Sie war enttäuscht, als sie die Million berührte. Zehn Bündel 500-Euro-Scheine nur, mehr lag nicht auf dem Tischchen im Arbeitszimmer. Wie...
Sie war enttäuscht, als sie die Million berührte. Zehn Bündel 500-Euro-Scheine nur, mehr lag nicht auf dem Tischchen im Arbeitszimmer. Wie ernüchternd eine Begegnung mit dieser Summe sein kann, lässt Schriftsteller Martin Suter in "Der letzte Weynfeldt" den adligen, aber einsamen Protagonisten seiner sündigen Geliebten zeigen. Bei einer Milliarde Euro sieht das anders aus. Gut geschichtet, das erzählen Mathematiker, ließen sich die Scheine fast so hoch stapeln, wie der Glockenturm des Michels über die Stadt ragt.
Vielleicht haben sich aber nur die Proportionen verschoben. Als Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor jubelnden Bauarbeitern verkündete, die Firma Holzmann mit staatlichen Bürgschaften über 125 Millionen Euro zu retten, war das eine ungeheure Summe. Das Ergebnis ist bekannt: Drei Jahre später war die Firma zerschlagen. Ohnehin ist des Staates helfende Hand nicht selten Vorbote der Pleite. Das zeigen auch missglückte Rettungsversuche in Bayern, etwa der Traditionsfirma Grundig und des Stahlwerks Maxhütte.
In Hamburg war das bisher anders. Zwar wurde der Senat vom Handelsblatt als "Staatskapitalist" beschimpft, als die Stadt den Konzern Beiersdorf mit 1,1 Milliarden Euro vor einer Übernahme durch ausländische Investoren schützte. Aber die Lokalpatrioten bekamen recht: Eine Aufrechnung der ansonsten verloren gewesenen Gewerbe- und Lohnsteuern der bedrohten Arbeitsplätze ließ die Zinsen für den Interventionskredit auf 20 Millionen Euro schrumpfen. Am Ende verkaufte Hamburg seine Anteile an Beiersdorf noch mit Gewinn. Bürgermeister Ole von Beust sagte damals: "Wir haben nicht in einen Sanierungsfall investiert, sondern in ein Unternehmen, das bald am Dax vertreten sein wird."
Angenehme Aussichten, die im Fall HSH Nordbank noch fehlen. Verlässt Hamburg mit der Rettung der ruinierten Landesbank seinen Kurs, nur im Kern gesunden Unternehmen aus der Patsche zu helfen?
Die Bank ist nicht nur Sanierungsfall, sondern ein besonders schwerer. Geht sie pleite, müsste Hamburg ohnehin für ausstehende Kredite haften. Drei Milliarden Euro Kapitalerhöhung, zehn Milliarden Euro Risikoversicherung - das bringen die Hansestadt und Schleswig-Holstein schon jetzt auf. Stapelte man diese Summe in 500-Euro-Scheinen, sie würden wohl neben dem Michel auch St. Petri und den Fernsehturm überragen - und das Marine-Ehrenmal von Laboe.
Obwohl die Kabinette das Rettungspaket in dieser Woche beschlossen haben, hat der HSH-Aufsichtsrat für den 9. März eine Sondersitzung beantragt. Sondersitzung heißt, das künftige Geschäftsmodell ist längst nicht abgesegnet. Vielleicht beunruhigt die Aufsichtsräte "Shipping Monthly", der hauseigene Bericht über das wiederentdeckte Kerngeschäft, die Logistikbranche. "Zwei Drittel des Umschlags eingebüßt und noch kein Ende in Sicht", heißt es, "400 Schiffe liegen im Hafen ohne Beschäftigung", und: "Wir rechnen mit einer Stabilisierung nicht vor Mitte 2010."
Düstere Aussichten, denn die Bank muss nun jährlich allein 400 Millionen Euro Gebühren für das Rettungspaket bezahlen, zudem sind weitere Milliardenverluste prognostiziert.
Trotzdem hätte sich Kiels Wirtschaftsminister, Werner Marnette, das Debakel offenbar früher gewünscht. "Die Krise kam zu spät, um einen Systemwechsel zu verhindern", schreibt er in einem internen Gutachten. Das Kreditinstitut hätte sich früher auf seine regionale Verantwortung besinnen müssen, anstatt international Rendite machen zu wollen. Die EU-Kommission hat dieser Praxis aber ohnehin den Boden entzogen, denn sie untersagt nun Geschäftsmodelle, bei denen die Risiken öffentlich abgedeckt werden.
Ist das Rettungspaket gar rechtswidrig? "Brüssel wird das liberal betrachten, die HSH bedeutet zu viel für das Wirtschaftssystem", sagt Karl-Werner Hansmann, Wirtschaftswissenschaftler der Uni Hamburg. Hinzu kommt die Drohkulisse der Altlasten. 20 Milliarden, zwei Jahreshaushalte, dafür würde Hamburg laut Senat haften, müsste die Bank schließen. Joachim Bischoff (Die Linke) hält diese Summe für "frei erfunden." Auch Wissenschaftler Hansmann sagt, niemand wisse genau, wie hoch die Summe sei. "Sie liegt aber erheblich über den Staatskrediten von drei Milliarden, das ist sicher."
Aber was, wenn die HSH Nordbank die öffentliche Zehn-Milliarden-Haftung am Ende wirklich braucht? Bei einer derartigen Katastrophe könne auch der Staat nichts ausrichten, hieß es in einer Behörde. Professor Hansmann hält das für unwahrscheinlich. "Möglich ist, dass 20 Prozent dieser Summe benötigt werden könnten." Zudem werde es eine "Bad Bank" geben, die derzeit wertlose Papiere verwaltet. "Die Konjunktur wird wieder anziehen", sagt Hansmann.
Klingt beruhigend. Heißt Bad Bank, schlechte Bank, doch, dass es irgendwo noch eine gute geben muss. Vielleicht ragen Hamburgs Kirchtürme bald wieder über den noch virtuellen HSH-Schuldenberg hinaus. Derzeit sind sie kaum sichtbar.