Die Woche im Rathaus

Eigentlich war alles wie früher. Thomas Böwer, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und Kita-Experte seiner Fraktion, machte sich am Mittwochmorgen auf den Weg zu seinem Parteifreund Klaus Meister, Staatsrat in der Behörde für Soziales und Familie, zuständig auch für die Kinderbetreuung. Im großzügigen Büro Meisters im zehnten Stock des Behörden-Zweckbaus an der Hamburger Straße sprachen die beiden Sozialdemokraten 50 Minuten lang bei einer Tasse Kaffee über die Zukunft des umstrittenen Kita-Gutschein-Systems. Man kennt sich seit Jahren. Siezen oder duzen? Die beiden entschieden sich für das "du", wie es unter SPD-Genossen üblich ist.

So war es über Jahrzehnte: Wenn es Probleme bei der Umsetzung von politischen Ideen und Zielen gab, trafen sich Abgeordnete der traditionellen Mehrheitsfraktion SPD schon mal mit Vertretern der Verwaltung - häufig ebenfalls Sozialdemokraten. Man war quasi unter sich - auf dem kurzen Dienstweg.

Doch heute ist in Wahrheit nichts mehr so wie früher: Das Wahldesaster vom 29. Februar hat die Sozialdemokraten tiefer in die Oppositionssessel gedrückt als je zuvor. Staatsrat Meister ist der letzte "Rote" in der Landesregierung. Der frühere Wandsbeker Bezirksamtsleiter hat sich dort nur halten können, weil Bürgermeister Ole von Beust und Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (beide CDU) davon überzeugt sind, dass Meister ihre politischen Vorgaben zu 100 Prozent umsetzt.

Dass Böwer und die mit ihm gekommene SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Andrea Hilgers überhaupt als Emissäre in Sachen Kita-System auftreten konnten, hängt mit einem Sonderfall der Rathaus-Politik zusammen: mit dem eklatanten Versagen des alten Senats in Sachen Kita-Reform und dem cleveren Ausnutzen dieser Schwäche durch die SPD.

Beust will das Thema von der Tagesordnung bekommen Weil der damalige Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) immer stärker in das Kita-Chaos versank, startete die SPD 2003 die Volksinitiative "Mehr Zeit für Kinder". Das Ziel ist eine Betreuungsgarantie für die Kinder berufstätiger Eltern, die Lange nicht zu Stande gebracht hatte. Inzwischen haben 170 000 Hamburger das Volksbegehren der SPD unterstützt. Der nächste Schritt ist der Volksentscheid am 13. Juni parallel zur Europawahl - wenn er angenommen wird, ist der SPD-Vorschlag Gesetz. Die Abstimmung kann nur noch durch einen eigenen Gesetzentwurf der Bürgerschaft aufgehalten werden. Das führt Regierung und Opposition zusammen: Von Beust hat den Kita-Ausbau zur Priorität seines neuen Senats erhoben. Außerdem ist er daran interessiert, nicht in die Defensive zu geraten und ein leidiges Thema von der Tagesordnung zu bekommen. Mit einem weiteren großzügigen Ausbau der Kinderbetreuung kann die Union als Familienpartei punkten. Sollte es noch einmal Probleme mit der Reform geben, säße die SPD im Falle einer Einigung mit im Boot. Die SPD wiederum zieht mit, um nicht als Blockiererin dazustehen und bei der Ausarbeitung der Details mitreden zu können. Es sind also trotz des gemeinsamen Ziels höchst unterschiedliche Interessenlagen, die die Sozialdemokraten Böwer, Hilgers und Meister zusammenführen. So ist es kein Wunder, wenn Böwer sagt: "Mich interessiert nicht, welches Parteibuch Herr Meister hat." Der Zeitdruck ist groß: Bis zu den Fraktionssitzungen von CDU, SPD und GAL am 19. April muss die Einigung stehen, damit der Volksentscheid noch rechtzeitig abgesagt werden kann.

"Mehr Geld ist einfach nicht da" Alles hängt vom Geld ab: Böwer rechnet mit Mehrkosten von mindestens 70 Millionen Euro. Dafür sollen 18 000 neue Betreuungsplätze entstehen. Das Problem: Es gibt vermutlich keinen Bereich der öffentlichen Verwaltung, dessen Kosten so explodiert sind wie im Kita-Sektor - mit zweifelhaftem Erfolg. Bereits 80 Millionen Euro hat der CDU-geführte Senat in das Kita-Gutschein-System seit dessen Einführung im August 2003 nachschießen müssen. Dafür sind nur 1661 neue Betreuungs-plätze geschaffen worden - eine katastrophale Bilanz. Die brisante Zahl steht in dem erst jetzt veröffentlichten Endbericht der überbehördlichen Lenkungsgruppe, die auf dem Höhepunkt des Kita-Chaos im November 2003 eingesetzt worden war. "Der teuerste Faktor in der Kita-Politik war die FDP", sagt Böwer ironisch. Er spielt darauf an, dass die Liberalen bis zur Wahl für das Bildungsressort und damit auch für die Kinderbetreuung verantwortlich waren. Für Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) dürfte das Ende der Fahnenstange bereits erreicht sein. Am Dienstag erklärte Peiner, nur die 40 Millionen Euro in das Kita-System geben zu wollen, die der Senat bereits im Januar beschlossen hatte. Das Geld ist laut Bericht der Lenkungsgruppe bereits "verbraucht" und muss nun durch Einsparungen aller Ressorts refinanziert werden. "Mehr Geld ist einfach nicht da", sagte Peiner kategorisch. Meisters und Böwers Aufgabe besteht auch darin, nach anderen Finanzierungswegen zum Beispiel durch Einsparungen innerhalb des Kita-Systems zu suchen. "Wir sind die Bergführer, aber den Gipfel müssen andere besteigen", sagt Böwer. Das soll heißen: Am Ende werden Bürgermeister Ole von Beust und SPD-Chef Olaf Scholz den Knoten wohl durchschlagen müssen. Vielleicht ist dazu mehr Geld nötig, als Peiner zu geben bereit ist.