Die Woche im Rathaus

Ab Sonntag wird ausgezählt, ob die Aktivisten des Vereins "Mehr Demokratie" genug Stimmen für ihr Anliegen zusammengekriegt haben, dass in Hamburg Gesetze schon dann geändert werden, wenn die Mehrheit der Abstimmenden und gerade mal 17,5 Prozent der Wahlberechtigten bei Volksentscheiden dafür sind. Das Gezänk um Für und Wider hatte Züge von agitatorischer Heftigkeit, die einen Vorgeschmack auf das abgaben, was den Hamburgern im Wahlkampf blühen könnte.

Speziell die SPD gefiel sich darin, Seit an Seit mit "Mehr Demokratie" für niedrige und verbindliche Zustimmungsquoren bei Volksentscheiden zu kämpfen. Egal, ob es der aktuelle Spitzenkandidat Michael Naumann, Abgeordnete oder Altvordere wie die Ex-Bürgermeister Ortwin Runde und Henning Voscherau waren: Man leistete aus der Opposition heraus Schützenhilfe für die Ziele jenes Vereins, der - sollten genug "Ja"-Stimmen zusammenkommen - dem CDU-Senat schließlich eine herbe Niederlage bescheren könnte. Schließlich hatte Bürgermeister Ole von Beust klipp und klar erklärt, dass er gegen die Absenkung der Beteiligungsquoren bei Volksentscheiden ist und deshalb mit "Nein" stimmt. Der Gipfel der Parteinahme der flugs aktivierten SPD-Altbürgermeister war erreicht, als sich Voscherau, Runde und Peter Schulz in einer pathetischen Erklärung an die Hamburger wandten: "Retten Sie die Demokratie! Stimmen Sie mit Ja!".

Noch 1997 warnte Voscherau vor niedrigen Hürden

Wie sich Überzeugungen ändern können, wenn man in der Opposition sitzt. Als die SPD selbst noch an der Macht war, gab es den Verein "Mehr Demokratie" und seine Forderungen nämlich auch schon. Damals waren Voscherau und Runde längst nicht so begeistert von der Idee, Volksentscheide zu vereinfachen. Vor fast genau zehn Jahren warnte etwa Voscherau davor, "Tür und Tor" zu öffnen "für die Herrschaft von Partikularinteressen über das Allgemeininteresse". Ortwin Runde beschwor ebenfalls das drohende Szenario, "dass die Minderheit die Mehrheit bestimmt." Ole von Beust verzichtete seinerzeit darauf, sich als Oppositionsführer zum Vorkämpfer des vermeintlichen Volkswillens zu inszenieren. Er unterstützte stattdessen die SPD in ihrem damaligen Kampf gegen eine drastische Senkung sämtlicher Hürden, was 1999 zu einer Zerreißprobe für die rot-grüne Koalition führte. Nach dem Motto: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" scheint indes auch SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann zu verfahren. Als sein Bundesvorsitzender Kurt Beck sich Anfang der Woche zu dem Vorstoß aufschwang, die Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs und damit eine gravierende Reform der "Agenda 2010" zu fordern, sprang Naumann ihm nicht nur sofort bei, sondern ließ in einem NDR-Interview auch noch erkennen, dass er durchaus Verständnis für einen Rücktritt von Arbeitsminister Franz Müntefering hätte, der bekanntlich ein Verfechter der reinen Agenda- Lehre ist und sich mit Beck einen Machtkampf liefert. Naumann wörtlich: "Und wenn er (...) daraus persönliche Konsequenzen zieht, dann ist das durchaus verständlich und kein Skandal."

Naumanns Lernprozess scheint nicht abgeschlossen

Dabei gehörte Naumann lange − gemeinsam mit Müntefering − zu den großen Verfechtern der unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eingeleiteten Reform. Naumanns Freund Schröder sollte deshalb sogar im Wahlkampf als Redner eine zentrale Rolle spielen. Kein Wunder, dass Naumann mit seinen Äußerungen für Aufregung sorgte. Und eifrig zurückruderte. Er habe Münteferings Rücktritt "nicht gefordert, und ich hätte auch kein Verständnis dafür". Vielmehr gehe es ihm um einen "gemeinsamen Lernprozess in der Agenda-Diskussion".

Dabei scheint noch nicht mal Naumanns "fröhlicher Lernprozess" in Sachen Landespolitik abgeschlossen zu sein. Bei einem Auftritt in Harburg forderte er jetzt den Rechtsanspruch auf berufliche Weiterbildung. Doch der ist bereits seit anno 1974 im Bildungsurlaubsgesetz verankert. Ein gefundenes Fressen für CDU-Fraktionschef Bernd Reinert: "Allmählich stellt sich die Frage, ob die vier Monate bis zur Wahl ausreichen, um zumindest zu lernen, dass man sich vor öffentlichen Äußerungen informieren sollte."