Dortmund. Der Prozess um das Eiscafé im Siegerland als mutmaßlicher Mafia-Domizil zieht sich. Ein CSU-Politiker soll nun für Aufklärung sorgen.
Das Verfahren läuft wahlweise „sehr zäh“, sagen die Verteidiger Denise Gerull und Roberto Triscari, oder „so mittel“, sagt ihr Kollege Reinhard Peters. In jedem Fall nicht wie geplant.
Eigentlich war in diesem Prozess gegen jene drei Italiener, die ein Eiscafé in Siegen als Mafia-Stützpunkt betrieben haben sollen, die Urteilsverkündung bereits für Ende August angesetzt. Eigentlich. Nun aber geht dieses Verfahren in die Verlängerung der Verlängerung.
Der Prozess vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dortmund war kürzlich bereits bis zum 17. Oktober ausgedehnt worden. Nun, zum Auftakt der Verlängerung, verkündete der Vorsitzende Richter, dass weitere Verhandlungstage im November erforderlich seien. Möglicherweise kommt in den nächsten Wochen (mehr) Bewegung in die Verhandlung, ist doch die Vernehmung zweier spezieller Zeugen vorgesehen, und vielleicht gesellt sich dazu ein politisches Schwergewicht aus Bayern.
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Ermittlerin berichtet über Observationen
Am Dienstagvormittag, dem ersten Tag der Prozess-Verlängerung, lief zunächst alles, wie es bereits mehrfach zu beobachten gewesen war in der Anfang Juni gestarteten Hauptverhandlung: Die drei Angeklagten, die Brüder Antonio und Francesco M. (37 und 39) sowie Antonio G. (25), wurden aus der Untersuchungshaft in Handschellen in Saal 130 des Landgerichts Dortmund gebracht, teils grüßten sie ihre Anwälte und Dolmetscher sowie im Zuschauerbereich anwesende Familienmitglieder und Freunde mit einem freundlichen „Buongiorno“, schwiegen ansonsten aber.
Dem Trio, das aus der kalabrischen Mafia-Hochburg San Luca stammen soll, wirft die zuständige Staatsanwaltschaft Düsseldorf vor, sich seit Dezember 2016 als Mitglied einer ausländischen kriminellen Vereinigung betätigt sowie in ihrer Eisdiele „Al teatro“ in der Siegener Innenstadt Einnahmen aus dem internationalen Drogenhandel für die `Ndrangheta gewaschen zu haben. Die Männer waren den Ermittlern im Mai 2023 bei Durchsuchungen im Zuge der europaweiten Anti-Mafia-Operation „Eureka“ ins Netz gegangen.
Statt der Angeklagten sagten am Dienstag Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) als Zeugen aus, die in die Ermittlungen gegen das Trio involviert waren. So berichtete eine 41 Jahre alte Ermittlerin von Video- und Audio-Überwachungsmaßnahmen gegen die Eisdielen-Betreiber und von zwei auch per GPS observierten Fahrzeugen (Fiat Panda und Audi Q3), von abgehörten Handys und Beobachtungseinsätzen rund um das Eiscafé. Demnach sollen die Angeklagten in Siegen beispielsweise jenen Landsmann empfangen haben, der ein hochrangiges Mitglied der `Ndrangheta sein und 400.000 Euro in den Siegener Eistempel investiert haben soll. Salvatore G., Schwager der angeklagten Brüder, gilt laut Staatsanwalt Julius Sterzel in Italien als einer der führenden Köpfe der Mafia-Organisation im internationalen Drogenhandel.
Die Informationen über dieses Treffen stammen nicht zuletzt von Behörden aus Italien; die sollen durch ein abgehörtes Gespräch zwischen Salvatore G. und zwei mutmaßlichen Drogenkurierinnen aus Deutschland auf die Siegener Eisdiele aufmerksam geworden sein. Und hier gehen die Probleme los.
„Ich habe es nicht mit eigenen Ohren gehört, aber die Übersetzung gelesen.“
Quellen nicht ausreichend verifiziert?
