Die Woche im Rathaus

Armer Michael Naumann! Kaum ist der Mann zwei Monate Spitzenkandidat, da ist die SPD in einer Umfrage vom Mittwoch auf 29 Prozent abgesackt - und damit unter ihr bisher miesestes Wahlergebnis, den 30,5 Prozent von 2004. Die Linken dagegen können jubeln: Sie fuhren bei der Umfrage mit sechs Prozent ihren besten Wert aller Zeiten in Hamburg ein.

Das Ganze zeigt: Naumann schafft es nicht, das linke Spektrum zumindest teilweise abzudecken. Kein Wunder. Als ehemaliger Staatsminister der Schröder-Regierung vertritt der Ex-Herausgeber offensiv dessen Reformen wie Praxisgebühr und Hartz IV. Das sei "eine wunderbare Vorlage" für den Wahlkampf der Linken in Hamburg, freut sich deren künftiger Bundeschef Oskar Lafontaine. Aber auch neutrale Beobachter wie Politikwissenschaftler Michael Th. Greven sagen: "Naumann ist ein Geschenk der SPD an die Linke." Mit ihm sei deren Integration schwieriger als mit dem durch Intrigen und Stimmenklau gestürzten Ex-Parteichef Mathias Petersen. Tatsächlich hatte Petersen rhetorisch immer auch den linken Flügel bedient - sei es beim Thema Mindestlohn, bei der Erbschaftssteuer oder mit seinem Engagement für Volksentscheide. Zudem gilt Petersen als jemand, der als praktischer Arzt täglich Kontakt zu Normalmenschen pflegt.

Naumanns geringe Präsenz rächt sich bereits

Naumann dagegen, der sich in Kreisen gutsituierter Kunstliebhaber bewegt, wird in den Gazetten eher zu Fragen des Kulturbetriebs zitiert. Mit feinsinnigen Äußerungen zur Berliner Wallenstein-Inszenierung mag er Feuilletonisten amüsieren − dem kleinen Mann in Barmbek oder auf der Veddel dürften derlei Themen herzlich egal sein. In Hamburg machte Naumann zuletzt dadurch von sich reden, dass er zuwichtigen Terminen zu spät kam. Die geringe Präsenz rächt sich bereits: Nur 27 Prozent wissen, wer der 65-Jährige ist − und dass er ihr Bürgermeister werden will. Freilich wäre es ungerecht, die Stärke der Linken allein Naumann anzulasten. Entscheidend ist auch hier der Bundestrend: Viele potenzielle SPD-Wähler verstehen nicht, was die Genossen treiben. Da streicht VW-Manager Peter Hartz für die SPD den Arbeitslosen die Stütze, während er Betriebsräte mit bezahltem Sex gefügig macht. Da erhöht ein SPDMinister handstreichartig das Renteneintrittsalter, obwohl es fürÄltere kaum Jobs gibt. Da stimmt die SPD der Mehrwertsteuererhöhung zu, die besonders sozial Schwache trifft − obwohl sie das Gegenteil versprochen hatte. Da erreicht die Kinderarmut neue Höchststände. Und was tut die SPD? Sie senkt die Unternehmenssteuern. Mal dahingestellt, ob all das nötig oder makroökonomisch sinnvoll ist: Die Betroffenen werden es der SPD nicht mit Stimmen danken. "Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber", skandiert die Linke.

Für Ole von Beust (CDU) ist das Szenario ein Glücksfall

Die Spaltung der Linken werde länger Bestand haben, glaubt Politikprofessor Greven. Tatsächlich steckt auch Hamburgs SPD im Dilemma: Sie muss sich als sozialere Alternative zur CDU des beliebten Bürgermeisters Ole von Beust präsentieren − dabei aber selbst für die härtesten Einschnitte ins soziale Netz seit 1949 geradestehen. Naumann hat betont, es werde keine Koalition mit der Linken geben. Alle, die überlegten, links zu wählen, müssten wissen, dass "Proteststimmen" für "diese Splitterpartei mit altem DKP-Programm" ihren Interessen zuwiderliefen. Ob man ausgerechnet Nauman abnimmt, besser für die Belange der Schwächeren einzutreten, ist fraglich. Die Rolle des Robin Hood kann er einfach nicht authentisch geben. Auch der weniger prätentiöse von Beust hält einen Wahlerfolg der Linken für realistisch, wie jetzt zu vernehmen war. Für ihn ist das Szenario ein doppelter Glücksfall:Wenn die Linke in die Bürgerschaft einzieht, wird Rot-Grün verhindert und er bleibt Senatschef − in einer Großen Koalition oder im ersten schwarzgrünen Bündnis. Auch für den Wahlkampf bietet die Konstellation von Beust Munition: In der Mitte kann er versuchen, der SPD Wähler mit dem Gespenst einer rot-rot-grünen Kooperation abzujagen. Denn die wäre rechnerisch möglich − und der ein oder andere Genosse denkt schon darüber nach, ob das nicht ein Weg wäre, an die Macht im Hamburger Rathaus zurückzukehren.