Breckerfeld/Düsseldorf. Eine abgelegene Angelanlage im beschaulichen Breckerfeld war wohl der Mittelpunkt einer Drogenschmuggel-Bande im Dienste der Mafia.

Man ist versucht, sich der Angelegenheit mit Begriffen wie „kleine Fische“ oder „dicke Fische“ zu nähern. Als „kleine Fische“ erscheinen im Rückblick die Vorwürfe gegen das Angelparadies im Steinbachtal bei Breckerfeld, als es um mutmaßlich tierquälerische Wettangel-Wettbewerbe ging, wegen derer der Ennepe-Ruhr-Kreis die Anlage zeitweise stilllegte und Geldstrafen drohten. Die sprichwörtlichen „dicken Fische“ kommen einem dagegen in den Sinn, wenn man die aktuellen Vorwürfe betrachtet: Rund um die abgelegenen Teiche an der Grenze zwischen Sauerland und Bergischem Land hatte sich offensichtlich eine Gruppe aus Drogenschmugglern im Dienste der Mafia zusammengefunden.

Die zuständige Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat Anklage gegen fünf Männer und drei Frauen erhoben: Bandenmäßiger Drogenhandel oder Beihilfe dazu wird ihnen vorgeworfen und die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Für den Schmuggel von Hunderten Kilo Kokain in 162 Fällen sollen sie verantwortlich sein. Bis zu 15 Jahre Haft drohen bei einer Verurteilung und selbst bei der Beihilfe stehen mehr als elf Jahre Gefängnis im Raum. Potenziell „dicke Fische“ eben.

Beschuldigte mit typisch deutschen Vornamen

Dabei gab es vor dem Zugriff der Ermittler bei diesen acht Angeklagten im Alter von 35 bis 63 Jahren, die aus Hattingen, Dortmund, Wuppertal und Castrop-Rauxel stammen, vermeintlich keine Anzeichen, dass sie im Dienste mafiöser Strukturen stehen könnten. Vorbestraft sind die acht entweder überhaupt nicht - oder aber wegen kleiner, vor allem nicht einschlägiger Delikte. Und wenn man in Vorurteilen denkt und bei Mafia-Helfern eher an italienische oder albanische Namen denkt, dann wird man hier enttäuscht. Deutsche Staatsangehörige sind sie alle - mit typisch deutschen Vornamen in diesen Altersklassen. Jetzt sitzen sie alle schon seit fast eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

Das Angelparadies Steinbachtal: Hier sollen Drogenkurier-Fahrer rekrutiert worden sein.
Das Angelparadies Steinbachtal: Hier sollen Drogenkurier-Fahrer rekrutiert worden sein. © WP | Michael Kleinrensing

Der Weg zur Mafia führt in vielen der acht Fälle offensichtlich über das Angelparadies in Breckerfeld. Es gehörte einem heute 63-Jährigen aus Hattingen, der den Ermittlern als mutmaßlicher Kopf der Bande gilt. Karl-Heinz E. hat beruflich schon einiges gemacht. Im Baugewerbe war er tätig, mit italienischer Feinkost hat er gehandelt, mit seiner Frau sogar einmal ein Inkassounternehmen betrieben. Nach Ansicht der Ermittler hat er über Jahre auch eine Gruppe von Drogenkurierfahrern aufgebaut.

Geldwäsche bleibt unklar

Ob das Angelparadies in Breckerfeld dabei der Geldwäsche dient, um die Gewinne aus den Drogenfahrten zu legalisieren, wird wohl ungeklärt bleiben. Die Ermittler vermuten dies stark, aber man habe den Ermittlungsstrang aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht weiter verfolgt und zur Anklage gebracht, sagt der ermittelnde Staatsanwalt Julius Sterzel gegenüber der Redaktion. Im Klartext: Die Strafen, die den Angeklagten allein wegen der Drogenkurier-Fahrten drohen, sind schon so hoch, dass die Geldwäsche nicht mehr ins Gewicht fallen würde.

Mehr zum Thema

Klar scheint aber: Aus dem Umfeld des Angelparadieses hat Karlheinz E. einen Großteil seiner Komplizen rekrutiert. Er selbst, ein Ehepaar, das länger als Betreiber auftrat und von Angel-Freunden ausweislich der Internetkommentare hochgelobt wurde. Dann noch eine weitere Geschäftsführerin (jedenfalls war sie das auf dem Papier) - sie alle gehören nun zu den Beschuldigten. Dazu kommt noch eine Frau, die auch in einem Foodtruck, an dem die Ehefrau von Karl-Heinz E. beteiligt war, gearbeitet hatte.

Was geschah in den Jahren 2009 bis 2018?

