Herne. Vor 95 Jahren kaufte die Stadt Herne den Gysenberger Wald und schuf ein Naherholungsgebiet. Bei der Erschließung gab es eine große Überraschung.

  • Die Stadt Herne erlebte beim Kauf des Gysenbergs eine Überraschung.
  • Bei Arbeiten wurden Hügelgräber gefunden.
  • Geöffnet worden sind sie nie.

Vor 95 Jahren, im September 1927, hat die Stadt Herne den Gysenberger Wald gekauft. Eigentümer war bis dahin ein gewisser Graf Egon Franz von und zu Westerholt. Aus dem Gysenberg machte die Stadt ein großes Naherholungsgebiet – ganz im Sinne des Kreisausschusses zu Dortmund, der 1919 das Anlegen von Volksgärten angeregt hatte. Bevor die Hernerinnen und Herner aber in das Grün pilgern konnten, gab es bei der Stadt hinter den Kulissen große Aufregung. Bei den Arbeiten wurden nämlich Hügelgräber gefunden.

Das neue Naherholungsgebiet sei von den Hernerinnen und Hernern dankbar angenommen worden, sagt Stadtarchivar Jürgen Hagen. Allerdings hätten sie zunächst nur die bereits vorhandenen Wege nutzen dürfen: „Die Erkundung des noch unerschlossenen Waldes war bis zur Erschließung strikt untersagt.“ Aus gutem Grund, denn Förster Wilhelm Lindemann sei „berechtigt und verpflichtet“ gewesen, „das Raubwild weiter abzuschießen“, wie es damals hieß. Darüber hinaus habe der Rentmeister Galland noch bis Mitte Januar 1928 das Recht gehabt, im Gysenberger Wald zu jagen.

Herne Gysenberg: Herrliche Aussichten auf die Umgebung

Kurz nachdem der Gysenberg zum Naherholungsort wurde: hier „Anlagen am Gysenberg“, eine Postkarte um 1929.
Kurz nachdem der Gysenberg zum Naherholungsort wurde: hier „Anlagen am Gysenberg“, eine Postkarte um 1929. © Stadtarchiv Herne

Der Wald sollte den Menschen dann im Frühjahr 1928 „im vollen Umfang“ als Erholungsstätte dienen. Dazu habe es drei Bauabschnitte gegeben. Für die Fußgänger sei ein ausgedehntes Wegenetz vorgesehen gewesen, erzählt Hagen, der auch Mitglied der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“ ist. Die alten Bezeichnungen der vorhandenen unbefestigten Wege wie etwa „Ölberg“, „Stechkamp“, „Bergmannsallee“, „Seufzerallee“ oder „Kraneberg“ seien dabei beibehalten worden. An mehreren Wegen seien Ruheplätze mit Bänken geschaffen worden. „Geschwärmt wurde von herrlichen Aussichten auf Herne, Sodingen, Herten und Recklinghausen bis zur Haard“, erklärt Hagen. Aber auch der Blick auf die Zechenanlagen Mont Cenis und Constantin der Große sowie die Tagesheilstätte der Stadt Herne seien von den Gründervätern als sehenswert hervorgehoben worden.

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Der Waldbestand sei mit Unterholz und durch Aufforstung ergänzt und am Forsthaus sei eine „Trink- und Unterkunftshalle“ sowie eine „kleine Bedürfnisanstalt“ eingeplant worden. Angeboten werden durfte dort zunächst allerdings nur Milch und Kuchen, so der Stadtarchivar. Die Bewirtung übernahm – Förster Lindemann persönlich.

Schon im Volksmund hießen die Hügel die „sieben heidnischen Hügel“

Verantwortlich für die Erschließung des Gysenberger Waldes: der Beigeordnete und Stadtbaurat Heinrich Knöll, hier 1925.
Verantwortlich für die Erschließung des Gysenberger Waldes: der Beigeordnete und Stadtbaurat Heinrich Knöll, hier 1925. © Heinz-Dieter Knöll

Anfang Januar 1928 habe die Stadt bei den Arbeiten fürs Naherholungsgebiet eine bedeutende Entdeckung gemacht: Hügelgräber im Gysenberg! Diese Hügelgräber seien, nachdem der für die Erschließung verantwortliche Stadtbaurat Heinrich Knöll informiert wurde, von Hernes Museumsdirektor Karl Brandt angeschaut worden. Dabei kam heraus: Ganz unbekannt gewesen seien die Bodenerhebungen nicht, nur bei der Stadt habe das Ganze für Aufsehen gesorgt. „Förster Lindemann erklärte, dass die Hügel schon im Volksmund als die ,sieben heidnischen Hügel’ bezeichnet worden seien“, sagt Hagen. Bereits früher sei laut Lindemann eine Untersuchung der Hügel geplant gewesen, es habe sich aber niemand gefunden, der die Kosten der Erdarbeiten übernehmen wollte.

