Die Woche im Rathaus
Kameras, Scheinwerfer und Stative sind abgebaut. Die Computer des Landeswahlamts, wieder in Originalkartons verpackt, wurden abtransportiert. Das kleine Wahlzentrum im Raum 151 des Rathauses ist schon Geschichte. Die Folgen der Bundestagswahl 2005 sind höchst aktuell und derzeit schwer abzuschätzen. Eines ist immerhin klar: Hamburgs Gewicht im Bundestag ist gewachsen. Statt wie bisher 13 werden in Zukunft 14 Abgeordnete den Stadtstaat in Berlin vertreten. Das sind zwei Parlamentarier "über den Durst", denn die Faustregel lautet: Anzahl der Direktmandate (sechs Wahlkreise, sechs Abgeordnete) plus die gleiche Zahl von Mandaten über die Landeslisten der Parteien, macht zwölf Abgeordnete.
Olaf Scholz vor neuem Karrieresprung
Verantwortlich für das überdurchschnittliche Hamburger Ergebnis ist einmal die SPD, die wieder alle sechs Direktmandate holte und damit ein Überhangmandat errang. Dann rutschte Marcus Weinberg als drittletzter von 179 CDU-Abgeordneten noch ganz knapp ins Parlament. Verantwortlich ist der leichte Zugewinn der Elb-Union im Vergleich zu den Verlusten anderer Unions-Landesverbände. Aber was sind 14 Hamburger angesichts von mehr als 600 Bundestagsabgeordneten insgesamt? Wer das politische Gewicht Hamburgs in den Berliner Schaltzentralen der Macht ermessen will, sollte nicht auf Quantität, sondern besser auf Qualität achten. Zwar ist es weit vor einer Koalitionsentscheidung noch zu früh, Stärken und Schwächen der Akteure in der Politik- Manege und den Kulissen dahinter abschließend auszuloten. Aber erste Tendenzen lassen sich absehen. Wie mein Kollege Andreas Thewalt in Berlin erfahren hat, steht der Altonaer SPD-Abgeordnete Olaf Scholz vor einem neuen Karrieresprung. Der gescheiterte Generalsekretär und Ex- Innensenator hat Chancen, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion zu werden. Das wäre ein einflußreicher Posten im Zentrum sozialdemokratischer Macht für den Mann, der einen guten Draht zu Gerhard Schröder hat.
Sollte die Union Regierungspartei werden, dann gilt als wahrscheinlich, daß CDULandeschef Dirk Fischer als Parlamentarischer Staatssekretär ins Verkehrsministerium wechseln würde. Fischer − mit 25 "Dienstjahren" der erfahrenste Hamburger Abgeordnete − wäre direkter Nachfolger der Eimsbütteler SPDAbgeordneten Angelika Mertens, die dem neuen Bundestag nicht mehr angehört. Bleibt die Grüne Krista Sager. Die Ex-Wissenschaftssenatorin zählt als eine der beiden Fraktionsvorsitzenden derzeit zu den Spitzenkräften ihrer Partei. Sager will wieder antreten, sieht sich aber erheblicher Konkurrenz ausgesetzt, weil voraussichtliche Ex-Minister wie Jürgen Trittin und Renate Künast auf die Top-Jobs drängen. Bei den übrigen Abgeordneten sind künftige Rolle und Einfluß noch unscharf. Der Neu-Parlamentarier Niels Annen aus Eimsbüttel ist trotz seiner Jugend ein alter Hase. Der frühere Juso-Bundesvorsitzende gehört dem SPD-Präsidium an und ist schon jetzt eine wichtige Stimme der Parteilinken. Sein Pendant auf dem rechten Flügel der Partei ist Johannes Kahrs, Abgeordneter des Wahlkreises Hamburg- Mitte und Sprecher des rechten Seeheimer Kreises. Für Annen, 32, und Kahrs, 42, gilt: Karriereperspektive eindeutig gegeben.
