Die Woche im Rathaus
Das erste Opfer im Wahlkampf ist die Wahrheit. Der Spruch geht anders, stimmt schon. "Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit", bemerkte der US-Senator Hiram Johnson bereits 1917. Nun wird in Hamburg glücklicherweise kein Krieg geführt, dafür zieht aber die politische Auseinandersetzung vor der Bürgerschaftswahl am 24. Februar herauf. Und dabei nehmen es die Hiesigen im Rathaus wie auch ihre außerparlamentarischen Konkurrenten mit der Wahrheit nicht immer so genau.
Ein klein wenig tricksen und täuschen - das kann schon ein bisschen Geländevorteil gegenüber dem politischen Gegner bedeuten. Wer einen Teil der Wahrheit nicht erwähnt, lässt den Kontrahenten vielleicht in ungünstigerem Licht erscheinen. Für diese Sportart der politischen Auseinandersetzung eignen sich Zahlen und Statistiken besonders.
Ein harter Vorwurf, der nicht stimmt
Da ist zum Beispiel die SPD. Deren Bildungspolitiker Britta Ernst und Wilfried Buss gingen in dieser Woche mit dem Ganztagsschulprogramm des CDU-geführten Senats hart ins Gericht. "Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig hat die Chance verschlafen, 13 Millionen Euro für die Entwicklung der Ganztagsschulen zu nutzen", sagten Ernst und Buss kategorisch. Von den 66 Millionen Euro, die Hamburg aus dem großen Bundesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen zustehen, habe Hamburg laut der Senatsantwort auf eine Ernst- Anfrage nur 53 Millionen Euro abgerufen. 13 Millionen verschenkt − ein harter Vorwurf. Pech nur, dass er gar nicht stimmt. Ein Blick in die Senatsantwort auf eine Anfrage ihres Parteifreundes Walter Zuckerer hätte Ernst und Buss eines Besseren belehren können. Zuckerer hatte nämlich nicht nur wie Ernst nach schon abgeschlossenen Bauprojekten, sondern auch nach künftigen Ausgaben gefragt. Alles in allem wird der Senat 77 Millionen Euro in die Schulen investieren − 66 Millionen vom Bund und elf Millionen Hamburger Eigenanteil. Der SPD-Sozialexperte Dirk Kienscherf prangerte das Versagen des Senats eher auf einem Nebenkriegsschauplatz an: dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ). Die Sozialbehörde habe eingeräumt, dass 1500 Jugendliche keinen Platz gefunden hätten. "Ein Armutszeugnis", urteilte Kienscherf streng. Bei genauerer Betrachtung ergab sich, dass es wohl doch nur 1000 Jugendliche waren, die leer ausgingen.
Die Behörde hatte sich nur auf eine Schätzung berufen, wonach es 60 Prozent Doppelbewerbungen gebe. Kienscherf verhedderte sich bei der Umrechnung und landete so beim höheren Ergebnis − zum Nachteil des Senats. Nun sind auch Senatsmitglieder in puncto Tricks und Täuschung keine Waisenknaben. Bildungssenatorin Dinges-Dierig (CDU) ging einen besonderen Weg: Sie nannte keine Zahlen, sie ignorierte sie schlicht. Vor einer Woche weigerte sich die Senatorin, die Zahl der Lehrerstellen zu nennen. "Die Versorgung der Schulen mit Lehrern ist zu 100 Prozent gesichert", sagte Dinges-Dierig nur.
Um 1000 Stellen vertan . . .
In dieser Woche musste die Senatorin einräumen, dass sich ihre Behörde gleich um 1000 Lehrerstellen vertan hatte. Statt 15 000 hatte ein Beamter nur 14 000 Stellen an die Kultusministerkonferenz gemeldet. "Ein Übermittlungsfehler", wie Dinges-Dierig kleinlaut zugeben musste. Ob die Senatorin das Ungemach schon geahnt hatte, als sie über Stellenzahlen am liebsten gar nicht sprechen wollte? Ein Beitrag zu Wahrheit und Klarheit war das alles nicht. Noch ein Beispiel? Dass Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am Dienstag als neuen Dienstwagen einen Mercedes- Benz E 300 Bluetec übernahm, feierte seine Pressestelle als "guten Schritt in Richtung Klimaschutz". Das Auto ist mit modernster umweltschonender Technik ausgerüstet. Nur: Gerade für den Klimaschutz leistet derWagen nicht mehr als sein Vorgänger. Der Ausstoß von Kohlendioxid ist praktisch gleich. Dabei hatte von Beust noch im März im Gespräch mit Schülern betont, der Senat werde bei der Anschaffung neuer Dienstwagen auf einen niedrigen CO2-Ausstoß achten . . .
Und dann war da noch von Beusts früherer Justizsenator Roger Kusch, der sich in einem Video-Podcast seiner neuen Partei HeimatHamburg mit einem Schwan an der Alster präsentierte. Kusch behauptet in dem Spot, die CDU sei bei der Wahl 2001 die stärkste Partei geworden − mit dem Wahlkämpfer Kusch, damals noch CDU-Mitglied. Das ist zu viel der Ehre für die Union, der Kusch nach seinem Rauswurf aus dem Senat durch von Beust den Rücken gekehrt hat: Tatsächlich war die Union 2001 nach der SPD nur zweite Siegerin geworden. Hier hat die Wahrheit sogar das Nachsehen, ohne dass einer etwas davon hat. Oder?