Dortmund. Siegener Eisdiele soll `Ndrangheta-Basis gewesen sein. Angeklagte könnten bald freikommen. Was eine Ermittlerin vor Gericht berichtet.
Im Prozess um eine Eisdiele in Siegen, die der kalabrischen Mafia-Organisation `Ndrangheta als Stützpunkt gedient haben soll, können sich die drei Angeklagten Hoffnungen auf eine baldige Freilassung machen. Die zuständige Staatsschutzkammer am Landgericht Dortmund hat angekündigt, bis zum 7. November eine Entscheidung zu fällen, ob das italienische Trio noch vor dem für Ende November geplanten Prozessende auf freien Fuß gesetzt wird.
„Wir sind guter Dinge, dass unsere Mandanten frei kommen“, sagten die Verteidiger Denise Sommer, Dr. Erkan Aksöz, Reinhard Peters und Roberto Triscari der Westfalenpost. Die Angeklagten seien aufgefordert worden, dem Gericht ladungsfähige Anschriften mitzuteilen, unter denen sie nach einer Freilassung zu erreichen wären. „Das ist ein wichtiger Punkt für eine Außervollzugsetzung der Haftbefehle“, so Verteidiger Aksöz.
Das Landgericht Dortmund bestätigte auf Anfrage, dass die Kammer eine Freilassung der Angeklagten angesichts der Dauer der bereits vollstreckten Untersuchungshaft von mehr als eineinhalb Jahren prüfe. „Die Kammer ist zu dieser Überprüfung während der gesamten Dauer der angeordneten Untersuchungshaft gesetzlich verpflichtet“, erklärte eine Gerichtssprecherin.
Sollten die Untersuchungshaftbefehle außer Vollzug gesetzt werden, müssten die Angeklagten weiter an dem Verfahren teilnehmen, also vor Ort erscheinen. Um einer möglichen Fluchtgefahr vorzubeugen, könnte die Freilassung unter Auflagen geschehen. Dies können beispielsweise Meldeauflagen sein, also die Vorgabe, sich regelmäßig bei einer Polizeidienststelle zu melden, oder die Weisung, einen bestimmten Wohnsitz zu nehmen, so das Landgericht.
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Ermittlerin berichtet über Eisdielen-Innenleben
Der Prozess gegen das Trio war am 5. Juni gestartet, sollte ursprünglich am 30. August enden, ging aber bisher zweimal in die Verlängerung. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wirft den Angeklagten vor, das Eiscafé in Siegen zur Unterstützung der ’Ndrangheta benutzt zu haben und sich seit Dezember 2016 als Mitglied einer ausländischen kriminellen Vereinigung betätigt sowie banden- und gewerbsmäßig Geldwäsche betrieben zu haben. Die illegalen Geschäfte sollen durch Einnahmen der Mafia aus dem internationalen Drogenhandel finanziert worden sein. Die Brüder Antonio und Francesco M. (37 und 39) sollen die Eisdiele in der Siegener City seit 2017 als GmbH betrieben haben. Antonio G. (25), zum Zeitpunkt der angeklagten Taten im juristischen Sinne teils noch ein Heranwachsender, soll als Angestellter dort gearbeitet haben.
„Ich habe selber nicht festgestellt, dass er etwas anderes gemacht hat, als Eis zu servieren oder an FKK-Club-Besuchen teilzunehmen.“
Am Mittwoch berichtete eine Polizeibeamtin, die im Jahr 2022 für etwa sechs Monate in die europaweite Anti-Mafia-Operation „Eureka“ involviert war, über die Ermittlungen rund um die observierte Siegener Eisdiele und einen ebenfalls überwachten Fiat Panda. Die Beamtin gab an, vor allem an der Auswertung der Handys der Angeklagten beteiligt gewesen zu sein, außerdem an den Ermittlungen zu den Beschäftigungsverhältnissen der Eiscafé-Mitarbeiter. Einer davon soll der damals noch minderjährige Sohn des mutmaßlichen Strippenziehers Salvatore G. gewesen sein.
Während der Vater Einnahmen in Höhe von 400.000 Euro aus dem internationalen Drogenhandel in die Siegener Eisdiele investiert haben und mehrfach dort zu Besuch gewesen sein soll, soll sein Filius (Jahrgang 2005) zeitweise vor Ort in dem Eistempel „unangemeldet“ gejobbt haben. Auf Nachfrage zu der Tätigkeit des Juniors, der in der Eisdiele angeblich in die Mafia-Geschäfte eingearbeitet worden sein soll, erklärte die Polizistin: „Ich habe selber nicht festgestellt, dass er etwas anderes gemacht hat, als in dem Eiscafé Eis zu servieren oder an FKK-Club-Besuchen teilzunehmen“.
Wurde vor Besuch des mutmaßlichen Bosses „gründlich geputzt“?
Derartige Bordell-Auftritte sollen laut der Ermittlerin in den abgehörten Gesprächen der Eisdielen-Crew neben dem Erwerb von Luxusartikeln der Marken Gucci, Versace, Louis Vuitton (und anderer) thematisiert worden sein. Auch hätten die mutmaßlichen Mafiosi über Presseberichte über die `Ndrangehta und den Drogenschmuggel gesprochen. Allerdings sei nie der Name der Organisation genannt worden.
Bei der Aussage der Polizistin zeigten sich zum Teil – wie bereits zuvor mehrfach in diesem Verfahren – die Schwierigkeiten der Ermittler, den Angeklagten konkrete Handlungen/Straftaten nachzuweisen und Quellen aus erster Hand für die Vorwürfe vorzuweisen. Wie andere Ermittler zuvor gab auch die Beamtin am Mittwoch beispielsweise an, kein Italienisch zu sprechen, daher die Inhalte der abgehörten Gespräche sowie Informationen zu den einzelnen Eiscafé-Protagonisten von Dolmetschern, Polizeikollegen oder aus Hinweisen italienischer Ermittlungsakten erhalten zu haben.
Auch sei in den abgehörten Gesprächen nie der Name des mutmaßlichen Strippenziehers Salvatore G. gefallen, „es wurde immer drumherum geredet“, berichtete die Polizistin. Vor Besuchen des Mannes in Siegen, der italienischen Behörden als einer der führenden Köpfe der `Ndrangheta im internationalen Drogenhandel gilt, hätte die Eisdielen-Crew sehr intensiv über die bevorstehende Visite gesprochen. Daher „hatte man das Gefühl, dass er eine besondere Rolle hatte“, so die Ermittlerin. Als Verteidiger Roberto Triscari nachfragte, wie sie dieses Gefühl begründe, ob dem mutmaßlichen Strippenzieher in Siegen „der rote Teppich ausgerollt oder gründlich geputzt“ worden sei, antwortete die Zeugin: „Es wurde kein Teppich ausgerollt.“ Es sei jedoch sehr viel über den bevorstehenden Besuch gesprochen worden. Daher habe sie dieses Gefühl entwickelt.
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