Schwarzenbek. Aufsteiger in die Fußball-Landesliga erwischt einen Traumstart. Was der Erfolg der Europastädter mit Muhammad Ali zu tun hat.
Schwarzenbek am Sonntagnachmittag, das ist ein beschaulicher Ort. Im Wohngebiet nahe dem Sportplatz spielen drei Kinder mitten auf der Straße. In der Schützenallee führt eine Dame ihren Hund mit dem Fahrrad aus. Mühsam bahnt sie sich ihren Weg an den parkenden Autos entlang. Die nachfolgenden Fahrzeuge warten geduldig, denn es geht nun einmal nicht schneller, als ihr kleiner Vierbeiner zu laufen vermag. Eine Idylle der Entschleunigung.
Ob sich die Gäste vom Fußball-Landesligisten Hamm United aus dem hektischen Hamburg von dieser beschaulichen Szenerie wohl haben einlullen lassen, als sie am 4. August zum Auswärtsspiel beim SC Schwarzenbek anreisten? Auf jeden Fall verlieren sie die Begegnung beim Aufsteiger sang- und klanglos mit 0:4 und dürften hinterher selbst nicht so genau gewusst haben, warum. Für die Gastgeber ist es der perfekte Saisonstart: Sie stürmen gleich an die Tabellenspitze.
Aufsteiger SC Schwarzenbek stürmt gleich an die Tabellenspitze
„Ich bin überwältigt“, gibt SCS-Trainer David Martensen hinterher im Mannschaftskreis zu. „Es ist wichtig für uns zu lernen, dass genau das die Tage sind, warum wir das hier alles tun.“ Vergessen war die frustrierende Vorbereitung. Gegen die schleswig-holsteinischen Verbandsligisten Trittau (2:3) und Büchen-Siebeneichen (2:4) hatte es ebenso Niederlagen gesetzt wie gegen die Landesligisten SV Eichede II (1:2) und USC Paloma II (0:3). Und gegen den Oberligisten VfB Lübeck II, eine U-21-Auswahl, brachten die Schwarzenbeker eine 3:1- und 4:2-Führung nicht ins Ziel, spielten noch 5:5.
Das alles war nicht gerade dazu geeignet, das Selbstbewusstsein vor dem Sprung in das Abenteuer Landesliga zu stärken. Sieben Jahre lang, seit dem Abstieg im Sommer 2017, wurde in der Europastadt kein Sechstliga-Fußball mehr gespielt. Als die Schwarzenbeker das letzte Mal in der Landesliga spielte, kickte der heutige SCS-Stürmer Moritz „Möhre“ Froböse noch in der D-Jugend, das Clubhaus war abgebrannt und der Kunstrasen existierte noch nicht.
„Wir sind der Underdog. Niemand rechnet mit uns.“
Und nun grüßen sie gleich von der Tabellenspitze. Das ist nicht weniger als eine Sensation. „Wir haben Hamm United vorher sehr genau studiert“, verriet Martensen. „Das ist aufgegangen.“ Und Mannschaftskapitän Viktor Schner, mit 30 Jahren neben Keeper Lucas Scheunemann (31) der Erfahrenste im Team und einer, der den SC Schwarzenbek in- und auswendig kennt, denn er ist hier an der Schützenallee als Jugendfußballer groß geworden, mahnte seine Teamkollegen im Mannschaftskreis: „Wir sind der Underdog. Niemand rechnet mit uns. Es werden andere Gegner kommen, aber wir dürfen niemals auch nur ein bisschen weniger geben als heute.“
Ihre enorme Einsatzbereitschaft war einer der Schlüssel zum Erfolg. Die Schwarzenbeker legten los wie die Feuerwehr und hatten durch Darijo Kramer und Maximilian Menger schon in der Anfangsphase zwei Großchancen, die sie aber nicht nutzen konnten. Doch nach einer von den Gästen zu kurz abgewehrten Ecke war dann SCS-Verteidiger Lennart Jacobsen per Kopf mit dem 1:0 zur Stelle (11.).
