Hattingen. Der Auftakt des Altstadtfests Hattingen wird 1975 zum Fiasko: Dauerregen vermiest die Laune. Doch die Stimmung hellt sich auf – bis zur Euphorie!

Die Ansage von Bürgermeister Willy Brückner ist eindeutig: „Altstadtfest wiederholen!“ sagt er an diesem 13. Juli 1975 unmissverständlich. Gerade ist die erste Auflage über die Bühne gegangen und die Besucher sind begeistert: „Jaaaaaaa, bitte!“

+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Hattingen verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. Jeden Abend schicken wir Ihnen die Nachrichten aus der Stadt per Mail zu. +++

Der Bunte Abend auf dem Kirchplatz lockt am Samstagabend gut und gerne 3000 Besucher an – und die singen lauthals mit, starten Polonaisen. Jubel. Trubel. Heiterkeit! Jugoslawische­ und portugiesische Folkloregruppe stehen im Mittelpunkt, begleitet vom MGV Gemeinschaftswerk und der Hattinger Sängervereinigung sowie dem evangelischen Kirchenchor Winz-Baak. Gemeinsam­ erobern sie die Herzen.

Der Gaukler, Sinnbild fürs Hattinger Altstadtfest.
Der Gaukler, Sinnbild fürs Hattinger Altstadtfest. © Archiv | WAZ

Hattingen zeigt sich an diesen Tagen von seiner neuen Seite. Die Straßenbahn ist 1969 von der Heggerstraße verschwunden, eine Fußgängerzone ist entstanden. Und die Entscheidung, die ehrwürdigen Altstadt-Häuser zu erhalten, tut ihr Übriges, dass die neue Stadt, die im Rahmen der Kommunalen Neuordnung 1970 entstanden ist, ein Magnet für Besuch aus nah und fern ist.

>>> Mehr Nachrichten aus Hattingen und Sprockhövel

Was fehlt: ein schönes Stadtfest! Und da fließen die Ideen. Eins von Hattingern für Hattingern soll es nach Möglichkeit sein, eins im Herzen der Altstadt, eins für die ganze Familie, mit Musik, mit Kinderspaß, mit Bedeutung für die Stadtgesellschaft. Keine Kirmes, eher Kultur – kurz: ein Altstadtfest!

Die Macher befürchten ein Fiasko

Doch zum Auftakt am Freitagabend regnet es in Strömen. Der Fanfarenzug „Rot-Weiß“ gibt das Startsignal, später gibt es noch Dixieland und ein Serenadenkonzert der Musikschule – es regnet immer weiter. Die Macher befürchten ein Fiasko.

Die 45. Altstadtfest-Auflage

Nach zwei Corona-Jahren ist das Altstadtfest wieder da – an diesem Wochenende steigt die inzwischen 45. Auflage. Wie gewohnt gibt es auf vier Bühnen (Kirchplatz, Untermarkt, Krämersdorf, Bunker) und in den Straßen und Gassen ein buntes Treiben für die Besucher.

Drei Altstadtfeste sind seit 1975 ausgefallen: Zum Stadtjubiläum 1996 gab es eine große „Theater-Zeit-Reise“, 2020 und 2021 wütete das Coronavirus.

Erst am Samstag hellt es sich auf – der Himmel wie die Stimmung. Bunt flattern Fähnchen aus aller Herren Länder über der Heggerstraße, immer mehr Menschen strömen bei Sonnenschein in die City. Der Untermarkt ist das Zentrum: Bierausschank, Pizza, Frikadellen, Bratwürste und Waffeln für den Magen – und Fähnchen für die Kinder. Hier nuckelt ein Baby unberührt vom Trubel im Kinderwagen an seinem Daumen, daneben macht es der Großvater ebenso an seiner Bierflasche.