Schnell habe es eine Besichtigung der Bodenaufschüttungen mit dem vom Provinzialkonservator von Westfalen beauftragten Assistenten für Vor- und Frühgeschichte des Landesmuseum Münster, Dr. Stieren, gegeben. Stieren habe festgestellt, dass die Grabanlage aus der Frühbronzezeit, also etwa aus den Jahren 1800 bis 1700 Jahre vor Christus, stammt. „Wegen der Einzigartigkeit empfahl er möglichst Schonung und vorerst Geheimhaltung, damit der Wald nicht überlaufen würde“, so der Stadtarchivar. Bei einer anschließenden Besichtigung des Heimatmuseums habe Stieren Museumschef Brandt deshalb aufgegeben, „über die aufgefundenen Hügelgräber im Giesenbergerwald weder etwas zu sprechen noch zu schreiben”. Brandt habe dies zugesagt.

Herne hat die einzigen noch erhaltenen Gräber dieser Art im Ruhrgebiet

In Brandts Berichten ist laut Hagen von zwölf Hügelgräbern die Rede, allerdings seien heutzutage nur elf im Gelände sichtbar. Und diese seien etwas Besonderes: „Die Grabhügel im Gysenberger Wald sind die einzigen noch erhaltenen Gräber dieser Art im Ruhrgebiet.“ Laut Einschätzung von Stieren habe es östlich der Fundstelle früher eine große Anzahl weiterer Hügelgräber gegeben. Diese seien aber nach Auskunft von Förster Lindemann zwischen 1868 und 1878 durch die landwirtschaftliche Nutzung zerstört worden. Mit den Hügelgrabanlagen hätten die bronzezeitlichen Siedler ihr Einflussgebiet markiert. Der gute Zustand der noch vorhandenen Hügelgräber-Gruppe sei allein dem gräflichen Privatbesitz zu verdanken gewesen.

Geöffnet worden seien die Hügelgräber aber nie, sagt der Stadtarchivar. Zu aufwendig und zu teuer – vor allem angesichts des Umstands, dass nach Einschätzung der Experten dort keine archäologischen Artefakte im Boden zu erwarten gewesen seien. Die Westfälische Landeszeitung schrieb im März 1939, dass die Erdhügelgräber „verflacht und kaum zu erkennen“ seien. Immerhin: Die Eintragung der geretteten Hügelgräber in die Denkmalliste sei am 12. Februar 1992 erfolgt.

Der Bereich der Hügelgräber heute.
Der Bereich der Hügelgräber heute. © Stadt Herne | Untere Denkmalbehörde

Vom Naherholungsgebiet bis zum Revierpark Gysenberg

Zurück zur Erschließung des Gysenberger Waldes: Das Naherholungsgebiet habe wie geplant im Frühjahr 1928 für die Bevölkerung offiziell geöffnet werden können, wenn auch zunächst – bedingt durch fehlende finanzielle Mittel – in abgespeckter Form. In den Folgejahren sei aber weiter an die Attraktivität der Naherholungsstätte gearbeitet worden. Ein besonderes Highlight sei schließlich die Eröffnung des Tierparks im Juni 1934 gewesen.

Stadtarchivar in Herne: Jürgen Hagen.
Stadtarchivar in Herne: Jürgen Hagen. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

„In den 1960er Jahren“, so Hagen, „hatte sich der Stadtwald zu dem entwickelt, was die Stadtväter sich 1927 beim Kauf des Gysenberger Waldes zum Ziel gesetzt hatten.“ Wanderer und Spaziergänger nutzten ihn intensiv zur Erholung, und die Gartenwirtschaften Galland, Kranenberg und Forsthaus seien entstanden, ebenso eine Minigolfanlage und andere kleine Attraktionen. Eine Bereisungskommission des damaligen Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk habe schließlich die Standortvorteile des Areals erkannt – und so bekam Herne den Zuschlag für den ersten Revierpark im Ruhrgebiet im Gysenberg, der 1970 eröffnete.

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