Herne. Heute nennt man sie legendär, sie gab Wanne ein gewisses Flair im Ruhrgebiet: die Kaiserpassage. Die Geschichte der „Shoppingmall“ war aber kurz.

Städte, die Einkaufsstraßen mit einer Überdachung aus Glas hatten, galten als mondän, hatten einen Ruf in der Welt. Im 19. Jahrhundert entstanden die ersten Passagen erst in Paris, London und Brüssel, dann auch in Deutschland. Die erste Glaspassage im Ruhrgebiet entstand in – Wanne.

Das Glasdach in Wanne, erzählt Roland Schönig von der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“, thronte über der heutigen Mozartstraße. Die ersten zehn Häuser am Rande der heutigen Hauptstraße in Wanne-Mitte seien zwischen 1904 und 1905 gebaut und überdacht worden. Mit der Errichtung von zwei weiteren Häusern im Jahr 1912 sei das Prestigeprojekt abgeschlossen worden. Das Glasdach sei laut Plan von 1910 „verlängert“ worden.

Ungewöhnlich: Mehrere Architekten und Bauherren waren am Werk

So sah sie aus, die Kaiserpassage in Wanne.
So sah sie aus, die Kaiserpassage in Wanne. © Unbekannt | Stadtarchiv Herne


Über das Gesamtkonzept der Passage sei wenig bekannt, erzählt Schönig. Sicher sei aber, dass sie von der Witwe Elisabeth Brauckmann aus der Stöckstraße in die Wege geleitet wurde. Sie habe das Gelände von finanzkräftigen Geschäftsleuten zwischen 1904 und 1912 bebauen lassen.

„Die zwölf dreieinhalbgeschossigen Wohn- und Geschäftshäuser mit ihren reinen Jugendstilfassaden bilden ein städtebaulich interessantes Ensemble“, sagt Schönig. Im Gegensatz zu anderen Passagen sei diese aber nicht als ein Baukörper entstanden. Vielmehr hätten mehrere Architekten und Bauherren die Häuser innerhalb eines Rahmenkonzeptes einzeln geplant: „Jedes Gebäude ist in Fassade und Grundriss von den anderen unterscheidbar.“ Die Passage sei in der Form eines gerade durchgehenden Raumes mit einer Laufebene und einem ovalen Zentralraum angelegt worden. Drüber kam das Dach aus Glas und Stahl.

Die neuartige Glasspassage verband die im Aufbau befindliche Hauptgeschäftsstraße, die damalige Bahnhof- und heutige Hauptstraße, mit dem nahe gelegenen Park, erzählt Schönig. 1900 als Kaisergarten eröffnet, sei der Park nach dem Ersten Weltkrieg in Stadtgarten umbenannt worden. Die Glaspassage habe im Juni 1905 den Namen Kaiserpassage erhalten, erst später, als Wanne-Eickel im April 1926 zur Stadt wurde, sei die Kaiserpassage in Mozartstraße umbenannt worden.

Riesige Kaiserkrone und Hohenzollernadler am Eingang

Vorgänger von Warenhäusern



Passagen sind Vorgänger von Warenhäusern, kleine „Shoppingmalls“. Sie bieten Verkehrserleichterungen in Städten, Abkürzung für Fußgänger, Schutz vor Witterung und natürlich Geschäfte und Gastronomien.

Von 1842 bis 1845 wurde in Hamburg der Sillem´s Bazar, 1863 in Köln die Königin-Augusta-Halle, 1869 bis 1873 die Kaisergalerie in Berlin und 1887 die Kaiser-Passage in Karlsruhe gebaut, berichtet Roland Schönig von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Die Glaspassage in Wanne sei nach der Kaiser-Wilhelm-Passage in Frankfurt (1900) und der Georgspassage in Hannover (1901) entstanden.

Der Eingang zur Kaiserpassage, das zeigen historische Bilder eindrucksvoll, wurde durch eine riesige Kaiserkrone, dem Wort „Kaiser-Passage“ sowie Hohenzollernadler auf dem Dach verziert. Flankiert worden sei der Zugang von zwei jüdischen Geschäften, gelegen an der heutigen Hauptstraße 293 und 295: Im Dachgeschoss des Geschäftshauses auf der Hauptstraße 293, dem Warenhaus von Abraham Weinberg, sei früher ein Heim des jüdischen Wanderbundes, eine Jugendbewegung, untergebracht gewesen. „Aus historischer Sicht ist die jetzige Mozartstraße ein Beleg für die christlich-jüdische Kooperation während der Kaiserzeit und der Weimarer Republik“, meint Schönig.

