Bochum. Die Opel-Belegschaft in Bochum hat damals einen zähen Kampf gegen die Werksschließung geführt. Die Etappen im Rückblick – von 2000 bis heute.
Vor zehn Jahren ist ein Stück Industriegeschichte in Bochum zu Ende gegangen: In der Nacht zum 5. Dezember 2014 ist letzte Zafira vom Band gelaufen und damit der letzte Opel made in Bochum.
Opel und Bochum, das war eine Erfolgsgeschichte, aber auch eine Geschichte mit vielen Tränen, Trauer und Wut. Es ist diese Geschichte.
Die Geschichte von Opel und Bochum beginnt im Jahr 1960
Am 20. Mai 1960 unterzeichneten der US-amerikanische Opel-Mutterkonzern General Motors (GM), die NRW-Landesregierung und die Stadt Bochum den Vertrag zum Bau eines Autowerks auf den früheren Zechengeländen Dannenbaum (Laer) und Bruchstraße (Langendreer). Im August begannen die Arbeiten auf der damals größten Industriebaustelle Europas. Schon am 10. Oktober 1962 lief der erste Opel Kadett A in Bochum vom Band.
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Drei Werke an drei verschiedenen Standorten wurden in Bochum errichtet: In Werk I im Stadtteil Laer, wo die größte Fabrik entstand, wurden die Karosserien gepresst, die Fahrzeuge zusammengebaut, lackiert und ausgeliefert. Von dort wurde Opel Bochum gelenkt. Noch heute erinnert daran die unter Denkmalschutz stehende Opel-Verwaltung mit der markanten Rotunde. Heute firmiert sie unter dem Namen „O-Werk“ und gehört Norbert Hermanns, dem Geschäftsführer des Immobilienentwicklers Landmarken AG aus Aachen.
Bis zu 22.000 Beschäftigte hatte Opel Bochum zu Spitzenzeiten
Die Werke II und III standen/stehen in Langendreer. Im Werk II, dem Komponentenwerk, wurden von 1962 an Motoren, Getriebe und Achsen für mehrere europäische Opel-Werk produziert; zuletzt allerdings nur noch Getriebe. Am 7. Oktober 2013 wurden dort die letzten von insgesamt 20 Millionen Getriebe hergestellt und danach der Standort geschlossen. 2015 wurde die alte Halle abgerissen. Seit 2017 steht auf einem Teil des Areals eine ultramoderne, 441 Meter lange Logistikhalle der Opel Warehouse GmbH, das Warenverteilzentrum. Von dort aus werden jährlich Millionen von Ersatzteilen an etwa 3700 Opel-Häuser in ganz Europa geliefert. Zum Warenverteilzentrum gehört außerdem das benachbarte, 1965 eröffnete Werk III. Insgesamt 700 Beschäftigte arbeiten heute für die Opel-Logistik.
Bis zu 22.000 Beschäftigte hatte Opel-Bochum zu seinen Spitzenzeiten in den 1970er Jahren. Was lange eine Erfolgsgeschichte für das Unternehmen und die Stadt war, entwickelte sich spätestens seit den 1990er Jahren allerdings zu einer Dauerkrise, die schließlich zum Ende der Autoproduktion in Bochum führte.
Auf dem Weg dorthin gab es viele einschneidende Entwicklungen und Ereignisse. Dies sind die Etappen der Krisen und des Niedergangs seit der Jahrtausendwende.
14. Juni 2000
General Motors kündigt an, die Produktion von Komponenten an Fiat zu verkaufen. Betroffen davon wäre auch das Werk II in Bochum-Langendreer mit 1000 Beschäftigten. Bochum wehrt sich. Es wird gestreikt. „Das war die Blaupause von 2004“, erinnert sich Rainer Einenkel, damals Betriebsrat im Werk II und später Betriebsratsvorsitzender von Opel Bochum. „Wir haben drei Tage nicht gearbeitet und uns bei der Geschäftsleitung informiert, was man mit uns vorhat.“ Entschieden wurde schließlich, dass 4000 Menschen in mehreren Komponentenwerken eine zehnjährige Beschäftigungsgarantie erhalten.
