Bochum. Er hat lange verbissen gegen die Schließung des Opel-Werks in Bochum gekämpft. So blickt Ex-Betriebsratschef Rainer Einenkel heute darauf.

Das Foto ist ein Muss. Rainer Einenkel steht vor dem fünfgeschossigen Backsteingebäude mit der markanten Rotunde und blickt in die Kamera. Fast ist es so wie früher, als der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von Opel Bochum mehr als einmal vor dem Verwaltungstrakt abgelichtet wurde. Einziger Unterschied: Früher stand „Opel“ obendrauf, heute „O-Werk“.

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Fast zehn Jahre nach der Schließung des Autowerks im Stadtteil Laer steht auf dem 70 Hektar großen früheren Werksgelände kaum mehr ein Stein dort, wo er früher einmal gestanden hat. Die einzigen Ausnahmen: das Verwaltungsgebäude und die benachbarte kleine Acytelen-Erzeugung. Beide Häuser sind denkmalgeschützt.

Opel-Aus: Für Rainer Einenkel ist die Schließung immer noch „absoluter Wahnsinn“

Wir stehen vor der Rotunde. Und dann kommt Rainer Einenkel ins Erzählen. Sein Büro sei in der dritten Etage gewesen, genau über dem des Werksleiters. Der sei nicht selten zu ihm nach oben gekommen und habe die neuesten Entwicklungen im Konzern erfahren wollen, von denen der Betriebsratschef durch seine Aufsichtsratsmitgliedschaft früher gewusst habe als der Standortleiter.

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Schön wäre es, wenn wir ein Foto oben machen könnten. „Warum versuchen wir das nicht?“, sagt der 70-Jährige aufgekratzt. Also fahren wir mit dem Aufzug hoch und klopfen beim Zentrum für Digitale Souveränität an. Einenkels Büro existiert nicht mehr. Statt der „Zellen“, die früher links und rechts von einem Mittelgang aus angeordnet waren, gibt es großzügige, offene Räume. Aber das Fenster, an dem Rainer Einenkel bis 2014 mehr als einmal sorgenvoll hinunter auf den großen Parkplatz und einen Teil des Werks gesehen haben dürfte, gibt es noch. Und dort stellen wir ebenso ein Foto nach wie zuvor unten vor dem Gebäude.

Blick aus „seinem“ Bürofenster. Früher hat Rainer Einenkel von dort aus vor allem den großen Opel-Parkplatz und einen Teil des Autowerks gesehen. Heute schaut er auf den O-Werk-Campus der Landmarken AG.
Blick aus „seinem“ Bürofenster. Früher hat Rainer Einenkel von dort aus vor allem den großen Opel-Parkplatz und einen Teil des Autowerks gesehen. Heute schaut er auf den O-Werk-Campus der Landmarken AG. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Rainer Einenkel hat sich kaum verändert. Äußerlich nicht. Und auch ansonsten allem Anschein nach nicht; jedenfalls nicht, soweit es ein Journalist, der beruflichen Kontakt mit ihm hatte, es beurteilen kann. Schlank, entspannt, geradezu lässig. So wie früher fakten- und meinungsstark. Aber offenbar ohne Groll, den er bei dieser Gelegenheit unbedingt loswerden müsste. „Das Leben geht weiter“, sagt er. „Die Verantwortlichen, die das damals betrieben haben, sind nicht mehr da. General Motors hat nichts mehr zu sagen. Die anderen, die bei Opel Verantwortung getragen haben, sind auch nicht mehr da. Die waren auch nicht die Herren der Entscheidung. Die wurde woanders getroffen, nämlich in Detroit.“

Bis zu einer Milliarde Euro soll die Werksschließung gekostet haben

Vorbei. Aber nicht vergessen. In der Sache hat sich aus Sicht des gebürtigen Sachsen, der seit mehr als 40 Jahren in Witten lebt, nichts geändert. „Wir waren absolut produktiv und eines der wenigen europäischen Opel-Werke im Dreischichtbetrieb. Bochum zu schließen, war eine politische Entscheidung.“ 750 Millionen Euro soll das General Motors gekostet haben. „Das war die offizielle Zahl. Man schätzt, dass bis zu einer Milliarde Euro dafür benötigt wurde, um das Bochum­er Werk zu schließen; die teuerste Werksschließung von Opel und General Motors überhaupt. Und das ist absoluter Wahnsinn.“

Wenige Tage vor der Werksschließung im Dezember 2014: Betriebsratsvorsitzender Rainer Einkenkel steht vor dem Werkstor, hinter ihm das heute denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude.
Wenige Tage vor der Werksschließung im Dezember 2014: Betriebsratsvorsitzender Rainer Einkenkel steht vor dem Werkstor, hinter ihm das heute denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude. © WAZ FotoPool / Ingo Otto | Ingo Otto

Einenkels Argumentationskette sieht heute genauso aus wie früher: Managementfehler hätten dafür gesorgt, dass Opel von 20 auf sechs Prozent Marktanteil gerutscht ist. Zu viele Werke seien in Europa eröffnet und später dann Produktionen ausgelagert worden, um Kosten zu sparen. Damit einher sei aber auch ein Qualitätsverlust gegangen, der wiederum den Absatz nach unten gedrückt habe. Eine Abwärtsspirale, für die Standorte und Beschäftigte teuer bezahlen mussten. „Damals war schon klar, dass wir irgendwann mal in die Gefahr reinrutschen, dass diese Fehlentwicklungen über die Belegschaften aufgefangen werden müssen. Das war Ende der 90er Jahre“, sagt der Ex-Betriebsratschef.

