Wieder ist ein Kind tot. Lara war mangelernährt, dehydriert, untergewichtig. Lara war neun Monate alt. Wieder ist das Entsetzen bei Politikern und...

Wieder ist ein Kind tot. Lara war mangelernährt, dehydriert, untergewichtig. Lara war neun Monate alt. Wieder ist das Entsetzen bei Politikern und Behördenmitarbeitern groß. Wie bei dem tragischen Tod von Jessica?

Wie damals beginnen auch diesmal sofort die politischen Diskussionen. Ob tatsächlich Fehler gemacht wurden, ist noch offen. Insgesamt ist aber ein neuer Umgang zu beobachten. Alle Seiten scheinen etwas sensibler. Auch wenn sie es nicht ganz lassen können - das politische Säbelrasseln ist etwas zurückhaltender. Und auch mit Informationen scheint jetzt anders umgegangen zu werden, zum Beispiel beim zuständigen Bezirksamt Mitte. Kein Zufall. "Es war eine bewusste Entscheidung, so transparent wie möglich mit dem Geschehenen umzugehen", sagt der zuständige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD). Er habe sich das genau überlegt. "Es kann nicht sein, dass wir sagen, wir haben keine Schuld, wenn ein Kind tot ist."

Der Bürgermeister erfuhr es im Urlaub Schreiber selbst hat am Mittwoch gegen 15 Uhr von Laras Tod erfahren. Ein Mitarbeiter kam in sein Büro, klärte ihn über den Sachverhalt auf. "Ich war zunächst geschockt", beschreibt Schreiber seine Reaktion. Dann seien ihm aber auch direkt andere Gedanken durch den Kopf geschossen. "Welche Verantwortung hat man selbst, beziehungsweise das Bezirksamt? Diese Fragen stellt man sich sofort", so Schreiber. Schließlich könne es nicht sein, dass alles richtig gelaufen sei, wenn ein Kind gestorben ist.

Seitdem wird in der Behörde nach möglichen eigenen Fehlern gesucht. Schon wenige Stunden nach Bekanntwerden des Falls saßen Mitarbeiter des Bezirksamts, der Sozialbehörde und vom Rauhen Haus zusammen, versuchten Zeitabläufe zu klären, sich einen Überblick zu verschaffen. Anders als in früheren Fällen wurde nicht direkt abgewiegelt und sich hinter verschlossenen Türen verbarrikadiert. Es wurde gehandelt und im Anschluss informiert.

Informiert wurden - obwohl sie beide im Urlaub sind - auch Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). Beide erreichte die Nachricht von Laras Tod per Telefon. Seitdem halten ihre Mitarbeiter sie auf dem Laufenden. Von Senator Wersich war zu hören, er sei alarmiert und bestürzt vom Tod des kleinen Mädchens. Und dann sagte er noch etwas. Und darin blitzten dann doch wieder die alten Animositäten auf, die schon früher zwischen Wersich und Schreiber zu beobachten waren. Der Senator sagte: "Da sich die Familie in Betreuung des Jugendamts Mitte befand, habe ich den Sachstand und eine Einschätzung des zuständigen Bezirksamtsleiters Markus Schreiber angefordert." Diesen Bericht werde er dann von den Experten seiner Behörde auswerten lassen und gegebenenfalls Konsequenzen veranlassen.

Am Montag will Schreiber den Bericht vorlegen. Noch am Wochenende soll es Gespräche zwischen Bezirksamt und Behörde geben.

Auch die Bürgerschaftsfraktionen bereiten sich vor. Denn - wie üblich bei solchen Fällen - nach der Aufklärung der Fakten kommt die politische Aufarbeitung. So kam es nicht überraschend, dass die Vorsitzende des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses Carola Veit (SPD) für die kommende Woche eine Sondersitzung des Ausschusses einberufen hat. Durchaus überraschend war allerdings, dass alle Fraktionen dies unisono positiv aufnahmen und öffentlich begrüßten.

Außenstehende könnten auf die Idee kommen, dass angesichts der Dramatik des Falls eine neue große Einigkeit zwischen den Fraktionen ausgebrochen ist. Dass politische Gegensätze in diesem Fall zurückgestellt werden, um allein die Umstände zu klären, die zu Laras Tod geführt haben. Eine schöne Vorstellung - die mit der Realität allerdings nicht viel zu tun hat. CDU-Fachsprecher Stephan Müller hat die Sondersitzung erst dann öffentlich begrüßt, als er wusste, dass er sie laut Geschäftsordnung nicht verhindern konnte und dass die Ausschuss-Vorsitzende jedes Recht hat, diese Sitzung einzuberufen. Frei nach dem Motto, "wenn ich es nicht ändern kann, bin ich lieber dafür", ließ er in einer Pressemitteilung verlauten, er "begrüßt daher auch, dass sich der Familienausschuss der Bürgerschaft in der kommenden Woche auf einer Sondersitzung mit dem Tod des Kindes beschäftigen wird".

"Der Fall eignet sich nicht für politischen Streit" Auch im Bezirk Mitte zeichnet sich ein altes Verhaltensmuster ab: Einen Tag nach Laras Tod forderte die CDU-Bezirksfraktion die Abberufung der Leiterin der Jugend- und Familienhilfe, Pia Woltersen. Markus Schreiber, Bezirksamtsleiter Mitte, verteidigt seine Amtsleiterin: "Ein politischer Schnellschuss ohne die genaue Prüfung aller Fakten ist armselig und der Situation nicht angemessen." Mehr noch, Schreiber mahnt: "Der Fall der toten Lara eignet sich nicht für politische Auseinandersetzungen."

Eine Mahnung, die sich in den kommenden Wochen hoffentlich alle Seiten zu Herzen nehmen werden. Bei jeder Aufarbeitung, jeder politischen Diskussion und jeder eventuellen Schuldzuweisung sollte sich bei den Beteiligten ein Bild einbrennen: Wieder ist ein Kind tot. Lara war mangelernährt, dehydriert, untergewichtig. Lara war neun Monate alt.