14. Oktober 2004
Nach der Ankündigung des GM-Vorstands, einige europäische Opel-Werke müssten möglicherweise geschlossen werden, darunter auch das in Bochum, stellte die Bochumer Belegschaft die Arbeit ein und nutzt, wie es heißt, „kreativ ihre gesetzlichen Rechte“ und verlangt von Opel verbindliche Auskünfte zur Zukunft des Werks. Eine Woche dauert dieser „wilde Streik“, der bundesweit Aufsehen erregt und zu einer breiten Solidarität mit den Streikenden führt. Es heißt, spontane Streikkomitees hätten das Ruder übernommen.
19. Oktober 2004
Mehrere Zehntausend Menschen beteiligen sich an einer Kundgebung in der Stadt. Die Empörung über die Pläne von GM ist groß. Am Ende erkämpft die Belegschaft einen Zukunftsvertrag für ihren Standort, an dem zu diesem Zeitpunkt die Modelle Astra und Zafira sowie Achsen und Getriebe gebaut werden. Bei der Betriebsversammlung im Ruhrcongress stimmen nur etwa 1000 von 6300 anwesenden Beschäftigten für eine Fortsetzung der Arbeitsniederlegung. Geladen zu dem Treffen waren alle der damals 9600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Kritik am abrupten und zu frühen Aus des Streiks kontert der damalige Betriebsratschef Rainer Einenkel auch heute noch mit dem Argument: „Wir haben damit das Werk zehn Jahre länger am Leben gehalten.“
Mai 2009
GM und Opel stehen kurz vor der Trennung. Der US-Konzern steht vor der Pleite, an Opel ist angeblich ein chinesisches Unternehmen interessiert. Im Gespräch sind staatliche Hilfen für das deutsche Unternehmen. NRW soll sich mit 150 Millionen Euro an der Überbrückungsfinanzierung beteiligen.
Im Ringen um die Rettung von Opel sind auch Protestaktionen der 5000 Arbeiter im Werk Bochum möglich. „Die Bochumer Opel-Beschäftigten waren immer kreativ, um ihre Arbeitsplätze zu retten“, so Betriebsrats-Chef Rainer Einenkel damals. Eine Zukunft für Opel werde es ohne Bochum, dem „wettbewerbsfähigsten Werk“, nicht geben.
Sechs Monate später steht fest: Opel bleibt weiter bei GM.
10. Dezember 2012
Opel-Chef Thomas Sedran kommt nach Bochum und verkündet während der Belegschaftsversammlung im Ruhrcongress die Schließung des Werks. „Der kam mit 70 Bodyguards, hat keine Nachfrage zugelassen und war nach sieben Minuten wieder weg“, erinnert sich Rainer Einenkel.
Im Sommer hatte er geahnt, dass es „sein“ Werk treffen würde. „Wir waren der Preis für das Überleben der anderen Werke und des Konzerns“, ist er überzeugt. Dennoch gibt er sich im Winter 2012 noch optimistisch: „Es hat schon viele gegeben, die von dieser Stelle aus gesagt haben, es werden hier keine Autos mehr gebaut werden. Wir werden auch nach 2016 Autos bauen.“ Ein Trugschluss.
