Ist Hamburg eine Stadt der Kinderhasser? Sprechen hier weltfremde Richter Recht, die heimlich die Interessen elitärer Snobs vertreten? Diesen...

Ist Hamburg eine Stadt der Kinderhasser? Sprechen hier weltfremde Richter Recht, die heimlich die Interessen elitärer Snobs vertreten? Diesen Eindruck könnte man bekommen - angesichts des Theaters, das nach dem - vorübergehenden - Aus für die Kita an der Reventlowstraße die ganze Woche über in Hamburgs Politszene abgezogen wurde. Es war schon erschreckend, wie schnell, wie reflexartig, nach Bekanntwerden des Beschlusses Richterschelte betrieben wurde, wie gnadenlos mancher auf die Kita-Nachbarn eindrosch, die geklagt hatten. Da drängten sich Politiker vor Fernsehkameras, die den Beschluss des Verwaltungsgerichts kaum gelesen haben dürften.

Wer sich die Mühe macht, ihn gründlich zu lesen, wird eine Menge Überraschendes feststellen. Zum Beispiel heißt es in dem Beschluss eindeutig, dass eine Kita in der betroffenen Gegend erlaubt ist.

Die Richter hatten sich die Situation vor Ort angesehen Geräusche spielender Kinder seien "untrennbarer Bestandteil des Wohnens" stellen die Richter klar, außerdem wird ein wohnortnahes, ausreichendes Angebot von Kindergartenplätzen im Interesse des Allgemeinwohls extra herausgestellt. Warum kam dann überhaupt das Aus? Die Richter hatten sich die Situation vor Ort angesehen und die Baugenehmigung durchgelesen. Dabei hatte sich unter anderem herausgestellt - so steht es in dem Beschluss - dass überhaupt keine Auflagen zum Schutz der Ruhebedürfnisse der Nachbarn festgelegt worden waren. Vor Ort stellten die Richter eine "beengte Grundstückssituation" fest. So soll eine lange Holzrampe im Kita-Garten, auf der die 60 Kinder auch spielen dürfen, nur 2,90 Meter vom Nachbargrundstück entfernt liegen. Ist es so absurd, sich dagegen zu wehren? Hätten sich Kitabetreiber SterniPark, das Bezirksamt Altona und die klagenden Nachbarn auf die Lärmschutzmaßnahmen verständigt - die Chance schien nach dem vorliegenden E-Mail-Verkehr zeitweise zum Greifen nahe -, wäre die ganze Sache gar nicht vor Gericht gelandet.

Übrigens machen die Richter in dem Beschluss auch deutlich, dass es hier um einen ganz konkreten Einzelfall geht. Im Klartext: Längst nicht jeder klagende Nachbar hat vor dem Hintergrund des neuen Beschlusses nun Aussicht auf Erfolg. Angesichts des erklärten politischen Willens hin zu mehr Kindeswohl muss er sogar eher mit dem Gegenteil rechnen.

Politiker und Interessengruppen scherten sich darum indes nur wenig, stattdessen wurde allenthalben suggeriert, es könnte nun gleich zig Hamburger Kitas an den Kragen gehen. Der CDU-Jugendpolitiker Stephan Müller zeigte sich "entsetzt über das Mauerurteil", es sei "schlichtweg absurd". Das Ganze habe für ihn "weder was mit Recht noch mit Vernunft zu tun". Die CDU Altona fand in dem Beschluss Sätze, die gar nicht drinstehen, so die Anordnung, "die Kita hinter einer drei Meter hohen Mauer verschwinden zu lassen". Sprecher Sven Hielscher wetterte gar, "studierte Juristen errichten eingemauerte Gettos, in denen spielende Kinder eingepfercht werden sollen". Davon mal abgesehen, dass die Richter hier wohl kaum selbst die Maurerkelle schwingen werden: Eine Lärmschutzwand in Othmarschen ist kein Getto, und mehrere davon sind sowieso schon mal gar nicht geplant. Und dass sich Politiker so undifferenziert über ein Hamburger Gericht äußern - das ist nun wirklich absurd.

Die Sache ging am Donnerstag in der Bürgerschaft munter weiter. Kinderkummer macht sich gut in der Politik. Von der "endsolidarisierten Gesellschaft" sprach Kersten Artus von der Linken, ihr Fraktionskollege Mehmet Yildiz fragte: "In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich?", und Monika Schaal (SPD) höhnte: "Die feine Klientel will keine Kita."

Das Kinderlärmgesetz wird gar nicht erst erwähnt Zur Erinnerung: In Hamburg gibt es 900 Kitas - aktuell ist der Sozialbehörde kein vergleichbarer Rechtstreit bekannt. Immerhin mahnten einige Bürgerschaftsabgeordnete, darunter nun auch Stephan Müller, am Donnerstag doch noch zur Besonnenheit. Offenbar hatten sie sich mittlerweile eingehender mit den Hintergründen befasst.

Noch eine Überraschung: Die Richter erwähnen das einst viel gepriesene (und jetzt ebenso gescholtene) Hamburger Kinderlärmgesetz in dem Beschluss überhaupt nicht. Stattdessen heißt es dort nur knapp: "Für die Bewertung von Kinderlärm existiert kein Regelwerk." Der im Jugendhilfegesetz geparkte Appell, dass "Kinderlärm hinzunehmen sei" (mehr ist das "Gesetz" letztlich nicht), beeindruckte vor Gericht also herzlich wenig. Nun soll ein neues "Regelwerk" ab 2009 Kinderlärm "privilegieren".

Übrigens hat Kitabetreiber SterniPark jetzt auch die ehemalige Villa Guggenheim an der Rothenbaumchaussee gekauft, um dort eine neue Kita einzurichten.

Mal sehen, was die Nachbarn diesmal dazu sagen.