Herne. Weihnachten 1945 nach dem Krieg in Herne und Wanne-Eickel: Wer überlebt hatte, feierte in Trümmern. Es war dunkel, der Magen knurrte.

Vor 75 Jahren blieben viele Gabentische leer. Weihnachten 1945 herrschte wieder Frieden, endlich, aber Herne und Wanne-Eickel lagen in Trümmern. Viele Menschen plagten sich mit Krankheit und Hunger, hatten kein eigenes zu Hause, Familienmitglieder waren tot, in Gefangenschaft oder auf der Flucht. Aber sie selbst waren am Leben.

„Weihnachten 1945 knurrte der Magen und die Straßen waren dunkel“, sagt Alina Gränitz vom Herner Stadtarchiv. Die Familie habe sich zu Hause um die „Brennhexe“ versammelt, einem einfach hergestellten Ofen oder Herd, der mit Holz, Torf oder Kohle beheizt worden sei: „Der Strom war rationiert, jeder Haushalt bekam eine bestimmte Menge an Kilowatt zugeteilt.“

Lebensmittel waren streng rationiert

Weihnachtsbäume habe es auch in Herne und Wanne-Eickel nur auf Bezugsschein gegeben, und nur Familien mit Kindern unter sechs Jahren hätten sich an weihnachtlichem Kerzenschein erfreuen dürfen: Nur diesen Haushalten sei eine Sonderration von sechs Weihnachtskerzen, zwei Adventskerzen oder einer Haushaltskerze zugeteilt worden. „Von einem festlichen Weihnachtsmahl konnte bei streng rationierten Lebensmitteln ebenfalls keine Rede sein“, so Gränitz, im Stadtarchiv Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste und auch Mitglied der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“.

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Weihnachtsgeschenke? Die waren Mangelware: „Wer seinen Lieben etwas schenken wollte, konnte dies nur über ein Tauschgeschäft hinbekommen“. So seien Bücher gegen Damenstrümpfe getauscht worden, ein Puppenschrank gegen ein Unterkleid, ein Zimmerofen gegen einen Kinderwagen oder eine Geige gegen einen Haushaltsgegenstand.

Nichts war geblieben von der "Deutschen Weihnacht" der Nationalsozialisten

Das riskante Hamstern von „Überlebensmitteln“ sowie der gefährliche Genuss gepanschten Alkohols hätten zu Weihnachten 1945 ebenfalls zum Bild gehört. 1945 sei da keine Ausnahme gewesen: „Auch die Folgejahre waren bestimmt von Verzicht, Schwarzmarkt, Kriegsheimkehren und Flüchtlingen“, sagt Gränitz.

Weihnachten 1945 hat somit eine Zäsur dargestellt. Nichts sei im Dezember 1945 noch geblieben von der „Deutschen Weihnacht!“, wie sie die Nationalsozialisten propagiert hätten. Wie bei anderen Festen hätten die Nazis versucht, auch Weihnachten in ihrem Sinne umzuwandeln. Gränitz verweist auf die Arbeit „Örtliche Feste im Nationalsozialismus am Beispiel der Stadt Herne“, verfasst 2001 von Thomas Reinke, dem heutigen Fraktionschef der Grünen im Rat. Die Nazis hätten versucht, das Weihnachtsfest "in ein Fest der Nächstenliebe, der Gemeinschaft und des Lichts umzuwandeln", heißt es da. Auch das Verteilen von Geschenken an Bedürftige habe für die "Großzügigkeit" der Partei hergehalten. Doch den christlichen Ursprung hätten die Nazis - "trotz aller Bemühungen und Vorschriften" - nicht aus den Köpfen der Menschen entfernen können, so Reinke.

Erstes Weihnachten nach dem Krieg als Flüchtling in Dänemark

Eine von denen, die ihr erstes Weihnachten nach dem Krieg nicht zu Hause feiern konnten, ist Brigitte Unterberg aus Wanne-Eickel. Auf der Flucht aus Pommern, wohin sie als Kind „umquartiert“ worden war, sei sie im März 1945 als 15-Jährige vor der Roten Armee geflüchtet, erzählt die heute 90-Jährige. Über „die Hölle Gotenhafen“ sei sie mit ihrer Mutter und den beiden Brüdern mit dem letzten Schiff, der „Deutschland“, über die Ostsee nach Dänemark entkommen. Untergebracht gewesen seien sie in Kopenhagen in einem Heim der Freimaurerloge. Dort habe sie auch Heiligabend gefeiert. „Kaum zu fassen, dass es wieder einen strahlenden Weihnachtsbaum für uns gab, einen Gabentisch mit Spenden von lieben Mitmenschen, die Erbarmen mit uns hatten“, sagt Brigitte Unterberg. Sogar ein Geschenk gab es: „Ich freute mich diebisch über ein paar Riemchenschuhe.“

Nein, fröhlich seien sie nicht gerade gewesen - aber dankbar. „Von Tellern mit Nüssen und Lebkuchen konnten wir nur träumen, aber die Lagerleitung bemühte sich, uns ein wenig Feststimmung zu vermitteln“, erzählt sie. Die Lagerleiterin sei „ein Engel“ gewesen, sie habe für die Flüchtlinge getan, was sie konnte. Auch das: Zur Feier des Tages gab es eine Hühnersuppe. Erst ein Jahr später kam Brigitte Unterberg zurück nach Röhlinghausen. 1950 fing sie bei der WAZ in Wanne-Eickel als Sekretärin an, bekam später sechs Kinder. Heute lebt sie im „betreuten Wohnen“ der Diakonie in Witten.

Mit der Währungsreform wurde Weihnachten üppiger gefeiert

Dass Weihnachten wieder üppiger gefeiert werden konnte, habe sich erst mit der Währungsreform und der Einführung der Deutschen Mark Mitte 1948 geändert, sagt Alina Gränitz. Die Auslagen der Geschäfte seien plötzlich prall gefüllt gewesen, so der damals zwölfjährige Herner Friedrich-Wilhelm Barkowski. Die neu gewonnene Kaufkraft habe auch auf die weihnachtliche Bahnhofstraße ausgestrahlt: „Nach dem Kupfernen der Silberne“ titelte der Herner Stadtanzeiger am 13.12.1952 und erklärte, dass die Weihnachtswerbung auf vollen Touren gekommen sei und dass die Käuferschaft „Nützliches“ bevorzuge.

Kupferne und Silberne? „Das waren zwei verkaufsoffenen Sonntage drei und zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest“, erklärt das Mitglied der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Nun seien auch Weihnachtsbäume aufgestellt und festliche Beleuchtungen in Form von hell strahlenden Glocken entlang der Bahnhofstraße angebracht worden. Ein Großteil der Kaufmannschaft habe ihre Schaufenster feierlich dekoriert.

Das Möbelkaufhaus Heiland, dessen Eigentümer Heinrich Heiland später das City Center errichtete, habe sogar einen Ausstellungswagen zu einem Knusperhäuschen mit Märchendarstellungen umgestaltet. Die Lichterglocken seien später von Sternkristallen abgelöst worden.

„So oder so kam die städtische Weihnachtsbeleuchtung in der Öffentlichkeit gut weg“, stellt Alina Gränitz fest. Im Dezember 1954 attestierte beispielsweise die Westfälische Rundschau nach einer „Studienfahrt durchs Ruhrrevier“, dass die Festillumination der „Weihnachtsstadt Herne“ eine der schönsten weit und breit sei. Im Gegensatz hierzu wirkten die Essener Lichtwochen nur kitschig, hieß es.

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