Viele halten die Insel für namenlos. Eine Landzunge hinter den Elbbrücken, aufgespült aus Sand des Hafenbeckens. Zerbeulte Familienautos treten hier...
Viele halten die Insel für namenlos. Eine Landzunge hinter den Elbbrücken, aufgespült aus Sand des Hafenbeckens. Zerbeulte Familienautos treten hier am Terminal ihre Reise in ein zweites Leben an, irgendwo in Afrika. Aus diesem Stoff sind Träume gemacht. Oder Albträume. Jedenfalls spielt Fantasie eine entscheidende Rolle, malt man sich aus, dass Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) erwägt, die komplette Universität hierher, auf den Kleinen Grasbrook, zu verlegen.
Die Vorstellungskraft vieler Skeptiker setzt die Senatorin nun unter Druck, denn sie haben reichlich Zeit dafür. Erst im Frühjahr will Gundelach belastbare Daten vorlegen, ein knappes Jahr nach Verlautung der Pläne. Jürgen Pietsch, Professor für Stadtplanung an der TU Harburg, lässt seine Studenten mit einem "Wissenschaftspark" schon mal ein alternatives Konzept für den Hafen entwerfen. Begründung: Ein Umzug bringe "weder Vorteile für die Stadtplanung noch für die Uni selbst".
Über diese Inspiration könnte sich die Senatorin noch freuen. Sie ist kostenlos und vor allem unverbindlich. Kratzbürstig reagierte Gundelach hingegen auf eigenständiges Denken in ihrer Partei und Koalition. Wolfgang Beuß, CDU-Wissenschaftsexperte, bezweifelt mit Hinweis auf Elbphilharmonie und Konjunkturkrise die Finanzierung des Projektes. Während Gundelach dies als "persönliche Meinung" abtut, also eine Geschlossenheit der CDU einfordert, verweist Beuß auf die Parole von Landeschef Michael Freytag. Eine "neue Diskussionskultur" soll Ideen aller Parteimitglieder berücksichtigen. Heißt: Ab sofort bestimmen nicht nur Senatoren den Kurs. Das wurde der CDU während der Koalitionsverhandlungen mit der GAL nämlich vorgeworfen.
Kadavergehorsam ade. Entsprechend lebhaft will sich Wolfgang Beuß einbringen. "Natürlich entwickele ich eigene Ideen." Auch spräche nichts dagegen, ein eigenes Szenario prüfen zu lassen. Ein weiterer Zukunftsplan also, noch dazu von Wolfgang Beuß, der als Kreischef des derzeitigen Uni-Standorts Eimsbüttel auch Interessen des Grindelviertels vertreten muss. Das dürfte die "neue Diskussionskultur" anregen. Aus Träumen könnten schäumende Debatten werden. Beuß sagt: "Wichtig ist, dass sich am Ende alle einigen." Kein leichtes Ziel. Die Debatte hat längst Parteigrenzen überschritten. Während Dorothee Stapelfeldt (SPD) für den City-Campus kämpft, schwärmt ihr Genosse Andy Grote von "großen Chancen" am Kleinen Grasbrook. Der liegt übrigens im Bezirk Mitte, aus dem auch Stadtplanungsausschuss-Sprecher Grote stammt. Schlagen Bezirksinteressen die Parteidisziplin?
Am Ende ist vielleicht doch alles anders. Bleibt die Frage, wie sehr Senatorin Gundelach selbst am Szenario eines Totalumzuges hängt. Sie nimmt dazu keine Stellung. "Die Prüfungen laufen noch." Praktischerweise so lange, bis der Haushalt 2009/2010 verabschiedet ist, über Mittel zur Uni-Sanierung muss also nicht so bald entschieden werden. Fest steht: Träume stehen nicht auf der Agenda der Senatorin. Gundelach legt Wert auf funktionale Lösungen. Etwa der bisher kaum beachtete Teilumzug, den sie ebenfalls prüfen lässt. Die Naturwissenschaften könnten in den Hafen ziehen, während die Geisteswissenschaftler weiter auf zerbeulten Sofas im Philosophenturm sitzen.
GAL-Fraktionschef Jens Kerstan jedenfalls, der einen Totalumzug der Uni aus der grünen Hochburg Eimsbüttel ablehnt, hat sich bisher ausdrücklich nicht zu dieser Idee geäußert. Grünes Licht also von der GAL? Billiger und schneller wäre ein teilweiser Umzug. Das baufällige Geomatikum, längst Symbol für Sanierungsbedarf der Uni, könnte abgerissen werden. Und auch ein kleiner Campus im Hafen wäre stadtplanerischer Brückenkopf.
Problem ist nur: Bei Studierenden und Uni-Leitung dürfte dieses Szenario den größten Widerstand wecken. In Zeiten interdisziplinärer Studiengänge leidet die Qualität der Lehre unter großer Distanz zwischen Fachbereichen. Doch gerade wenn der Komplettumzug scheitert, hätte Gundelach ein wirkungsvolles Argument in der Hand: Schließlich habe sie versucht, die Uni zusammen zu halten, dies aber nicht durchsetzen können. Und so werden aus Träumen nicht Schäume, sondern nur neue Räume.