Sie alle hatten wohl verschiedene Rollen in der Gruppe, waren Kurierfahrerinnen, Organisator oder auch Mechaniker. Zwischen Februar 2018 und November 2022 sollen sie so etwa 880 Kilogramm Kokain, die aus Südamerika zunächst in die Niederlande oder nach Belgien verschifft worden waren, nach dem Zwischenstopp in NRW nach Italien transportiert haben. Die Ermittler sind zuversichtlich, dass sie Karl-Heinz E auch nachweisen können, dass er in den Jahren 2008 und 2009 schon für den Transport von mehr als einer Tonne Kokain auf diesem Wege verantwortlich gewesen sein soll. Was zwischen 2009 und 2018 war? Die Ermittler gehen nicht davon aus, dass es in dieser Zeit nicht zu Transporten gekommen ist. „Aber wir können dies nicht mit der notwendigen Sicherheit nachweisen“, so Staatsanwalt Julius Sterzel.

Julius Sterzel.

„Wir gehen davon aus, dass sie sich nicht kannten.“

Julius Sterzel

Die Ermittler sind sich sicher, dass die Angelparadies-Gruppe im Auftrag hochrangiger Mitglieder der italienischen Mafia-Gruppierung ’Ndrangheta sowie albanischer Tätergruppierungen geschmuggelt hat. Seit 2020 hatte es länderübergreifende Ermittlungen im Zuge der Operation „Eureka“ gegeben. Telefone wurde abgehört, Autos verwanzt - das große Besteck an Ermittlungsmaßnahmen. Ende 2022 stoppten italienische Ermittler bereits eine Drogenfahrt von zwei Kurierinnen aus der Angelparadies-Gruppe. Die beiden Frauen wurde in Italien zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, sitzen dort auch nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf im Gefängnis. Im Mai 2023 erfolgte dann aber erst der Zugriff in zehn Ländern auf drei Kontinenten.

Wohl keine direkten Verbindungen zur Eisdiele in Siegen

Allein in Italien müssen sich nun mehr als 100 Angeklagte in Eureka-Prozessen verantworten. Und in Deutschland gibt es nicht nur die Angelparadies-Gruppe. Für Schlagzeilen sorgt auch eine Eisdiele in Siegen, die als Mafia-Logistikstandort und Geldwäsche-Möglichkeit gedient haben soll. Die beiden Inhaber und ein Angestellter müssen sich bereits seit Wochen vor dem Landgericht Dortmund verantworten. Verbindendes Element ist der in Italien angeklagte Salvatore G., der als führendes ’Ndrangheta-Mitglied sowohl an der Eisdiele in Siegen beteiligt gewesen als auch der Verbindungsmann zu Karlheinz E. gewesen sein soll. Verbindungen zwischen den Akteuren in Siegen und Breckerfeld gab es aber wohl nicht. „Wir gehen davon aus, dass sie sich nicht kannten“, so Staatsanwalt Stenzel.

Nur mit sehr dürren Worten bestätigt der Staatsanwalt, dass rund um das Anglerparadies auch verdeckte Ermittler eingesetzt wurden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet mit Verweis auf Ermittlungsakten, dass sich verdeckte Ermittler als vermeintliche Angelfreude mehrfach mit dem Mountainbike in Richtung Steinbachtal aufgemacht hatten und über Monate das Vertrauen des nun auch angeklagten Betreiberehepaares gewonnen haben sollen. Nachdem die verdeckten Ermittler eine Story zu mutmaßlich illegalem Geld in der Schweiz auftischten, dass sie doch in das Angelparadies investieren könnten, soll der Betreiber davon gesprochen haben, dass man sich in dem Geschäft auskenne, der Kontakt zu Karlheinz E. kam zustande. Neben den Telefonüberwachungen und Wanzen kamen die Ermittler durch diese „Geschwätzigkeit“ wohl auch so an immer mehr Details zu dem Drogenkurier-Ring.

Staat sichert sich silbernen Foodtruck

Was die Angeklagte selbst zu all den Vorwürfen sagen, ist nicht bekannt. Die übermittelten Anfragen an deren Verteidiger blieben bislang unbeantwortet. Die Kurier-Fahrzeuge, in die - wahrscheinlich in Spanien - filmreif wirkende Verstecke eingebaut worden waren, sind alle beschlagnahmt worden. Und die Staatsanwaltschaft hat bei dem Hauptverdächtigen auch sonstige Vermögenswerte gesichert, um bei einer Verurteilung die Gewinne aus den illegalen Drogengeschäften abschöpfen zu können. Auch der silberne Foodtruck der Ehefrau, der aus den USA stammt und der über Jahre im Ruhrgebiet unterwegs war, gehört dazu.

Wie viel die Kurierfahrerinnen und die sonstigen mutmaßlichen Helfer verdient haben, wird sich wohl noch im Laufe des Prozesses zeigen. Die 1250 Euro, die sie laut FAZ-Recherchen pro Lieferung erhalten haben sollen, werden in Ermittlerkreisen als zu niedrig bezeichnet. Reichtümer hätten sie allerdings tatsächlich nicht erhalten. Und so fragen sich auch die Ermittler, warum sie angesichts der vergleichsweise geringen Summe ein solch hohes Risiko eingegangen sind, nun viele Jahre im Gefängnis verbringen zu müssen.