Die Schwarzenbeker machten es wie einst Muhammad Ali
Zu dem enormen Engagement trat eine taktische Cleverness, die von einer erstaunlichen Reife des jungen Teams zeugt. Einmal in Führung, agierten die Schwarzenbeker wie ein Boxer, der sich im Bewusstsein, nach Punkten vorn zu liegen, tief in die Seile lehnt und seinen Gegner kommen lässt. Die Spieler von Hamm United lernten nun die ganze Größe des Kunstrasens kennen, denn da waren plötzlich Räume und Wege, doch egal, wohin sie auch liefen, immer war noch ein Schwarzenbeker da, um den finalen Pass zuzustellen, den Schuss zu blocken oder einen Zweikampf zu führen.
Waren die Hausherren dann einmal in Ballbesitz, ging es blitzschnell. Überfallartig wie einst Muhammad Ali, als er aus den Seilen heraus seinen Widersacher George Foreman k. o. schlug, jagten sie nach vorn und setzten den entscheidenden Punch. Maximilian Menger vollendete einen Bilderbuch-Angriff zum 2:0-Pausenstand (37.).
Im Hochgeschwindigkeits-Modus zu den Treffern Nummer drei und vier
Wohl niemand unter den rund 150 Zuschauern an der Schützenallee traute dem Braten zur Pause so recht. Sollte das hier wirklich so weitergehen? Oder würden sie es noch vermasseln wie damals gegen Lübeck? Doch wer Bennet Zaske sah, wie er nach der Pause wieder den Kunstrasen betrat, sich in alle Richtungen drehte und seine Mitspieler mit grimmiger Inbrunst anbrüllte: „Kommt, Männer!“, der ahnte schon, dass es hier keine Selbstzufriedenheit, kein Nachgeben im Gefühl des sicheren Sieges geben würde.
Unsere Vorschau-Serie „Anstoß“ im Überblick
- TuS Dassendorf
- ETSV Hamburg
- SC Vier- und Marschlande
- SV Curslack-Neuengamme
- Düneberger SV
- SV Altengamme
- FC Voran Ohe
- VfL Lohbrügge
- SC Schwarzenbek
- Barsbütteler SV
- SV Börnsen
- SC Wentorf
- SV Hamwarde
- TSV Glinde
- SV Nettelnburg/Allermöhe
- Atlantik 97
- TuS Aumühle-Wohltorf
- TSV Reinbek
- Escheburger SV
- TSG Bergedorf
Im Gegenteil, sie blieben im Hochgeschwindigkeits-Modus. Moritz Froböse, der vor einer Woche erst 18 Jahre alt geworden ist, leitete einen dieser Konterangriffe ein. Über den ebenfalls bärenstarken Darijo Kramer und Daniel Rohroff landete der Ball am Fünfmeterraum wieder bei ihm, und „Möhre“ brauchte nur noch den Fuß hinzuhalten, um zum 3:0 zu vollenden (83.). Das war gerade mal fünf Minuten nach seiner Einwechslung.
Moritz Froböse und Henry Hinsch: Kaum auf dem Platz, schon als Torschützen gefeiert
„Das kann ich auch“, dürfte sich Henry Hinsch draußen auf der Bank gedacht haben. Und tatsächlich: Er war sogar noch schneller. Gerade mal drei Minuten – in Worten: DREI Minuten – nach seiner Einwechslung vollendete Hinsch einen weiteren dieser Konter zum 4:0-Endstand (90.+3). „MVP“, schrie Verteidiger Lennart Jacobsen begeistert von hinten. Doch der Most Valuable Player, das war Jacobsen wohl eher selbst, weil er mit dem 1:0 für den Dosenöffner gesorgt hatte. Oder Dauerläufer Maximilian Menger. Oder Vorkämpfer Bennet Zaske. Oder Lucas Scheunemann, der seinen Kasten sauber hielt. Oder, oder, oder.
Sie sind wieder da. Und jetzt weiß es die ganze Landesliga: Der SC Schwarzenbek ist sogar voll da. Am kommenden Sonnabend gibt sich der neue Tabellenführer die Ehre im Auswärtsspiel beim SC Vier- und Marschlande (15 Uhr, Fünfhausen). Dann auf Naturrasen. Und ganz egal, wie das in den kommenden Wochen für die Schwarzenbeker läuft: Diesen Moment, „für den wir das hier alles machen“, wie Coach Martensen sagte, den nimmt ihnen niemand mehr.