Es war CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus, der als Erster sein Veto einlegte. Der grüne Justizsenator Till Steffen wollte im Fall der von ihrem Bruder Ahmad ermordeten Morsal mit offenen Karten spielen - und alle bekannten Fakten auf den Tisch legen. Da seine Behörde für die Beantwortung einer SPD-Anfrage zu den Details des furchtbaren Falls verantwortlich war, fragten Steffens Mitarbeiter bei der Innenbehörde nach Details zur kriminellen Vorgeschichte Ahmads.

Ahlhaus aber weigerte sich, die Daten herauszugeben. Interne Begründung: Die SPD habe gar nicht so dezidiert nachgefragt, warum also solle man Fragen beantworten, die gar nicht gestellt worden seien. Steffen aber blieb hart - und organisierte sich eine Mehrheit in der Senatskommission. Ahlhaus musste klein beigeben und die Daten übermitteln, die dann Mitte dieser Woche in die Öffentlichkeit durchsickerten - und die zeigen, welch ein Martyrium die junge Deutsch-Afghanin unter den Augen der Behörden durchleben musste.

Nun aber stellte sich ein anderer CDU-Mann quer, nämlich Dietrich Wersich. Der Sozialsenator, dessen Behörde im Fall Morsal wohl die meisten unangenehmen Fragen beantworten muss, versuchte die Senatsantwort zu kassieren - mit Verweis auf den Datenschutz.

Die GAL wollte von Anfang an mit offenen Karten spielen

Nur weil der von den CDU-Senatoren gestoppte Entwurf bekannt wurde, haben die Hamburger erfahren, was die Behörden seit Jahren über die Gewalt in der Familie O. wussten. Nur so wurde bekannt, wie oft das Mädchen von Vater und Bruder mit Fäusten und Tritten und von der Mutter mit einem Kabel gezüchtigt wurde, dass ihr die Verwandten einen Zahn ausschlugen und dass ihre Schwester ihr das Gesicht zerkratzte. Auch die Liste der Gewalttaten, die man ihrem Bruder Ahmad zur Last legt, wurde nur so bekannt. Wäre es nach den CDU-Senatoren gegangen, hätten die Hamburger all dies nie erfahren.

Es scheint fast so, als wären hier zwei politische Kulturen aufeinandergetroffen: Die Grünen gingen offener und selbstkritischer mit der Krise um, die CDU-Vertreter mauerten und beschönigten. Dieses Prinzip setzte sich auch in der Bürgerschaft fort. Nicht etwa CDU-Sozialsenator Wersich, aus dessen Jugendnotdienst Morsal quasi in die Arme ihres Mörders entlassen wurde, stellte sich dem Parlament. Er zog es vor, am Tag der Debatte an einer Ministerkonferenz in Berlin teilzunehmen, anstatt einen Vertreter zu entsenden. Auch Innensenator Ahlhaus schwieg. Stattdessen sprach die grüne Bildungssenatorin Christa Goetsch - und ging offen auf Schwächen im Hilfesystem ein. Die Rednerinnen der CDU dagegen wiesen die Kritik der Opposition an den Behörden zurück - oder arbeiteten sich an der mangelnden Integrationsbereitschaft mancher Einwanderer ab. Von Selbstkritik keine Spur. CDU-Rechtspolitikerin Viviane Spethmann verstieg sich zu der angesichts des Todes von Morsal zynisch wirkenden Aussage, es sei bei den zuständigen Stellen "sehr gut gearbeitet worden". Der SPD warf sie vor, den Fall parteipolitisch zu nutzen - ein erstaunlicher Vorwurf aus dem Munde einer CDU-Abgeordneten. Immerhin war es die CDU die 2001 mithilfe von Schill und der Kriminalitätsdebatte die Macht übernahm.

Klebt auch heute jemandem "Blut an den Händen"?

Damals befand der CDU-Innenpolitiker Karl-Heinz Ehlers, die SPD habe, anders als der ehrenwerte Herr Schill, "Blut an den Händen" - so als seien die Mitglieder der damals noch regierenden SPD persönlich für jedes Verbrechen in der Stadt verantwortlich. Heute spricht Innensenator Ahlhaus angesichts der Serie von Gewalttaten in Hamburg von einer "zufälligen Häufung". Und auf die Frage, warum man trotz immer neuer Hilferufe nicht gegen Morsals Peiniger vorgegangen ist und ihren verurteilten Bruder frei herumlaufen ließ, heißt es lakonisch, man habe keine rechtliche Handhabe gehabt. Wie schnell sich die Zeiten doch ändern können.

Auch bei anderen sieht die Welt plötzlich ganz anders aus, kaum haben sie auf der Senatsbank Platz genommen. Ein im Jahre 2001 noch aufstrebender junger CDU-Abgeordneter namens Wersich etwa bezeichnete die SPD-Sozialsenatorin Karin Roth damals als "Sicherheitsrisiko" für die Stadt. Roth hatte sich geweigert, die Namen von mit britischem Fleisch belieferten Betrieben zu nennen - mit Verweis auf Datenschutz und auf rechtliche Probleme. Zudem warf er Roth immer wieder vor, sie ducke sich weg - etwa im Falle einer Vergewaltigung durch einen Freigänger des Maßregelvollzugs.

Heute ist der aufstrebende Abgeordnete von einst selbst Sozialsenator. Und nun ist er es, der sich wegduckt, der bei der Morsal-Debatte in der Bürgerschaft fehlt und der die Fakten des Falls nicht offenlegen will - mit Verweis auf Datenschutz und rechtliche Probleme.

Glaubwürdige Politik sieht anders aus.