3. März 2013
„18.000 Menschen stehen auf für die Opel-Stadt Bochum“, titelt die WAZ an diesem Tag. Statt der kurzfristig abgesagten Feier zum 50. Werksgeburtstag, die im Dezember 2012 begangen werden sollte, läuft eine große Solidaritätsaktion mit vielen Teilnehmern und zahlreichen namhaften Unterstützern, darunter das Schauspielhaus Bochum. Eines der Plakate hat die folgende Botschaft: „Wir bleiben Bochum“ – im „O“ prangt der Opel-Blitz. Herbert Grönemeyer schickt eine Grußbotschaft: „Dies ist ein grausamer Verrat an allen Opelanern.“
Autor und Kabarettist Frank Goosen sagt bei der Kundgebung vor dem Rathaus in einem WAZ-Videobeitrag: „Wir stehen heute hier, um wenigstens zu sagen, ihr steht nicht alleine da. Gerade weil Bochum nicht nur immer eine wirtschaftliche Bedeutung für Opel hatte, sondern auch eine große symbolische Bedeutung. Hier sind die Bergleute, als der Bergbau ging, vom Pütt ans Band gewechselt. Und deshalb rückt hier auch alles zusammen, wenn Opel Schwierigkeiten bekommt. Wenn hier wirklich die Lichter ausgehen sollten, dann ist es – glaube ich – für die Stimmung in der Stadt eine Katastrophe.“
„Hier sind die Bergleute, als der Bergbau ging, vom Pütt ans Band gewechselt. Und deshalb rückt hier auch alles zusammen, wenn Opel Schwierigkeiten bekommt. “
Rainer Einenkel analysiert: „Die Lage für Opel ist nicht einfach. Wir wissen, dass wir als Teil der Mutter General Motors unter dem Druck stehen, das Werke geschlossen werden sollen, Kapazitäten abgebaut werden sollen, Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren sollen. Das ist die Dramatik, in der wir uns bewegen. Unsere Aufgabe wird es sein, General Motors zu erklären, das geht nicht. … Opel Bochum ist ein ganz, ganz wichtiger Arbeitgeber für die Region. Nicht nur für die Beschäftigten im Werk, sondern auch für die Zulieferer, für den Handel, für die Menschen, die einen Kleinbetrieb haben. Da gehören wir zusammen. … Das Werk sollte schon so oft geschlossen werden. Ich habe schon so viele Pläne dafür in der Schublade liegen. Jetzt gibt es wieder einen neuen Plan, wo man das Gefühl kriegt, dass man abgewickelt werden könnte. Schauen wir mal. Wir sind noch da. Und wir wollen noch bleiben.“
17. April 2013
Der Opel-Aufsichtsrat segnet die Schließung des Werks Bochum zum Jahresende 2014 ab. Zuvor hatte es noch geheißen, ein „Zukunftsvertrag“ sichere die Produktion möglicherweise bis 2016. Den Beschäftigten war dies nicht konkret und sicher genug. 76 Prozent der Belegschaft lehnt in geheimer Abstimmung den Tarifvertrag ab. Kurz darauf kam der Schließungsbeschluss. „Verzockt“ lautet die Kritik an Einenkel und seinen Mitstreitern.
Überkapazitäten und mangelnde Wirtschaftlichkeit werden als Argumente für die Schließung angeführt. Rainer Einenkel hielt und hält heute immer noch dagegen: „Das Werk wurde schlecht gerechnet. Wir waren eines der wirtschaftlichsten Werke.“
17. Mai 2013
NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) benennt einen Kreis von Personen für den Beirat der Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive 2022. Dazu gehören als Vorsitzender der Unternehmer Arndt G. Kirchhoff sowie die ehemalige Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU), Elmar Weiler, Rektor der Bochumer Ruhr-Universität, Christiane Schönefeld, Regionaldirektorin der Arbeitsagentur Bochum, und Helmut Diegel als Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet.
17. Dezember 2013
Die obligatorische Weihnachts-Botschaft des Opel-Vorstands sorgt für Verärgerung in Bochum. Denn: Diese richtet sich nicht an die Bochumer Belegschaft. „Respektlos und unwürdig“, schimpft der Betriebsrat. Es wäre unwürdig gewesen, den Brief und eine Broschüre mit der Botschaft „Opel is back“ an die Bochumer Belegschaft zu schicken, lautet die Erklärung des Unternehmens.
30. Januar 2014
Der Bochumer Stadtrat beschließt mit großer Mehrheit die Gründung der Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive 2022, deren Gesellschafter die Stadt (51 Prozent) und Opel (49 Prozent) sind. Der Autobauer bringt das Werk I zum symbolischen Preis von einem Euro ein und stellt in Aussicht, weitere Flächen von Werk II und III ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Aufgabe der Bochum Perspektive ist es, die Umwandlung des Werks in eine moderne Fläche für Wirtschaft und Wissenschaft zu planen und umzusetzen.
31. März 2014
Opel und DHL unterzeichnen im NRW-Wirtschaftsministerium in Düsseldorf eine Absichtserklärung. Demnach beginnt 2016 auf dem Gelände des Opel-Werks Bochum der Bau eines Megapaketzentrums. 600 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sollen dort entstehen.
