Früher einmal, in einer fernen Zeit, in der ein Russengasvertreter noch deutscher Kanzler war, bezeichnete sich Johannes Kahrs gerne als "Prätorianer" jenes Mannes namens Gerhard Schröder. Damit wollte der gelernte Soldat, der nicht nur Chef des SPD-Kreises Hamburg Mitte und Bundestagsabgeordneter, sondern auch der redseligste Sprecher des parteirechten Seeheimer Kreises ist, eines ausdrücken: Dass er seinem Kaiser - pardon: Kanzler - mit aller Gewalt den Rücken zu stärken gedenke - besonders im Kampf um dessen Agenda 2010. Erst später ließ sich Kahrs belehren, dass die Prätorianer, die einst als Leibgarde von römischen Kaisern eingesetzt wurden, diese Kaiser häufiger mal meuchelmordeten - um der Macht und des Geldes willen. Als er das gelernt hatte, wollte Herr Kahrs nicht mehr Prätorianer heißen. Und doch: Er blieb einer. Stets mit den dicksten Verbalkeulen bewaffnet, wirft sich der gewaltige Johannes bis heute in die politischen Schlachten und drischt auf seine Gegner ein, wo er sie trifft. Die Richtung im Kampf und die Gegner können sich dabei ändern, die Lautstärke seines Kriegsgeheuls aber sackt niemals unter fortissimo. Vorgestern mit dicken Backen gegen Merkel und ihre Mehrwertsteuererhöhung, gestern Vertreter einer Steuererhöhung historischen Ausmaßes. Gestern für eine Abwahl des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch mithilfe der Linken - heute wutentbrannt dagegen. Gestern gegen Beck, morgen für ihn, übermorgen: Mal sehen, wie der Wind so weht.
Ein Parteisoldat in ziellosem Zickzack - aber immer zackig
Mit seinem ziellosen Zickzack repräsentiert Kahrs die aktuelle Verwirrung seiner Partei so gut wie kaum ein anderer. Alle reden durcheinander, nicht mal die Soldaten sind in dieser Partei mehr disziplinfähig.
Das einzige, was an Kahrs berechenbar erscheint, ist die Zackigkeit, mit der er jederzeit in alle südlich des Nordkaps verfügbaren Mikros polemisiert. Und dazu noch, ganz prätorianergemäß, sein Hang zum Königsmord. Anfang 2007 betrieb Kahrs den Sturz des gewählten Hamburger SPD-Chefs Mathias Petersen, der in einem nie geklärten Stimmzetteldiebstahl gipfelte. Heute arbeitet er am Sturz des gewählten Bundesvorsitzenden Kurt Beck. Nun aber hat er es mit seinem System aus Hin und Her, friendly fire, Rede und Dementi zu weit getrieben.
Das ZDF verglich Dauerlautsprecher Kahrs, der Wahlkämpfe auch mal von Waffenfirmen mitfinanzieren lässt, auf seiner Internetseite bereits mit der verstorbenen FDP-Quasselstrippe Jürgen Möllemann.
Tatsächlich hat sich der einst mächtige Kreischef Kahrs in dieser Woche mit der mal so mal so öffentlich geäußerten Feststellung, Kurt Beck könne nicht Kanzlerkandidat werden, weitgehend isoliert. Denn eines ist fast allen Genossen klar: Über den Kurs der Partei muss diskutiert werden - und Becks Timing war miserabel. Den Parteichef nun aber täglich bloßzustellen, nützt nur dem politischen Gegner.
In Bezirken und Bürgerschaft ist die Linke nicht mehr tabu
Zuerst wurde Kahrs jetzt von Hamburgs SPD-Chef Ingo Egloff zurückgepfiffen. Dann bezeichnete der Seeheimer Mitsprecher Klaas Hübner die Kahrs-Reden als "Einzelmeinung". Und nun gehen ihm sogar engste politische Freunde aus Mitte von der Fahne. Während Kahrs jede Zusammenarbeit mit der Linken ächten will, sagte Mittes Bezirksamtsleiter Markus Schreiber dem Abendblatt mit Blick auf die Linke, die SPD dürfe sich "nicht für alle Zukunft Fesseln anlegen". Er verstehe nicht, "dass man im Osten, wo sie Sozialdemokraten eingesperrt haben, mit denen zusammenarbeiten darf, und im Westen nicht". Auch seien Bezirks-Kooperationen "kein Drama". Kahrs' Intimus Michael Neumann, der sich am Montag als Bürgerschaftsfraktionschef wiederwählen lassen will, hat festgestellt, dass "die Linke davon lebt, dass wir sie dämonisieren". Er will am kommenden Mittwoch gemeinsam mit den Linken in der Bürgerschaft für die Abschaffung der Studiengebühren stimmen. Was künftige Kooperationen mit der Linken angeht, zitiert Neumann einen James-Bond-Titel: "Sag niemals nie."
Der Genosse Kahrs steht somit ziemlich einsam auf weiter Flur - und das kurz vor seiner für Mai geplanten Wiederwahl als Kreischef. Hier und da wird in der SPD schon darüber nachgedacht, Kahrs sein Bundestagsmandat in Mitte streitig zu machen. Vielleicht sollte der Reserveoffizier beherzigen, was ihm Landeschef Egloff am Donnerstag riet: "Eine Sprech- und Denkpause einlegen, statt die Partei weiter zu schädigen." Das wäre wohl vor allem in seinem eigenen Interesse.