Bochum. Es war ein Schock, als Opel sein Aus in Bochum ankündigte. Die Stadt hat sich aus der Schockstarre gelöst und ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Es gibt dieses Bild: Ein Mann mit Helm und Warnweste steht mutterseelenallein in einer der riesigen, leergeräumten Produktionshallen, von Kopf bis Fuß spiegelt er sich in einer Pfütze am Boden. Opel ist raus aus Bochum – geblieben ist reichlich Raum für Neues. Es passt perfekt zum Credo des Helmträgers in der Weite des Raumes: „Jede Brachfläche ist eine Chance auf Strukturwandel und Stadtentwicklung.“ Sagt Rolf Heyer.
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Er ist der Mann, der den Wandel auf 70 Hektar Opel-Land im Stadtteil Laer organisiert hat: erst als Chef der Landesentwicklungsgesellschaft NRW.Urban, die im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums eine Machbarkeitsstudie für die Opel-Flächen in Bochum erstellt hat, und dann als Kopf der eigens gegründeten Entwicklungsgesellschaft.
Für Ex-Wirtschaftsminister Duin ist der Wandel des Opel-Werks eine Blaupause für das Ruhrgebiet
„Bochum Perspektive 2022“ haben die Gründer, die Stadt Bochum (Anteil: 51 Prozent) und Opel (49 Prozent), diese Anfang 2014 ins Leben gerufene Gesellschaft getauft. Mit ihr sollte es gelingen, die vielleicht schnellste Verwandlung einer riesigen Industriebache in ein florierendes Wirtschafts- und Wissenschaftsquartier zu bewerkstelligen – und dabei sozusagen nebenbei ein von Mauern und Zäunen eingehaustes Stück Bochum in einen offenen Ortsteil zu verwandeln.
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Mehr als ein Jahrzehnt später sagt Garrelt Duin, damals Wirtschaftsminister einer SPD-geführten NRW-Regierung und mittlerweile Regionaldirektor des Regionalverbands Ruhr (RVR), im Gespräch mit dieser Redaktion über die scheinbar wundersame Wandlung von der Brache zur blühenden Landschaft: „Das ist die Blaupause, wie wir im Ruhrgebiet arbeiten müssen, damit wir Sachen schneller realisieren.“
Tempo war eine der zentralen Triebfedern, nachdem klar war, dass Opel wirklich Bochum verlässt. Nach dem Geschmack von Rainer Einenkel, einst Betriebsratschef von Opel Bochum und damit Sprecher von mehr als 3000 Beschäftigten, sind Land und Stadt beim Kampf um den Verbleib von Opel in Bochum zu früh eingeschwenkt auf den Kurs „Strukturwandel“. Das habe den US-Mutterkonzern General Motors ermutigt, die angekündigte Schließung durchzuziehen.
„Wir haben gesagt, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Wir sind solidarisch bis zum Schluss und laufen dann gemeinsam am Tag der Werksschließung hinter dem Sarg her oder wir kümmern uns darum, was am Tag danach ist. Mein Ziel war es am: Am Tag danach kommen die Bagger.“
Den Vorwurf lassen weder der frühere Wirtschaftsminister noch Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) gelten. Als die Mehrheit der Bochumer Belegschaft das Angebot einer Fristverlängerung für das Werk bis 2016 ausgeschlagen habe, sei die Marschrichtung klar gewesen, erinnert sich Duin. „Dann habe ich mich mit Carina Gödecke (Anm. d. Red.: damalige Landtagspräsidentin und Bochumerin), Thomas Eiskirch und Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz zusammengesetzt. Wir haben gesagt, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Wir sind solidarisch bis zum Schluss und laufen dann gemeinsam am Tag der Werksschließung hinter dem Sarg her oder wir kümmern uns darum, was am Tag danach ist. Mein Ziel war es am: Am Tag danach kommen die Bagger.“
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Viele Köpfe waren beteiligt, als es um die Nachfolge von Opel ging
„Wir wollten unbedingt verhindern, dass um das Werk erst ein Zaun gezogen wird und zehn Jahre lang nur Sicherheitsleute mit Schäferhunden patrouillieren“, sagt Thomas Eiskirch, seit 2015 Bochums Oberbürgermeister, in der Nachbetrachtung der Geschehnisse jener Zeit. Als die Weichen für die Bochum Perspektive gestellt wurden, war er Vorsitzender seiner Partei in Bochum und als Landtagsabgeordneter wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD in Düsseldorf. Und er war einer der Weichensteller.
