Nicht nur der Senat blickt in diesen Tagen auf ein Jahr Regierungszeit zurück, sondern auch Hamburgs sieben Bezirksversammlungen. Und dort kracht es...
Nicht nur der Senat blickt in diesen Tagen auf ein Jahr Regierungszeit zurück, sondern auch Hamburgs sieben Bezirksversammlungen. Und dort kracht es zum Teil gewaltig - warum eigentlich?
Die Machtverhältnisse in den Bezirken sind in Hamburg zurzeit so uneinheitlich und unübersichtlich wie wohl noch nie in der Geschichte der Stadt. Rot-Grün, Schwarz-Grün, Schwarz-Gelb oder wechselnde Koalitionen je nach Thema. Vieles ist plötzlich möglich - und die Abstimmungsergebnisse vorauszusagen ist oft so schwer wie Kaffeesatzlesen.
Und heterogen fallen auch die Bilanzen aus: Während einige Bezirkskoalitionen ihre Arbeit ziemlich geräuschlos fortsetzen - zum Beispiel die schwarz-grüne in Altona - geht es in anderen Ecken der Stadt deutlich holpriger zu, zum Teil geradezu chaotisch.
Am Donnerstag soll in Hamburg-Nord gewählt werden In Hamburg-Nord ist es CDU und GAL seit der Wahl nicht gelungen, sich auf einen Kandidaten für das Amt des Bezirksamtsleiters zu einigen.
Nun hat die SPD die Wahl für den kommenden Donnerstag wieder auf die Tagesordnung genommen. Sie schlägt wie gehabt den Leiter der Landespolizeischule, Wolfgang Kopitzsch, vor. Bei CDU und GAL schrillen jetzt alle Alarmglocken. Denn sollten SPD, FDP und Linke für Kopitzsch stimmen und die beiden ehemaligen GALier und jetzigen Nordabgeordneten Siegfried Diebolder und Dorle Olszewski mit ins Boot holen, würde es für Kopitzsch reichen. Nord hätte dann, wie schon über viele Jahrzehnte, wieder einen sozialdemokratischen Bezirksamtsleiter.
Dass die Linken mitmachen, ist ziemlich sicher, und FDP-Chef Claus Joachim Dickow hat vorab schon mal bekannt gegeben, dass Kopitzsch für ihn ein honoriger Mann sei, mit dem man sich die Zusammenarbeit gut vorstellen könne. Fragt sich, wie die Nordabgeordneten votieren werden, die früher eigentlich immer bekräftigt hatten, im Ernstfall trotz aller Friktionen mit CDU und GAL zu stimmen. Inzwischen ist das Verhältnis aber so stark belastet, dass wieder alles offen scheint. Für CDU und GAL war eine erfolgreiche Wahlzeitweise zum Greifen nahe - jetzt könnte ihnen alles unter den Händen zerrinnen. Die CDU muss nun fürchten, dass es ihr ergehen könnte wie den Kollegen in Eimsbüttel und Bergedorf. Dort stellen die Christdemokraten auch die stärkste Fraktion, aber es gelang ihnen weder, eine Koalition zusammenzuzimmern, noch den Bezirksamtsleiter zu stellen. In beiden Bezirken muss nun mit wechselnden Mehrheiten regiert werden, was die politische Arbeit nicht eben erleichtert. Immer wieder werden die Kampflinien verschoben und die klassischen Konstellationen durcheinandergewirbelt - zum Beispiel, als CDU, FDP und Linke in Eimsbüttel kürzlich gemeinsam gegen SPD und GAL stimmten.
Eine schwarz-gelbe Koalition gibt es nur in Wandsbek - die Bezirksversammlung ist damit das einzige politische Gremium Hamburgs, in dem die Liberalen wenigstens ein bisschen Regierungsverantwortung übernehmen können. Trotzdem knirscht es erheblich im Getriebe. Kürzlich drängte der FDP- Bezirksvorsitzende Jan Christopher Witt massiv darauf, dass die liberalen Punke des Koalitionsvertrags schnellstens abgearbeitet werden sollten. Als er und seine Vasallen von den Jungen Liberalen dabei - nach noch nicht mal einem Jahr der Zusammenarbeit - auch vom drohenden Ende der Koalition sprachen, zeigte sich die eigene FDP-Fraktion vor Ort entsetzt. Fraktionschef Klaus Fischer wies Witts Aussagen zurück. Doch manche FDPler in Wandsbek, so ein Insider, fühlen sich vom großen Koalitionspartner nicht richtig für voll genommen und wollen mehr Mitspracherecht. Ähnlich, so ist zu hören, ergeht es der GAL in Mitte und in Harburg mit SPD beziehungsweise CDU.
Warum diese Nervosität, diese Profilierungsversuche und auch diese Missgunst?
Das ist einmal mehr eine Frage der politischen Arithmetik - aber es geht auch um Psychologie, um politisches Fingerspitzengefühl.
Vor der letzten Bürgerschaftswahl war Hamburg bekanntlich erstmals in Wahlkreise eingeteilt worden. Damit war das alte Wahlrecht passe, bei dem die Wähler nur die Parteilisten ankreuzen konnten. Erstmals konnten diejenigen Politiker direkt gewählt werden, die - so der Gedanke dahinter - im Wahlkreis den entsprechenden Einsatz gezeigt hatten.
Eine wichtige Rolle spielen die neuen Wahlkreise Als Folge kamen so viele Wahlkreiskandidaten wie nie in die Bürgerschaft: 71 von 121 Abgeordneten - das entspricht 60 Prozent. Wer sich also anschickt, zum Beispiel als Newcomer, irgendwann mal ein Bürgerschaftsmandat zu erringen, tut gut daran, sich im Wahlkreis einen Namen zu machen. Und wo lässt sich das besser bewerkstelligen als in den Bezirksversammlungen? Hinzu kommt: Im Zuge der behördlichen Entflechtung werden sukzessive mehr Zuständigkeiten in die Bezirke abgegeben. Das gilt zum Beispiel für die Kompetenzen der "unteren Straßenverkehrsbehörde" - also alles, was mit Ampeln, Zebrastreifen und Schildern zu tun hat.
Im Klartext: Die Bedeutung der Bezirksarbeit wird zunehmen - sicherlich auch einer der Gründe, warum mancherorts die Nerven blank liegen.