Es gibt Tage im Laufe eines Jahres, die angenehmer für den Senat verlaufen als ausgerechnet der Jahreswechsel. So entspannend die Zeit zwischen den...

Es gibt Tage im Laufe eines Jahres, die angenehmer für den Senat verlaufen als ausgerechnet der Jahreswechsel. So entspannend die Zeit zwischen den Jahren für den Bürgermeister und die Senatoren auch sein mag: Am 31. Dezember folgt mit der "Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns" und der traditionellen Jahresschlussansprache des Handelskammer-Präses zuverlässig der Weck- und Alarmruf für die Rathaus-Politiker. Da gibt die Handelskammer gern die erste Opposition im Stadtstaat.

So war es auch diesmal. Der neue Kammerpräses Frank Horch holte vor rund 2400 Gästen zu einem Rundumschlag gegen den schwarz-grünen Senat aus - Kohlekraftwerk Moorburg, Möbel Höffner und die Finanzpolitik. Doch vor allem ein Thema brannte Horch in seiner ersten Rede als Kammerpräses unter den Nägeln: die von Schwarz-Grün vereinbarte Einführung der sechsjährigen Primarschule.

Die Reform, die vor der Bürgerschaftswahl weder CDU noch GAL wollten, sei "ein Kompromiss, der aus der Not der Koalitionsbildung heraus bei gegensätzlichen Positionen geboren worden" sei. "Wir sollten von dieser Art von Reform ablassen", riet Horch dem fast vollständig versammelten Senat und bekam dafür den stärksten Beifall während seiner Rede. Im Gespräch mit dem Abendblatt forderte Horch dann ausdrücklich den Stopp der umstrittenen Reform.

Unerbetene Ratschläge Für Bürgermeister Ole von Beust und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) kam der Vorstoß der Handelskammer zur Aufgabe ihres zentralen schulpolitischen Projekts nicht überraschend. Horch-Vorgänger Karl-Joachim Dreyer hatte schon Front gegen die Reform gemacht, bevor die Tinte unter dem Koalitionsvertrag getrocknet war. Dreyer warf CDU und GAL "Aktionismus und strukturelles Chaos" vor und prophezeite "Verunsicherung und massive Widerstände von Eltern und Pädagogen". Er sollte recht behalten. Die Kammer fordert eine Verbesserung der Unterrichtsqualität statt struktureller Reformen.

Schon damals im April 2008, als Dreyer dem Senat das Nein der Wirtschaft zur Primarschule entgegenschleuderte, wurde im Rathaus etwas schmallippig die Frage gestellt, wofür die Handelskammer eigentlich zuständig sei. Mit anderen Worten: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Schließlich verfassten Elternräte auch keine Resolutionen gegen die Elbvertiefung ...

Die Handelskammer lässt sich von derlei unerbetenen Ratschlägen kaum beeindrucken. Wahr ist aber auch, dass früheren Von-Beust-Senaten das Engagement der Handelskammer in der Schulpolitik durchaus willkommen war. Kurz nach dem Regierungswechsel 2001 nutzte der damalige Kammerpräses Nikolaus W. Schües die veränderte politische Lage zu einem radikalen Vorstoß. Schües schlug - ebenfalls in der Jahresschlussansprache vor der "Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns" - vor, die Berufsschulen aus der staatlichen Obhut auszugliedern und unter die Regie der Handelskammer zu stellen.

Da zog die Koalition die Notbremse Der damalige Mitte-rechts-Senat aus CDU, Schill-Partei und FDP machte sich die Sache zu eigen. "Die Berufsschulen sollen in Kooperation mit Handels- und Handwerkskammer in eine private Trägerschaft überführt werden", lautete der Beschluss der Koalition auf einer Klausurtagung in Jesteburg im Mai 2002.

Doch die Euphorie verflog aufseiten der Politik schnell. Da war vor allem die Volksinitiative mit dem ebenso polemischen wie zugkräftigen Motto "Bildung ist keine Ware", die den Senatsplänen in die Quere kam. Weil die Initiative auf erkennbaren Rückhalt in der Bevölkerung stieß, zog die Koalition die Notbremse. Am Ende kam ein Kompromiss zwischen Kammer und Senat heraus, der in erster Linie der beiderseitigen Gesichtswahrung diente. Die Berufsschulen blieben staatlich, erhielten aber mehr Eigenverantwortung und die Wirtschaft mehr Einfluss über die Aufsichtsgremien.

Seitdem ist das Verhältnis zwischen Von-Beust-Senat und der Kammer in Sachen Schulpolitik angespannt. Aber trotz aller öffentlichen wechselseitigen Kritik: Die vertraulichen, regelmäßigen Gespräche zwischen von Beust und Horch finden weiter statt. Das Tischtuch zwischen Senat und Kammer ist also nicht zerschnitten.