Niemandem war aufgefallen, dass Lara untergewichtig war. Die Betreuerin vom Jugendamt blieb sogar nur 20 Minuten, ließ sich jedoch fünf Stunden bezahlen. Und die Eltern wollten nicht mit ihr zum Kinderarzt, weil sie befürchteten, man könne ihnen das Baby wegnehmen. Ein tragischer Fall. Mit Bildern zum Fall Lara.
Die Betreuerin, die die Mutter (18) der am Mittwoch gestorbenen Lara Mia aus Wilhelmsburg regelmäßig besuchte, hat offenbar schon vor Wochen bemerkt, dass das Kind deutlich untergewichtig war. Sie habe ihnen geraten, zu einem Kinderarzt zu gehen, sagte Daniel C., der Lebensgefährte von Laras Mutter Jessica, am Freitag. Aus Angst, das Jugendamt könne ihnen das Kind wegnehmen, hätten sie aber keinen Arzt aufgesucht. "Wir dachten, wir schaffen das so", sagte Daniel C. (21). Das Kind starb am Mittwoch (wir berichteten) mit einem Gewicht von 4,8 Kilo. Es wurde nur neun Monate alt. Die genaue Todesursache steht noch nicht fest. "Das Kind kann nicht verhungert sein. Wir sind sicher, dass es eine Magenkrankheit war", so die Großmutter der Kleinen, Marina T.
Die Betreuerin des "Rauhen Hauses", die sich zunächst zehn, zuletzt fünf Stunden pro Woche um das Wohl von Jessica, ihrem Freund und Baby Lara kümmern sollte, wurde gestern von der Polizei und vom zuständigen Bezirksamt befragt. Sie hat die Aussage verweigert. "Das geschieht auf Anraten ihres Anwaltes, denn sie steht wegen unterlassener Hilfeleistung unter Tatverdacht", sagt Friedemann Green, Chef des Rauhen Hauses.
Daniel C. war stets zufrieden mit der Betreuerin: "Sie war immer für uns da!" In der Erinnerung des jungen Mannes kam sie regelmäßig dienstags in die Wohnung des jungen Pärchens in der Weimarer Straße. Daniel berichtet, dass sie dann jeweils geschätzte zwanzig Minuten geblieben sei. Eine Aussage, die Fragen aufwirft. Denn das "Rauhe Haus", das vom Bezirk Mitte mit der Betreuung beauftragt worden war, rechnete wöchentlich fünf Stunden Betreuung ab. Selbst wenn Fahrzeiten und Bürostunden abgezogen werden müssen, bleibt eine ungewöhnliche Diskrepanz. Für Jessica und Daniel reichte der Umfang der Betreuung allerdings aus: "Wir konnten sie immer anrufen, sie war immer für uns da", sagt Daniel. Ob die Betreuerin sie wiederholt aufgefordert hatte, Lara Mia wegen ihres Untergewichts einem Arzt vorzuführen, weiß Daniel nicht mehr. Bei ihren Besuchen habe die Betreuerin sich die Wohnung angesehen, sich mit ihnen unterhalten, Lara angeschaut, sie auch gefüttert und auf dem Arm gehabt.
Zuletzt war die Betreuerin am 3. März in der Dachgeschosswohnung des Pärchens gewesen. Danach fuhr sie in den Urlaub. Eine Urlaubsvertretung sollte die Betreuung übernehmen. Am Dienstag, dem 10. März war allerdings kein Betreuer bei Jessica und Daniel. Am Tag darauf war Lara Mia tot.
Daniel erzählt von dem Moment, in dem Jessica und er das tote Kind in seinem Bettchen fanden: "Wir kamen in ihr Zimmer, da lag die Decke über dem Kopf von Lara Mia. Jessica schrie: "Sie bewegt sich nicht!" Wir waren geschockt, haben angefangen mit Mund-zu-Mund-Beatmung. Aber es war nichts mehr." An dem Tag, an dem Lara starb, hätten sie zu einem Kinderarzt gehen wollen, sagt Daniel. Zwei Wochen lang habe das Kind bereits schlecht gegessen. "Wir haben ihr Beruhigungstee für den Magen gegeben", sagt der schmächtige 21-Jährige. Jessicas Großmutter ergänzt: "Sie hat manchmal schlecht gegessen, dann wieder richtige Fressattacken gehabt." Es sei schlicht nicht wahr, dass dem Baby nicht genug zu essen angeboten worden sei.
Die Frage nach dem Lieblingsessen der kleinen Lara Mia beantwortet Daniel mit "Lasagne. Und Fruchtzwerge." Warum hatten sie Angst, zum Kinderarzt zu gehen? "Wir dachten, das Jugendamt nimmt uns die Kleine weg!", sagt Daniel. Zum Hintergrund sagt Marina T: "Ihre älteste Schwester hat Jessica dort fälschlicherweise angeschwärzt. Sie hat behauptet, Jessica und Daniel würden das Kind misshandeln. Aber das ist Schwachsinn."
Den Gewichtsverlust ihres Kindes erklärte sich das Pärchen unter anderem mit der wachsenden Agilität. Lara Mia hatte angefangen zu krabbeln, sich hinzustellen.
Sanitäter, die das Kind am Mittwoch aus der Wohnung holten, berichteten, Lara habe wegen der starken Austrocknung bereits faltige Haut gehabt.
Daniel sagt mit Tränen in den Augen, er könne noch gar nicht fassen, dass die Kleine nicht mehr da sei. Auch seiner Freundin, der Mutter des Kindes, gehe es derzeit ganz schlecht. "Man macht sich schon Vorwürfe", sagt der Ersatzvater. "Aber wir sind doch keine Mörder. Wir wollten die Kleine doch." Jetzt sei es wichtig, dass ganz schnell herauskomme, woran das Baby starb. Der Leiter des Bezirksamts Mitte, Markus Schreiber (SPD), kündigte Freitagabend an, den von Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) geforderten Bericht zum Fall Lara am Montag vorzulegen. Die öffentliche Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses im Bezirk Mitte (17 Uhr, Sitzungssaal der Bezirksversammlung, Klosterwall 4, Block B, 1. Stock) wurde auf Montag vorverlegt. Einziger Tagesordnungspunkt: Der tragische Tod von Baby Lara.