Der Vertrag mit DHL entpuppt sich als erster Meilenstein für die Neuentwicklung des Werksgeländes, das seit Februar 2016 als Mark 51/7 firmiert.
Juni 2014
Ein von Opel, IG Metall und Betriebsrat ausgehandelter Sozialtarifvertrag liegt vor. Er umfasst ein Budget von 552 Millionen Euro plus 60 Millionen für Investitionen in Ersatzarbeitsplätze. Eine Transfergesellschaft soll mindestens bis Ende 2016 die Opelaner vor der Arbeitslosigkeit schützen. Dazu gibt es weitere Regelungen. „Eine bessere Lösung als die jetzt erzielte ist nicht erreichbar“, heißt es bei der IG Metall.
5. Dezember 2014
Der letzte Zafira läuft vom Band – ein paar Tage früher als ursprünglich geplant. Er landet nicht im Museum, sondern wird, so der Autobauer, verkauft. Zwei der letzten Zafira stifte das Unternehmen an das Theater Total und an den Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Insgesamt wurden in 52 Jahren etwa 13,7 Millionen Fahrzeuge der Typen Kadett, GT, Manta, Ascona, Astra und Zafira gebaut. 3500 Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Mehr als 2600 von ihnen wechseln in eine vom Tüv Nord betriebene Transfergesellschaft, 265 finden eine neue Arbeit im neuen Warenverteilzentrum. Entschädigt werden die Opelaner mit Abfindungszahlungen in Höhe von maximal 250.000 und durchschnittlich 125.000 Euro – jeweils vor Steuern. Auch weitere etwa 1000 Arbeitnehmer, die für Dienstleister im Werk Bochum gearbeitet haben, sind von der Schließung betroffen.
Etwa 100.000 Autos wurden zuletzt jährlich in Bochum hergestellt, die Kapazität lag bei 250.000 Fahrzeugen. Ursprünglich hätte der Zafira, für den es kein Nachfolgemodell in Bochum gab, noch bis 2016 dort hergestellt werden sollen. Stattdessen wurde er am Stammsitz in Rüsselsheim weiter gebaut.
Die Schließung des Autowerks Bochum hat GM dem Vernehmen nach etwa 750 Millionen Euro gekostet – inklusive der Verlagerung der Zafira-Produktion nach Rüsselsheim. „Ich gehe heute eher von einer Milliarde Euro aus“, sagt Rainer Einenkel.
Laut „Auto-Professor“ Ferdinand Dudenhöffer ist Bochum Ende 2014 „aufgrund von Opel-Werkszulassungen die einzige Stadt im Ruhrgebiet, in welcher die Marke Marktführer ist.“ Allerdings sagt er voraus: „Das wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren ändern.“
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19. Juni 2015
Herbert Grönemeyer spielt ein Solidaritätskonzert für ehemalige Opelaner im Ruhrstadion: 7000 Opelaner und Angehörige sind bei freiem Eintritt dabei.
21. März 2019
Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main zieht einen Schlussstrich unter das Kapitel „Opel in Bochum“. Rainer Einenkel hatte als Mitglied des Aufsichtsrats im Dezember 2013 vor dem Landgericht Darmstadt Klage gegen die Schließung des Werks Bochum eingereicht. Er hatte stets argumentiert, das Werk sei auf Basis falscher Zahlen und durch die Entscheidung eines nicht korrekt zusammengesetzten Aufsichtsrats geschlossen worden. Nun entscheidet das OLG: Die Klage wird abgewiesen.
19. Januar 2021
Opel steigt aus der Bochum Perspektive aus. Dem Autobauer fehlen die finanziellen Mittel, um sich weiter zu engagieren. Die Anteile des Unternehmens übernimmt die Stadt Bochum als nun alleiniger Gesellschafter.
„Opel sieht sich nicht in der Lage, weitere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und weitere Risiken im Zusammenhang mit der Gewährung weiterer Fördermittel an die Gesellschaft einzugehen“, heißt es in einer Mitteilung der Stadtverwaltung. Aber: .„Opel hat all seine Verpflichtungen erfüllt“, so Ralf Meyer, Geschäftsführer der Bochum Wirtschaftsentwicklung.