Gute Laune und viel Tamtam auf dem Untermarkt.
Gute Laune und viel Tamtam auf dem Untermarkt. © Archiv | WAZ

„Wir sind uns klar darüber, dass unsere Altstadt kein totes Museumsstück sein darf, sondern ein lebendiger Teil unserer Gesellschaft“, sagt Bürgermeister Willy Brückner. „Ich hoffe, dass dieser erste Versuch, unsere hübsche Altstadt noch stärker ins Bewusstsein der Bürger zu rücken, von Erfolg gekrönt sein wird.“

Die Rechnung geht auf: Gut und gerne 25.000 Menschen kommen an den drei Tagen nach Hattingen. 200 tauchen mit Heimatforscher Eversberg (St.-Georgs-Kirche), Studiendirektor Beisken (Kirchplatz) und Rektor Krummel (Haldenplatz) in die Stadtgeschichte ein.

Gute Laune mit Bollerwagen und Remmidemmi

Selbst aus England und Frankreich schlendern Gäste durch dei Gassen – sie hatten vom historischen Rathaus gehört und sind nun auch vom Drumherum begeistert.

Das Straßentheater „Nacht mit Gästen“ sogt für Unterhaltung, das Kindertheater Bollerwagen ebenso wie der Zirkus Remmidemmi. Beatmusik gibt’s mit Faithful Breath und überall singen und tanzen Menschen gut gelaunt durch die Stadt.

>>> Folgen Sie unserer Redaktion auf Facebook – hier finden Sie uns

Doch die Fröhlichkeit wird getrübt: „Tödliche Unfall überschattet das Fest“ titelt die WAZ Hattingen: Ein 18-Jähriger ist während des Transports der Torwand für den Kinderspaß bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

Tragisch, doch das Fest geht weiter. Anke Brell gewinnt den Malwettbewerb, der Folklore wird gefrönt, das Bier schmeckt.

Und eins steht am Ende fest: Auch 1976 wird es ein Hattinger Altstadtfest geben – allein schon deshalb, weil das Alte Rathaus dann 400 Jahre alt wird. Und wer weiß, vielleicht bleibt das Altstadtfest ja noch viel länger bestehen...

>>> Blitzlichter des 20. Jahrhundert
Til Schweigers Tage auf der Henrichshütte
„Schandmauer“: Mahnmal und Zeichen der Solidarität
7 Kilometer Luftbrücke zwischen Sprockhövel und Hattingen
Als die Scorpions die Ruhrwiesen rockten
Olympia-Gold für Hattingen: Ruderhaus wird zum Tollhaus
Los entscheidet über neuen Bürgermeister in Hattingen
Aus für Henrichshütte mit einem lauten Knall
Karneval mit Quetschkommode und Bollerwagen
Tausende strömen zum Baden in der Ruhr nach Hattingen
Als der Markenname Hill in Hattingen verschwunden ist
Was Paul Breitner und Gerd Müller in Hattingen gemacht haben
Die Invasion der Kelly-Fans auf dem Untermarkt
Für die allgemeinen Bedürfnisse der Bürger in Hattingen
Wie Hattingen in den Zwanzigern zur Hitler-Hochburg wird
Ende der Doppelspitze – Liebig kommt für Wüllner
Die Nacht, in der die Ruhr die Stadt Hattingen überflutet
Oliver Bierhoff kommt als Trauzeuge in Hattingen vorbei
Dieser Brand an der Unionstraße bleibt ein Rätsel
Frank Wagners Schuss ins Glück für den TuS Hattingen
Mönninghoff: Der erste große Arbeitskampf in Hattingen
Vor 90 Jahren: Der erste NS-Mord in der Stadt Hattingen
Straßenbahnen in Hattingen: Die letzte Fahrt der Linie 8
Vor 50 Jahren: Hattingens Abschied von Weygands Wahrzeichen
Als die Ruhr in Hattingen ein neues Bett bekommen hat
Isenburg-Ruine: Die Buddel-AG ist in Hattingen legendär
Hattingen in den 1960ern: Willy, der Kanzler und ein König
Hattingen 1924: Für die Schwachen – und für die Kranken
Empörung beim Erstkontakt mit den Eisenmännern