„Wir wollten unbedingt verhindern, dass um das Werk erst ein Zaun gezogen wird und zehn Jahre lang nur Sicherheitsleute mit Schäferhunden patrouillieren.“
„Es waren viele beteiligt“, sagt der 54-Jährige im Rückblick. Natürlich seine Vorgängerin an der Stadtspitze, die vor kurzem verstorbene Ottilie Scholz. Natürlich auch die Mitglieder des Beirats, der im Mai 2013 ins Leben gerufen wurde. Mit ihm und einer noch kleineren Runde, die der Wirtschaftsminister zunächst zusammengerufen hatte, wurden die ersten Pläne für den Neuanfang geschmiedet. Die Experten im Beirat kamen aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaft und Wissenschaft „Ich habe gesagt, ich hole jetzt alles, was schlau ist, an einen Tisch“, so Garrelt Duin; „unabhängig vom Parteibuch“. Zum Gremium gehörte auch eine seiner Amtsvorgängerinnen: Christa Thoben, CDU-Mitglied und Bochumerin.
Ruhr-Uni-Rektor Elmar Weiler war dabei, IG-Metall-Bezirkschef Knut Giesler. Und Arndt Kirchhoff, Unternehmer aus dem Sauerland und Chef des NRW-Unternehmerverbands. „Er hat uns erklärt, dass die Opel-Hallen für eine moderne Produktion nicht geeignet sind und abgerissen werden sollten.“ Und so ist es dann auch gekommen.
Opel verkaufte die Fabrik in Bochum für einen symbolischen Euro
Erst hat Opel die Fabrik, die es für einen symbolischen Euro an die Entwicklungsgesellschaft verkauft hat, geräumt und die Lackiererei abgebaut. Und dann wurden alle anderen Gebäude dem Erdboden gleichgemacht, bis auf die Verwaltung mit ihrer markanten Rotunde und dem nahe gelegenen Gebäude der ehemaligen Acetylen-Erzeugung. Beide stehen unter Denkmalschutz.
Womit wir wieder bei dem Mann mit Helm vom Foto wären: „Rolf Heyer hat eine wichtige Rolle gespielt“, sagt Garrelt Duin; sowohl bei der Ausrichtung des Geländes mit den Schwerpunkten Wissenschaft, Industrie, IT und Logistik als auch bei der konkreten Umgestaltung: Stück für Stück wurden die 70 Hektar Land auf Löcher und Verschmutzung im Boden untersucht, wurden erst sämtliche Schadstoffe aus den Gebäuden entfernt und dann abgerissen. Etwa 870.000 Kubikmeter kontaminierter Erde, der größte Teil davon Hinterlassenschaften der Zeche und der Kokerei Dannenbaum aus der Zeit vor Opel, werden am Ende im Stadtteil Laer ausgebaut und 806.000 Kubikmeter nach ihrer Aufbereitung wieder eingebaut sein.
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Umbau des Geländes in Bochum eine „logistische Meisterleistung“
Die Infrastruktur wie Straßen, Bürgersteige, Ver- und Entsorgungsleitungen wurden gelegt und zum Teil ohne große Zeitverzögerung auf den verkauften Teilgeländen von den neuen Eigentümern Gebäude hochgezogen. „Eine logistische Meisterleistung“, lobt Bochums OB Eiskirch.
Die allerdings erst durch finanzielle Hilfe vom Land möglich wurde. Beinahe den kompletten Betrag von zwei Jahren des Fördertopfs „Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung“ (GRW) hat Düsseldorf nach Bochum vergeben, insgesamt etwa 70 Millionen Euro. Sie bilden einen beträchtlichen Teil der Sanierungskosten für das Werksgelände von weit mehr als 100 Millionen Euro. „Diese Mittel in einer Stadt zu konzentrieren, damit macht sich landesweit nicht beliebt“, erinnert sich der Oberbürgermeister.