Das Opel-Autowerk in Bochum-Laer im Februar 2012. Fast alle Gebäude sind verschwunden; bis auf die Opel-Verwaltung (vorne Mitte) und ein weiteres kleines Gebäude.
Das Opel-Autowerk in Bochum-Laer im Februar 2012. Fast alle Gebäude sind verschwunden; bis auf die Opel-Verwaltung (vorne Mitte) und ein weiteres kleines Gebäude. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Opel-Belegschaft schmolz wie Schnee in der Sonne

Von da an ging es bergab. Die Belegschaft von damals noch knapp 10.000 Frauen und Männern schmolz so schnell wie Schnee in der Sonne. Angekreidet haben Kritiker dem Aushängeschild der Arbeiter dann vor allem, dass er einen Deal mit GM ausgeschlagen habe. „In dem Vertrag stand die lockere Zusage, dass eine Möglichkeit besteht, bis 2016 mit einer kleinen Belegschaft zu produzieren. Parallel dazu wurde aber in Rüsselsheim die Zafira-Produktion aufgebaut, die man ja dann aus Bochum herausholen konnte. Das war der Punkt, an dem ich auch meinen eigenen Betriebsratskollegen erklärt habe, das ist ein ganz mieses Spiel. Ihr selber sorgt dafür, dass mit Mehrarbeit die Produktion von Bochum nach Rüsselsheim verlagert wird und erklärt mir gleichzeitig, ich soll dem tollen Vertrag zustimmen, der noch einigen wenigen Leuten eine gewisse Perspektive gibt. Und: General Motors hätte jederzeit sofort aus dem Vertrag aussteigen können.“ Das war für ihn nicht akzeptabel.

Gerichte weisen Einenkels Klage gegen die Werksschließung ab

Wie auch der Beschluss des Unternehmens, Bochum dicht zu machen. Er klagte 2013 als Mitglied des Aufsichtsrats, nur in dieser Funktion sei das möglich gewesen, vor dem Landgericht Darmstadt gegen den Beschluss. Sechs Jahre später, das Werk war längst Geschichte, hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main wie schon zuvor das Landgericht die Klage abgewiesen.

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Juristisch waren Opel und General Motors damit aus dem Schneider. Ein bisschen fühlt sich Rainer Einenkel trotzdem als Sieger. „Es hieß, die Klage ist berechtigt, wird aber zurückgewiesen. Aber es gebe ein ausdrückliches Revisionsrecht; so nach dem Motto, es müsste jemand eine Entscheidung treffen, aber wir als OLG trauen uns nicht, dies zu tun“, erinnert er sich an die Urteilsbegründung. Und: Das Unternehmen musste alle Kosten übernehmen. „Dass die Klage abgewiesen wird und Opel trotzdem bezahlen muss, das war für mich interessant. Damit hätte ich nicht gerechnet. Mein Anwalt auch nicht. Ich habe 24.000 Euro wieder zurückbekommen. Und ich habe meine Anwaltskosten, etwa 20.000 Euro, von Opel gekriegt.“

„Schöne und saubere Arbeitsplätze“ gebe es heute auf dem Gelände des früheren Opel-Werks, räumt Rainer Einenkel ein. Aber der Region fehlten Industriearbeitsplätze. Auf Mark 51/7 gibt es nur etwa 200 im Werk des Wärmepumpenherstellers Waterkotte (o.l.).
„Schöne und saubere Arbeitsplätze“ gebe es heute auf dem Gelände des früheren Opel-Werks, räumt Rainer Einenkel ein. Aber der Region fehlten Industriearbeitsplätze. Auf Mark 51/7 gibt es nur etwa 200 im Werk des Wärmepumpenherstellers Waterkotte (o.l.). © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Vom einstigen Werksgelände ist nicht mehr viel zu sehen

Ortswechsel. Einenkel lässt seinen Blick aus der ersten Etage eines Schnellrestaurants an der Wittener Straße auf das einstige Werksgelände schweifen. Zu sehen sind moderne Gebäude, Kräne und geschäftiges Treiben. Bis zu 10.000 Menschen soll hier in einigen Jahren einmal arbeiten – mehr als dreimal so viel wie zuletzt die Opel-Stammbelegschaft.

Die Frage an den Ex-Opelaner, der sich wie so viele vehement gegen die Werksschließung gestemmt hat, lautet daher unweigerlich: War es vielleicht doch nicht so schlecht, nach Bergbau und Industrie hier den nächsten Strukturwandel einzuläuten?

Mark 51/7 ist schön und sauber, hat „aber keine Industrie-Arbeitsplätze“

„Das sind schöne, saubere Arbeitsplätze, die man jetzt hier findet“, räumt Rainer Einenkel ein. „Aber es fehlen Industrie-Arbeitsplätze. Wir haben in der Region immer weniger davon. Das verarbeitende Gewerbe findet momentan keinen Platz. Und deswegen hätte Opel eine weitere gewaltige Rolle gespielt, weil es auch eine große Zuliefererindustrie gab, die gleichermaßen hier angesiedelt war.“ Aus seiner Sicht sind es verpasste Möglichkeiten.

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Rainer Einenkel fährt immer noch keinen Opel, das hatte sich die Familie nach dem Werks-Aus verbeten. Er spricht voller Hochachtung – wenige Tage vor deren Tod und offenbar in Unkenntnis ihrer Erkrankung – von der früheren Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz, die immer an der Seite der Opelaner gestanden habe. Und er bittet mich am Ende des Gesprächs, ich möge doch Garrelt Duin grüßen, mit dem es einige Tage später in Sachen Opel-Nachfolge zu einem Termin kommen sollte.

Auf die Frage, wie gut denn sein Verhältnis zum früheren NRW-Wirtschaftsminister gewesen sei und ob dieser der Opel-Belegschaft geholfen habe, sagt Einenkel: „Es reicht, wenn Sie ihn grüßen.“

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