Eigentlich sollte die Entscheidung zum geplanten Vattenfall-Kohlekraftwerk in Moorburg eine rein fachliche sein. Immer wieder betont Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL), die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) werde über die Anträge sorgfältig und nach Recht und Gesetz entscheiden. Doch je näher der Termin für die Entscheidung rückt, desto schärfer werden die Angriffe von allen Seiten. Neben Energiekonzern und Behörde haben sich auch Wirtschaft und Umweltverbände in die Diskussion um das Kraftwerk eingemischt. Durch gezielte Aktionen, zeitlich geschickt gesetzte Veröffentlichungen und öffentliche Stellungnahmen versucht jede Seite, ihre Position zu stärken. Da wird taktiert, argumentiert und zurechtgebogen.
Pro-Moorburg-Gutachten im "Oval Office" präsentiert
Am Mittwoch war es der Vattenfall-Konzern, der eine neue Runde in Sachen Taktik einläutete. Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Cramer präsentierte vor Journalisten ein Rechtsgutachten, welches belegen soll, dass das Kraftwerk voll genehmigungsfähig ist. Und das tat er genau an dem Ort, an dem einige Wochen zuvor CDU und GAL über ihre gemeinsame politische Zukunft und auch das Kraftwerk Moorburg beraten haben - im "Oval Office" des Hotels Elysee an der Alster. Auch die mit dem Gutachten beauftragte Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier war nicht zufällig ausgewählt worden. Gehört sie doch zu den vier Kanzleien, bei der die BSU am 30. April wegen der Abgabe eines Angebots für ein Rechtsgutachten angefragt hatte. Die BSU entschied sich für die Kieler Kanzlei Weissleder & Ewer.
Um den Ergebnissen der Behörde vorzugreifen, ließ Vattenfall daraufhin ein "inhaltlich ähnliches Gutachten" erstellen - und will dem BSU-Gutachten damit den Wind aus den Segeln nehmen. (Das Gutachten der BSU wird für Ende Juni erwartet.) Getreu dem Motto: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", kamen die von Vattenfall beauftragten Gutachter zu dem Ergebnis, dass Vattenfall "eine starke Rechtsposition" habe und einer Genehmigung nichts mehr im Wege stehe. Wetten, dass das von der Behörde in Auftrag gegebene Gutachten zu einem anderen Ergebnis kommt?
Dass Vattenfall auf eine schnelle Genehmigung drängt, ist kein Zufall. In wenigen Wochen sind sämtliche Arbeiten, die durch die vorzeitige Baugenehmigung erfasst werden, abgeschlossen. Liegt dann keine endgültige Genehmigung vor, bedeutet das den Baustopp. Pro Woche, in der nicht gearbeitet wird, heißt das nach Vattenfall-Angaben Verluste in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages. Und so erhöht der Energiekonzern den Druck. Ganz nebenbei erwähnt Vorstand Cramer bei der Präsentation des Rechtsgutachtens, dass Vattenfall die Untätigkeitsklage gegen die Stadt (eingereicht wegen der ausstehenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung) nun auch noch um den Faktor wasserrechtliche Erlaubnis erweitert hat. Und setzt mit der Ankündigung, im Falle einer Nicht-Genehmigung "Amtshaftungsansprüche" geltend zu machen, noch einen drauf. Im Klartext ist das die offene Drohung, die Stadt auf Schadenersatz in Millionenhöhe zu verklagen.
Eines sollte sich aber auch bei Vattenfall schon herumgesprochen haben: Weder Behörde noch Senat lassen sich unter Druck setzen. Und so verpuffte die Drohung, ohne dass sie bei der BSU jemanden nachhaltig beeindruckt hätte. Im Gegenteil. Senatorin Hajduk fand, übermittelt von Behördensprecher Volker Dumann, deutliche Worte: "In Hamburg werden Genehmigungsanträge nicht vom Antragsteller, sondern aus gutem Grund von einer unabhängigen Genehmigungsbehörde geprüft." Gerade bei einem so großen Kraftwerk mit relevanten Umweltauswirkungen müsse im Interesse der Allgemeinheit, aber auch im Interesse des Antragstellers mit aller Sorgfalt geprüft werden. Dann holte die Behörde zum taktischen Gegenschlag aus. Dem Wunsch nach einer schnellen Entscheidung wurde eine Absage erteilt. Schuld daran sei aber nicht die Behörde, sondern Vattenfall. "Unterlagen im Zusammenhang mit der geplanten Kühlwasser-Anlage" fehlten noch, hieß es. Tatsächlich hat die BSU diese Unterlagen aber noch gar nicht angefordert. Der Brief sei unterwegs, hieß es. Vielleicht liegt die Verzögerung auch daran, dass - so ist aus gut informierten Kreisen zu hören - mittlerweile jedes Schriftstück und jede Entscheidung zum Thema Moorburg von der Behördenleitung abgesegnet werden muss.
Auch die Lobbyisten mischen im Streit kräftig mit
Als ob dieses Hin und Her nicht reichen würde, heizen Wirtschaft und Umweltverbände den Streit kräftig an, machen Lobbyarbeit für ihre jeweiligen Mitglieder. Während der Industrieverband das Schreckgespenst Energieversorgung bemüht, die nur mit Moorburg gesichert werden könne, spricht der Bund für Umwelt und Naturschutz von "juristischem Säbelrasseln" und "Einschüchterungsversuchen".
Wer aber glaubt, mit einer Entscheidung zum Kraftwerksbau wäre der Streit beendet, der irrt. Aller Wahrscheinlichkeit nach geht der Spaß dann erst richtig los. Allerdings werden sich dann vermutlich Anwälte und Richter mit den Argumenten auseinandersetzen müssen.