Nach der Wahl hörte sich vieles anders an als zuvor. Das mussten wieder einmal die Bürger zur Kenntnis nehmen, das konnten aber auch die handelnden Politiker lernen. Die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene forderte deutliche Kompromisse. Große Projekte wie das Kraftwerk Moorburg und die Elbphilharmonie bewegten die Stadt und den Senat nicht weniger als die Auswirkungen der Finanzkrise. Und die Opposition in Form der SPD war dabei hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt.
Es liegt ein hartes Jahr hinter den Regierenden dieser Stadt. Ein Jahr des Wechsels, der Experimente, des Verhandelns, der Entscheidungen. Vor allem aber - ein Jahr der Erkenntnisse.
Der Erste, der 2008 quasi vom Baum der Erkenntnis naschte, war Bürgermeister Ole von Beust. Spätestens im Januar musste er erkennen, dass er das Kohlekraftwerk in Moorburg nicht mehr vor der Bürgerschaftswahl im Februar würde genehmigt bekommen. Im Trubel des Wahlkampfes schien dies zunächst nur wie ein kleines, zu vernachlässigendes Detail. Fraglich, ob von Beust da schon klar war, welche Auswirkungen dieses Detail auf das gesamte Regierungsjahr haben würde.
Den ersten Mann der Stadt beschäftigten zu diesem Zeitpunkt schon ganz andere Einsichten. Ahnte er doch, dass ihm - um im Bild zu bleiben - der Auszug aus dem Paradies der Alleinregierung bevorstand. Um den möglichen Rauswurf aus dem Garten Eden durch die Wähler wenigstens ein bisschen abzufedern, streckte von Beust seine Hand in eine für die CDU ganz neue Richtung aus - hin zu den Grünen. Drei Wochen vor der Bürgerschaftswahl folgte die nächste Erkenntnis für von Beust: Die GAL-Führung wollte nicht mitspielen und erteilte dem Bürgermeister für ein mögliches schwarz-grünes Bündnis auf Landesebene eine klare Absage per Vorstandsbeschluss.
Wahl und Verhandlungen Dass dieser Beschluss nach der Bürgerschaftswahl nicht mehr das Papier wert war, auf dem er geschrieben war, ahnten viele Wähler schon vor dem 24. Februar. Gewissheit gab es - vor allem mit Blick auf die neuen Realitäten und Mehrheiten im Parlament - kurz danach: CDU 42,6 Prozent der Stimmen, SPD 34,1 Prozent, GAL 9,6 Prozent und die Linken 6,4 Prozent. Die FDP scheiterte mit 4,8 Prozent erneut an der Fünf-Prozent-Hürde. Als stärkste Fraktion hatte von Beust die freie Wahl des Partners und er wählte sehr schnell - die Grünen sollten es sein. Nach kurzem Gespräch mit der SPD-Führung - das Treffen im Elysee bei Kaffee und Süppchen dauerte ganze 90 Minuten - waren der äußere Schein gewahrt und die Verhandlungen zwischen CDU und Sozialdemokraten offiziell beendet.
Was folgte, waren wochenlange Verhandlungen zwischen Union und GAL - und die Erkenntnis, dass alles, was man im Vorfeld für unüberbrückbar gehalten hatte, jetzt, da die gemeinsame Macht in greifbare Nähe gerückt war, letztlich doch keine ganz so unüberwindliche Hürde darstellte. Allerdings gab es da ja noch dieses bereits angesprochene Detail. Die Moorburg-Frage wurde zur Achillesferse der Verhandlungen. Die Grünen hatten ihren Wählern versprochen: "Mit uns wird es keine Genehmigung für Moorburg geben", Ole von Beust hatte dem Bauherren Vattenfall aber schon eine Vorabgenehmigung erteilt und so Tatsachen geschaffen. Man einigte sich auf die Formulierung: "Die zuständige Genehmigungsbehörde entscheidet rechtlich über die Genehmigungs- und Erlaubnisanträge zum Bau eines Kohlekraftwerkes in Moorburg" und zitierte diesen Satz in Folge bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit.
Regierungsarbeit Im April begann die Regierungsarbeit. Zeit der Erkenntnis für die neu ins Parlament gewählte Fraktion der Linkspartei. In ihrer ersten Rede sorgte die stellvertretende Linke-Fraktionschefin Christiane Schneider direkt für einen Eklat. In der Debatte zum Tibet-Konflikt verglich Schneider indirekt das religiöse Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, mit dem früheren iranischen Revolutionsführer Khomeini. Die Lehre, die Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn aus dieser Aussage und dem nachfolgenden Sturm der Entrüstung zog: Künftig werden bei der Linken auch die Debattenbeiträge für die Aktuelle Stunde vorher abgesprochen.
