Die Woche im Rathaus

Von außen wirkt er harmlos, fast langweilig. Rund 15 Zentimeter lang, neutral in Schwarz und Silber gehalten - der digitale Wahlstift. Was ihn so besonders macht, ist nicht sein Design, sondern sein Innenleben. Mit einer Kamera und sensibler Computertechnik ausgerüstet, soll der Stift die Auszählung bei der kommenden Bürgerschaftswahl erleichtern. Gerade durch diese Sonderausstattung ist das computergesteuerte Schreibgerät in dieser Woche allerdings zum Stein des Anstoßes mutiert.

Hamburger Verfasssungsrechtler hatten wegen enormer Sicherheitsbedenken vor dem Einsatz des Stiftes gewarnt, räumten etwaigen Wahl-Anfechtungsklagen vor dem Verfassungsgericht schon jetzt "gute Chancen" ein.

Die für den Einsatz notwendige Änderung des Landeswahlgesetzes ist für den GAL-Abgeordneten Farid Müller undenkbar. Prompt berief er eine Pressekonferenz ein, bei der er gemeinsam mit einem Experten des Chaos Computer Clubs die offenen Sicherheitsfragen darlegte. Die reichen von technischen Pannen bis hin zu einer möglichen kriminellen Manipulation. Eine Forderung von Müller: die komplette Auszählung der Papierstimmen.

Da war es vorbei mit der interfraktionellen Einigkeit

Und damit war es vorbei mit der interfraktionellen Einigkeit in Sachen Wahlstift. Noch im November 2006 hatten CDU, SPD und GAL den Einsatz des Wahlstiftes in der Bürgerschaft gemeinsam auf den Weg gebracht. Alles sah nach einer reibungslosen Einführung aus. Aus der Traum! Denn jetzt diskutiert wieder jeder mit jedem. Die CDU ist weiter für den Wahlstift und für die entsprechende Gesetzesänderung. Sie will aber einen "möglichst breiten Konsens" mit den Fraktionen und den Stift "auf keinen Fall im Alleingang" durchsetzen. Die GAL wird dem Entwurf so nicht zustimmen. Sie habe ihre Forderungen auf den Tisch gelegt und werde davon nicht abweichen.

So klar und deutlich CDU und GAL sind, so unentschlossen zeigt sich derzeit die SPD. Die hat ihre grundsätzliche Zustimmung zum Wahlstift zwar wieder infrage gestellt, will aber − bevor nicht alle offenen Sicherheitsaspekte geklärt sind − keine Stellung beziehen. Denn die Entscheidung pro oder kontra Wahlstift birgt Risiken für die SPD: Stimmt sie gemeinsam mit der CDU dafür, und es geht tatsächlich etwas schief, muss sich die SPD dafür auch mitverantworten. Wie nimmt es zudem der potenzielle Koalitionspartner GAL auf, wenn sich die SPD gegen ihn stellt? Und was sagt der Wähler, wenn kurz vor der Wahl eine solch weitreichende Entscheidung wie der digitale Wahlstift wieder zurückgenommen wird? Hinter verschlossenen Türen wird derzeit taktiert und ausgelotet. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, die SPD habe schon angedeutet, nicht ohne die GAL für den Stift zu stimmen. Klar ist: Ohne einen Konsens geht es auch für die SPD nicht. Bleibt die Frage, wie so ein Konsens am Ende ausfällt. Fünf Monate vor der Wahl ist alles wieder offen.

Dabei hätten die Sicherheitsfragen schon vor Monaten geklärt werden können. Professor Klaus Brunnstein, Experte in Sachen Datenschutz und IT-Sicherheit und E-Voting, hatte nämlich im Mai 2007 den CDU-Fraktionsvorsitzenden Bernd Reinert auf die Sicherheitsrisiken beim digitalen Wahlstift aufmerksam gemacht. Der leitete ihn an den CDU-Verfassungsexperten Kai Voet van Vormizeele weiter, der seinerseits den Kontakt zu Landeswahlleiter Willi Beiß herstellte. "Damit habe ich meinen Part als erledigt angesehen", sagte Vormizeele.

Hacker knackten Wahlcomputer

Brunnstein sieht das anders. "Ich bin davon ausgegangen, dass meine Bedenken an den Verfassungsausschuss weitergeleitet werden würden." Das ist bis heute ausgeblieben. Und so nahm Brunnstein dies jetzt selbst in die Hand, schrieb eine E-Mail unter anderem an Farid Müller und SPDRechtsexperte Andreas Dressel. Und so erfuhr auch die Opposition von den Bedenken des Fachmanns − rund fünf Monate nachdem sich Brunnstein erstmals zu Wort gemeldet hatte. Farid Müller wird in seiner Bewertung dieses Vorgangs sehr deutlich: "Ich nenne das Unterschlagung von Informationen." Die SPD drückt sich zwar diplomatischer aus, hätte sich die Informationen des Professors aber ebenfalls früher gewünscht.

Willi Beiß bestätigt, dass auch er die Details von Brunnsteins Kritik nicht an den Verfassungsausschuss weitergeleitet, ihn wohl aber "über die Gesamtsituation" informiert habe. "Jetzt liegt der Ball bei der Bürgerschaft", sagte Beiß. Er habe einen Vorschlag gemacht, ob die Fraktionen diesem zustimmen, sei ihre Entscheidung. Zurzeit testet das Physikalisch-Technische Bundesamt den digitalen Wahlstift und erteilt bei Unbedenklichkeit die Genehmigung. Das gleiche Bundesamt hatte auch ein anderes Wahlgerät − den Nedap-Wahlcomputer − für sicher gehalten. Hacker in den Niederlanden hatten es 2006 trotzdem geschafft, den Wahlcomputer zu manipulieren. Die niederländische Regierung hat gestern die Zulassung für das Gerät zurückgezogen. Für Deutschland wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts für März 2008 erwartet.