist das historische Mahlwerk im Untergeschoss, hier ein Blick in den Innenraum, der nicht zugänglich ist.
Gut erhalten ist das historische Mahlwerk im Untergeschoss, hier ein Blick in den Innenraum, der nicht zugänglich ist. © Gerd Biedermann

„Mit Erfolg, die Mühle wurde nun unter veränderten Bedingungen hergerichtet“, so Biedermann. Spaziergänger könnten nun zumindest von außen einen Blick auf das Wasserrad werfen. Eine im Boden eingelassene Glasplatte soll die Sicht auf die Technik des Mahlwerkes ermöglichen - was zurzeit aber wegen der starken Verschmutzung des Glases schwierig sei, sagt er.

Und betrete man den Gebäudeaufbau, der das ehemalige Mühlenfachwerkhaus repräsentieren soll, offenbart sich das technische Innenleben in beeindruckender Weise, wie Gerd Biedermann bei seinen Recherchen feststellen konnte. „Auch wenn von der historischen Gysenberger Mühle lediglich ein Überrest verblieb, vermittelt dieses technische Denkmal doch recht eindrucksvoll, wie in früheren Zeiten die Wasserkraft genutzt wurde“, meint Biedermann.

Besitzer war zunächst Adelsfamilie

Die Mühle gehörte zunächst der adeligen Familie von Gysenberg und gelangte später in den Besitz der Grafen von und zu Westerholt, berichten Gerd Biedermann und Jürgen Hagen von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Graf Egon Franz von und zu Westerholt habe den Gysenberger Wald 1927 an die Stadt Herne verkauft. Die 1721 erstmalig urkundlich erwähnte Mühle habe mit zum Inventar gehört.

Das Gebäude und die technische Einrichtung stammten demnach ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert und seien 1903 zu einem Fachwerkhaus mit ausgebautem Satteldach umgebaut worden. Die Mühle am Oberlauf des Ostbachs - oder der „Schmedebecke“, wie der Bach früher genannt wurde - sei zunächst durch zwei große, heute noch existierende, Stauteiche betrieben worden. Der Wasserbetrieb endete 1908, dann sei auf Maschinenbetrieb umgestellt worden.