Mit Ortwin Runde und Hans-Ulrich Klose (beide SPD) ziehen zwei Ex- Bürgermeister wieder in den Bundestag ein. Runde könnte ein Mittler sein, wenn sich der Konflikt zwischen Linken und Rechten in der SPDFraktion verschärft. Aber Klose, der die Bundestagsfraktion von 1991 bis 1994 führte, ist wegen seiner positiven Haltung zu den USA beim Irak-Krieg politisch isoliert. Neu wählen heißt immer auch Abschied nehmen. Drei Hamburger sitzen im Bundeskanzleramt beinahe schon auf gepackten Koffern. Sollte Schröder nicht mehr Kanzler sein, dann bedeutet das vermutlich auch das Ende der Amtszeit der parteilosen Kultur-Staatsministerin Christina Weiss, der früheren Kultursenatorin. Auch Geheimdienst- Koordinator Ernst Uhrlau, einst Polizeipräsident in Hamburg, müßte seinen Sessel wohl räumen. Schröders Wirtschaftsberater Thomas Mirow wäre seinen Job auf jeden Fall los. Mirow war unter anderem Wirtschaftssenator und letzter SPD-Bürgermeister- Kandidat. Derart viel Hamburger Präsenz in der Machtzentrale wird es so bald nicht wieder geben.
Ja, früher. Von den 60er bis zu den 80er Jahren war der Hamburger Einfluß in Bonn bisweilen dominant − dank der SPD. Da ist zuerst Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt zu nennen. Zur Hamburger Fraktion gehörten außerdem Ex-Verteidigungsminister Hans Apel und der frühere Wehrbeauftragte Karl Wilhelm Berkhan. Der Dresdener Herbert Wehner, als langjähriger Fraktionschef "Zuchtmeister" der Abgeordneten, fand seine politische Basis nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg und war Harburger Abgeordneter. Und Karl Schiller, einst Wirtschaftsund Finanzminister, lehrte vor seiner politischen Karriere an der Universität Hamburg und verbrachte später hier seinen Lebensabend. Zu Zeiten der Kanzlerschaft Helmut Kohls stellte Hamburg mit Volker Rühe (CDU) wieder einen Verteidigungsminister. Die Abgeordneten Jürgen Echternach (CDU) und Rainer Funke (FDP) waren Parlamentarische Staatssekretäre. Und heute?
Große politische Talente haben die Stadt verlassen
Die Union bereitet sich auf die Regierungsübernahme in Berlin vor, doch es fehlen die herausragenden Köpfe aus Hamburg, die in der ersten Reihe stehen könnten. Bürgermeister Ole von Beust wäre so einer, doch er hat einenWechsel in die Bundespolitik klar und eindeutig abgelehnt. Von Beust bestätigt damit einen Befund, der die Hamburger CDU seit Jahrzehnten charakterisiert: Sie ist eine im Grunde provinzielle Partei. Die Jahrzehnte in der Opposition haben dazu geführt, daß große politische Talente die Stadt frühzeitig verlassen haben: Dazu zählen die früheren Landesminister Birgit Breuel (Niedersachsen) und Jürgen Westphal (Schleswig-Holstein). Rühe ist die Ausnahme. Von Beust greift als Ministerpräsident in die Bundespolitik nur ein, wenn es ihm die Sache wert ist. Ist es aber nicht eigentlich sympathisch, wenn ein Politiker für sich erkennt, wo sein Karriere-Eifer endet, ja, wo er vielleicht sogar seine Grenzen sieht? Fazit: Sollte die Union in die Regierungsverantwortung kommen, wird der Hamburger Einfluß auf die Bundespolitik eher schwächer (bei der SPD ist es ähnlich). Grundsätzlich gilt: Die Union ist mehr süddeutsch und stark katholisch geprägt. Und: Hamburgs Bedeutung als kleiner Stadtstaat ist im vereinten Deutschland geschwunden.