Die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Dirk Kienitz fragte die Kriminalbeamtin wiederholt nach den Quellen, die ihren Aussagen zugrunde lägen. Die Ermittlerin erwähnte unter anderem Observationen in Siegen mit eigenen Kräften. Die 41-Jährige, die angab, kein Italienisch zu sprechen, verwies – wie andere angehörte Ermittler in diesem Prozess – aber vor allem auf Informationen der italienischen Behörden. So sagte die LKA-Ermittlerin beispielsweise über jenes zentrale Gespräch des mutmaßlichen Strippenziehers mit den beiden deutschen Drogenkurierinnen, in dem es um die Investition von 400.000 Euro in die Siegener Eisdiele gegangen sein soll: „Ich habe es nicht mit eigenen Ohren gehört, aber die Übersetzung gelesen.“
Mafia-Mitglieder? Ist „völliger Blödsinn“
Die Verteidiger der Angeklagten bezweifeln nun, dass die im Prozess als Zeuge geladenen deutschen Ermittler die Angaben der italienischen Kollegen ausreichend verifiziert haben und den einzelnen Angeklagten konkrete Straftaten nachweisen können.
Verteidiger Reinhard Peters kritisierte im Gespräch mit der WESTFALENPOST, dass beispielsweise bisher „keine Anhaltspunkte“ für die Zahlung oder den Verbleib der erwähnten 400.000 Euro geliefert worden seien; die LKA-Ermittlerin konnte zu dem Punkt „keine konkreten Angaben machen“. Außerdem gibt es laut Verteidiger Peters „keine Hinweise“, dass aus dem „Al teatro“ Geld nach Italien geflossen sei. Den Vorwurf der Mafia-Mitgliedschaft bezeichnete der Bochumer Jurist als „völligen Blödsinn“.
Zu den Verfahrensschwierigkeiten zählt offensichtlich auch, dass dem Gericht teils nicht die vollständigen Originalunterlagen aus Italien vorliegen. Dies müsse nun „nachermittelt“ werden, sagte Richter Dirk Kienitz, der die Verlängerung des Prozesses bis in den November unter anderem mit dem Satz begründete: „Wir haben gewisse Sachen, einige Quellen, bei denen wir im Moment noch im Trüben fischen.“
„Wir haben gewisse Sachen, einige Quellen, bei denen wir im Moment noch im Trüben fischen.“
Mafia führt keine Mitgliederlisten
Für neue Erkenntnisse sollen in den nächsten Wochen zwei Zeugen sorgen, die nicht aus den Reihen der Ermittler kommen. Am 20. September ist laut Gericht die Aussage einer Expertin von der Universität Essex (England) zur Organisationsstruktur der Mafia vorgesehen. Und für den 17. Oktober ist die Vernehmung eines „Auslandszeugen“ per Videoschalte angedacht. Dieser soll `Ndrangheta-Aussteiger sein und mit den Behörden in Italien zusammenarbeiten. Zudem könnte, geht es nach einem Antrag von Verteidigerin Denise Gerull, noch ein dritter Zeuge zum Komplex der Mafia-Mitgliedschaft gehört werden: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Hintergrund: In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen zur Struktur der `Ndrangheta in Bayern hatte das bayerische Innenministerium im Mai zwar erklärt, dass der kalabrischen Mafia-Organisation bayernweit mehr als 80 Mitglieder zugeordnet werden könnten. Die Existenz einer `Ndrangheta-Einheit, eines sogenannten „locale“, im Freistaat sei jedoch „schon aufgrund fehlender formaler Nachweise (z. B. Mitgliederlisten) kaum belegbar“.
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Gerull meint nun, dass Innenminister Herrmann bestätigen könne, dass „der Nachweis konkreter persönlicher Beziehungen einzelner Personen zu einer solchen Struktur mit rechtstaatlichen Mitteln fast niemals zu führen“ sei. Also auch nicht im Falle der Angeklagten im Verfahren zur Siegener Eisdiele.
Laut Landgericht Dortmund wurde über Gerulls Gesuch noch nicht entschieden. Das bayerische Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass man von dem Antrag bisher nichts gewusst habe und ihn auch nicht bewertet könne, das sei Sache des Landgerichts. Im Übrigen erfolge die Zuordnung von Personen zur `Ndrangheta „grundsätzlich anhand objektiver Kriterien“, etwa Verurteilungen in Italien, laufender oder abgeschlossener Ermittlungsverfahren oder nachrichtendienstlicher Erkenntnisse.