Roland Schönig von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“.
Roland Schönig von der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann


Erfolgreich sei die Kaiserpassage aber nicht gewesen, so das Mitglied der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Der zeitliche Abstand, in dem die zwei letzten Gebäude der Wanner Passage entstanden seien, lasse darauf schließen, dass die dortigen Geschäfte schon in den ersten Jahren ihres Bestehens nicht den gewünschten Geschäftserfolg hatten. Die Ladenräume seien zum Teil nach einiger Zeit umgenutzt worden. So sei etwa im Januar 1914 die Volksbücherei Wanne 1 ins Haus Nr. 8 eingezogen, 1919 auch der Arbeiter- und Soldatenrat in die Ladenräume im Haus Nr. 7.

Und dann war die Passage Geschichte

Das Ende für die mondäne Passage kam schnell. Das Glasdach, erzählt Schönig, sei wohl schon in den 1920er Jahren entfernt worden. „Zu große Verschmutzung und mangelnder Lichteinfall waren die Gründe“, erklärt er. Soll heißen: Zechenruß und Taubendreck machten dem Dach den Garaus, deshalb kam es weg; eine regelmäßige Reinigung schien den Verantwortlichen offenbar zu aufwendig. Die Passage war Geschichte. Es sollte die bislang einzige in Wanne-Eickel und Herne sein.

Ein Blick in die Mozartstraße mit ihren Jugendstilfassaden heute.
Ein Blick in die Mozartstraße mit ihren Jugendstilfassaden heute. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Die weiteren Teile der WAZ-Serie „Herne historisch“

1. City-Center: Vom „Knüller“ zum Sorgenkind2. Kraft-Messing-Platz: Platz gab es nur für wenige Jahre3. Wanner Hundewiese: Wo es in Wanne einst die „Hundewiese“ gab4. Hotel Schlenkhoff: In Herne-Mitte stand einst das erste Haus am Platze5. Willi Henkelmann: Herner lösen Rätsel um Tod des berühmten Rennfahrers6. Margarethe Henkel: Als Herne sein „historisches Baby“ feierte7. Horststadion: Stadion erlebte viele packende Wettkämpfe8. Möllertunnel: Unterführung wurde geliebt und gehasst9. Nagelhaus: Als die Menschen Nägel in Wahrzeichen schlugen10. Herner Herdfabrik: Vor 45 Jahren war der Ofen endgültig aus11. Feuer zerstörte einst die historische Wassermühle in Herne12. So riss Wanne-Eickel das Haus Bönninghausen ab13. Teckelbahn war in Europa einzigartig14. 100.000 Einwohner: Ein Baby macht Wanne-Eickel zur Großstadt15. Ein Weltstar aus Herne – Kurt Edelhagen vor 100 Jahren geboren16. Bummeln mit Flair: Kaiserpassage gab Wanne einen mondänen Anstrich17. Der Stichkanal: Kanal verband Herne mit dem Schiffshebewerk Henrichenburg18. Von Kaufmann bis Hertie: Das waren die Kaufhäuser in Herne19. Herne in Trümmern: 1945 knurrte bei den Menschen der Magen20. Bau des Bahnhofs sorgte für Chaos in der Stadt21. Vor 65 Jahren öffnete das Kinderkurheim in Hammelbach22. XXL-Entertainment-Center wird zur riesigen Bauruine23. Das Schicksal der „Käseglocke“24. Bürgerentscheid: Herner wollten zwei Schwimmbäder retten25. Ruhrbesetzung – was Soldaten über Herne nach Haus schrieben26. Als Herne einen Flugplatz mit Luftschiff hatte27. Mond von Wanne-Eickel: Als ein Lied die Stadt berühmt machte28. Stadt Herne macht Gysenberger Wald zum Naherholungsgebiet29. Mit allen Schikanen: Feuerwehr in Herne bezieht neue Wache30. Herne: Bei alten Luftbildern werden Erinnerungen wach31. Alte Luftbilder zeigen Herne in den 50er und 60er Jahren


Überlegungen ab den 1980er Jahren, die legendäre Passage mit einem neuen Glasdach wieder „aufleben“ zu lassen, scheiterten. Der Herner Architekt Jens Blome hatte in der Bezirksvertretung Wanne einen entsprechenden Antrag gestellt und eigene Ideen eingebracht. Ihm schwebten Bekleidungsgeschäfte, Boutiquen und ein Café in den Jugendstilhäusern der neuen Passage vor, erzählte er damals der WAZ. Vergeblich: „Nach anfänglicher Begeisterung ist die Sache dann irgendwie im Sande verlaufen“, sagte er Jahre später ebenfalls in einem Gespräch mit der WAZ.