Die Woche im Rathaus

Es hätte so einfach sein können für die SPD: Im Bürger-schaftswahlkampf wollten die Sozialdemokraten eine rhetorische Breitseite nach der anderen auf die regierende CDU wegen deren sozial ungerechter Bildungspolitik abfeuern: Büchergeld, Vorschulgebühren, kostenpflichtiges Kita-Mittagessen, viel zu große Klassen. . .

Einen wichtigen Nebeneffekt hatten die Parteistrategen dabei fest im Blick: Die für die SPD leidige, weil unangenehme Diskussion der künftigen Schulstruktur sollte so auf keinen Fall Wahlkampfthema werden.

Und nun das: Im Haus der Patriotischen Gesellschaft unweit des Rathauses versammelten sich am Mittwochabend rund 60 Frauen und Männer, um die Volksinitiative "Hamburg braucht eine Schule für alle" auf den Weg zu bringen. Und das Schlimmste: Unter den ersten Unterstützern sind prominente Sozialdemokraten wie Ex-Parteichef Mathias Petersen, SPD-Listenplatz fünf für die Bürgerschaftswahl, Ver.di-Chef Wolfgang Rose, Listenplatz elf, und DGB-Chef Erhard Pumm, zugleich SPD-Abgeordneter.

Machtwort von Michael Naumann

Das Problem: Die SPD ist in der Schulstruktur-Frage zerstritten. Die einen wollen die Schule für alle nach skandinavischem Vorbild ohne Umschweife. Die anderen wollen die bei Eltern beliebten Gymnasien erhalten und treten für das Zwei-Säulen-Modell ein: Stadtteilschule − als Zusammenschluss von Haupt-, Realund Gesamtschule − plus Gymnasium. Mühsam hatte sich die SPD auf einen Kompromiss geeinigt: die Schule für alle ist zwar das Fernziel, aber das Zwei-Säulen-Modell der erste Schritt, der zunächst angesteuert wird. Später wird man weitersehen.

Jetzt ist der Schulzwist wieder voll ausgebrochen − und die Christdemokraten reiben sich die Hände. SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann sah sich zum Machtwort aus dem Urlaub im fernen Southwest Harbour (US-Bundesstaat Maine) genötigt. "Die Gymnasien bleiben bestehen. Sie sollen reformiert, aber nicht abgeschafft werden", sagte Naumann an die Adresse der eigenen Leute. Und für alle Begriffsstutzigen: "Die politische Richtlinienkompetenz wird beim gewählten Ersten Bürgermeister liegen." Damit meint Naumann sich selbst. Am Tag zuvor hatte der SPD-Landesvorsitzende Ingo Egloff das Unternehmen Volksinitiative bereits als "polit-strategisch falsch" getadelt. Der Ukas der Parteispitze wird die Aktivisten der Schule für alle nicht stoppen. "Die Verbesserung des Schulsystems ist eine so elementare Zukunftsfrage, dass ich sie nicht nach Gesichtspunkten der Parteizugehörigkeit oder nach wahltaktischen Gesichtspunkten betrachte", sagt DGBChef Pumm kühl. Mit dem Zwei-Säulen- Modell werde die soziale Spaltung wachsen.

"Die SPD kann unterschiedliche strategische Einschätzungen aushalten", belehrt Ver.di-Chef Wolfgang Rose seine Parteioberen. Welches Schulsystem Hamburg künftig haben solle, sei "eine so zentrale, fast eine Jahrhundertfrage", dass sie öffentlich breit diskutiert werden müsse. "Unser Ziel ist die Schule für alle. Umso eher wir es erreichen, desto besser ist es", begründet Ex-Parteichef Petersen sein Engagement für die Initiative. Der Zeitplan kann den SPD-Wahlkampfstrategen nicht ungelegener kommen: Die erste Stufe des Plebiszits fällt in den Januar 2008, also mitten in die heiße Wahlkampfphase. Die SPD wird dann mit zwei Stimmen in der Bildungspolitik sprechen: Die einen wollen die Schule für alle und die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems so schnell wie möglich, die anderen sind allenfalls für den langen Marsch der Überzeugung.

Die üblichen Verdächtigen aus der Bildungsszene

In dieser für die Partei misslichen Lage haben Verschwörungstheoretiker Konjunktur. Einige Sozialdemokraten vermuten, dass ein Antrieb der Volksinitiatoren sein könnte, der SPD gezielt schaden zu wollen. Im Verdacht: die linke Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der GEW, die seit Langem für die einheitliche Schule eintritt, ist die offizielle SPD-Linie ohnehin zu zögerlich. Aber es melden sich auch die Beschwichtiger zu Wort − nach dem Motto "Alles halb so schlimm". Die Chancen der Initiative werden skeptisch beurteilt. "Das ist ein schwaches Bündnis", sagt ein führender Sozialdemokrat. Nicht machtvolle Organisationen, sondern nur Einzelpersonen hätten ihre Unterstützung zugesagt. Bislang seien es die üblichen Verdächtigen aus der Bildungsszene. Klar ist: Die Kampagne der Volksinitiative bedeutet für den SPD-Spitzenkandidaten und Segler Naumann nicht Rückenwind, sondern Wind von vorn. Kreuzen ist angesagt, das heißt: Zickzackkurs.