Michael Freytag Etwas mehr Ab- beziehungsweise Mitsprache beim Bündnis mit den Grünen hatten sich wohl einige CDU-Mitglieder gewünscht. Wie in der Union Usus, wurde dieser Wunsch aber nicht vorab formuliert oder gar diskutiert. Erst ein CDU-Parteitag zeigte, wie es wirklich um die Stimmung in der Partei bestellt war. Zahlreiche Mitglieder verliehen ihrem Unmut bei der geheimen Wahl des Landeschefs Ausdruck und ließen Michael Freytag von 93 Prozent Zustimmung auf 73 Prozent abstürzen. Die bittere Erkenntnis des Landeschefs Freytag: Dieses Ergebnis kann selbst sein stets bemühtes Dauerlächeln nicht kaschieren.
Der Finanzsenator Freytag hat womöglich noch weitere Erkenntnisse aus dem ablaufenden Jahr mitgenommen. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise, von der auch die HSH-Nordbank nicht verschont geblieben ist, versuchte Freytag mit Sätzen wie: "Es macht keinen Sinn, den Feuerwehrmann bei der Arbeit zu erschießen" zu beruhigen, wo eigentlich Aufregung gefragt gewesen wäre. Freytag, der bis heute als Mitglied im Aufsichtsrat der Bank sitzt, hat hoffentlich erkannt, dass es nicht reicht, Durchhalteparolen zu formulieren, sondern es dringend geboten ist, sich ernsthaft und rechtzeitig den Fakten zu stellen.
Moorburg wird genehmigt Eine bittere Realität musste auch Umweltsenatorin Anja Hajduk im Frühherbst erkennen. Am Ende blieb der grünen Vorzeigefrau nichts anderes übrig, als das Kohlekraftwerk Moorburg zu genehmigen. Die mit der Genehmigung verbundenen hohen Umweltauflagen zogen zum einen eine Klage von Vattenfall nach sich. Zum anderen konnten auch diese Auflagen Hajduk nicht vor der ersten Zerreißprobe der schwarz-grünen Regierung retten. Die Aufregung bei vielen Grünen war groß, einige stellten gar die Glaubwürdigkeit der Partei in Frage. Bei einer Mitgliederbefragung zeigte sich schließlich: Die Hamburger Grünen sind in der Realität und an der Macht angekommen - 90 Prozent stimmten trotz Genehmigung für die Fortsetzung der Koalition.
Elbphilharmonie Fortgesetzt hat sich in diesem Jahr auch die nach oben offen scheinende Preisspirale beim Bau der Elbphilharmonie. Sollte der Bau den Steuerzahler ursprünglich rund 110 Millionen Euro kosten, stieg die Summe bis zum November dieses Jahres auf rund 320 Millionen Euro an. Die zuständige Kultursenatorin Karin von Welck und der Bürgermeister, der ihr bei der wachsenden Kritik immer wieder zur Seite sprang - sogar ReGe-Chef Hartmut Wegener als Bauernopfer entließ - werden eines wohl nicht wieder vergessen: Auch vorher vereinbarte Festpreise können sich am Ende als ziemlich lose Versprechen erweisen.
Goetsch und die Schulreform Versprochen hat Christa Goetsch Eltern, Schülern und Lehrern, sie über alle Schritte der nunmehr fünften Schulreform zu informieren. Erkennen musste Goetsch, dass das Amt der Schulsenatorin in Hamburg eines der schwierigsten der Stadt ist. Denn Schule und Bildung sind und bleiben hochemotionale Themen und es gibt eine gut organisierte Elternschaft, die dabei mitreden will. Christa Goetsch wird noch eine Menge reden müssen, um alle von ihrem Weg zu überzeugen.
Die SPD im eigenen Saft Zum guten Schluss bestimmte im Dezember die SPD Schlagzeilen. Es wäre aber nicht die Hamburger SPD, wenn sie sich trotz all der Vorlagen des Senats nicht vor allem mit sich selbst beschäftigen würde Anstatt den Senat in die Zange zu nehmen, streiten sich die Genossen lieber über die Nominierung ihres Eimsbütteler Bundestagskandidaten - Ausgang ungewiss.
Und welche Erkenntnis können die Hamburger aus all dem ziehen? Was auch immer das Jahr 2009 bringen wird, politisch werden uns all diese Themen auch im kommenden Jahr begleiten.