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Mehrere Meilensteine hat es im Laufe der Zeit gegeben. So etwa den Verkauf der ersten Fläche an DHL. Häme und Schelte hagelte es dafür gleichermaßen in Düsseldorf und Bochum. Der Vorwurf: Wertvolles Land wird verschleudert für zu wenige und vor allem für wenig zukunftsträchtige Arbeitsplätze.
Weltkonzerne haben Tochter-Gesellschaften in Bochum angesiedelt
Aber diesen Ankerinvestor präsentieren zu können, habe viele Tore geöffnet, sagen die Macher von damals. Dies – und aus Sicht von Thomas Eiskirch auch die Bindung von Bosch an Bochum, der Technologiekonzern hat sich mit seiner Software-Tochter Etas in Laer niedergelassen – hätten nachhaltig dazu beigetragen, die Stimmung in einer Stadt zu drehen, die nach dem Nokia-Aus und dem drohenden Verlust von Opel im wirtschaftlichen Sinkflug und im emotionalen Tief war. „Das ist fast das Schwierigste“, sagte er. „Die Abwärtsspirale aufzuhalten und den Impuls in die andere Richtung zu geben.“
Am Ende ist es wohl gelungen: mit Ansiedlungen von IT-Tochtergesellschaften der Weltkonzerne Volkswagen und Bosch, mit Bürogebäuden der Immobilienentwickler Landmarken und Harpen, mit Forschungseinrichtungen der Ruhr-Uni wie „Zess“ und „Think“, mit Hightech-Firmen wie Physec, CGI und Keysight, mit wirtschaftlichen Riesen wie DHL (Logistik) und Viactiv (Gesundheitswesen), mit Wärmepumpenhersteller Waterkotte und mit jenen, die noch kommen werden: Immobilienentwickler Bremer, ein Max-Planck-Institut und und und.
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Geholfen hat dabei das Momentum; mitten in einer Zeit aufzubrechen, in der die Zeichen im ganzen Land auf Wachstum standen. Und geholfen hat auch ein Imagewechsel. „Bis in diese Zeit hinein hatten wir ein Image, Investoren nicht mit den offensten Armen zu empfangen, so ehrlich muss man sein“, sagt Thomas Eiskirch. „Das haben wir verändert.“
Rund 3000 Jobs wurden auf dem Ex-Opel-Gelände in Bochum geschaffen
Im Sommer 2025 ist die Bochum Perspektive mit ihrem Job fertig. Nach dem Ausstieg Opels 2021 ist sie alleinverantwortlich für den Umbau des Areals, das so groß wie 100 Fußballfelder ist. 2025, das ist drei Jahre später als im ursprünglichen Namen verheißen, aber im Vergleich zum Umbau anderer Hinterlassenschaften der klassischen Industrie immer noch extrem schnell.
Etwa 3000 Jobs wurden bislang dort geschaffen, ungefähr so viele wie es zuletzt noch bei Opel gab; wenn auch fast ausschließlich gänzlich andere. Am Ende, wenn alle Grundstücke bebaut und alle Ansiedlungen erfolgt sind, sollen es noch einige Tausend Stellen mehr sein: „Ich würde mir wünschen, dass es uns gelingt, mehr als 10.000 Menschen auf der Fläche zu beschäftigten“, sagt Thomas Eiskirch. „Was mich aber am allermeisten freuen würden, wenn es bei den Bochumerinnen und Bochumern dazu führen würde, zu sagen, ‚Mensch, wir können richtig was‘; und wenn wir mit dieser Denkweise unsere Stadt weiterentwickeln.“
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Einige Kilometer weiter westlich denkt Garrelt Duin derweil daran, die Überlegungen von der Blaupause weiterzuspinnen. „Wir müssen darüber nachdenken, eine tatsächliche Flächenentwicklungsgesellschaft im Ruhrgebiet zu haben“, sagt er. Eine „Ruhrgebiet Perspektive“ sozusagen.