Siegen. „Er erkannte, dass sie in seiner Gegenwart dazu bereit war, Sex mit einem anderen zu haben“: Deshalb ermordete der Syrer (24) seine Ex heimtückisch.

Das Siegener Landgericht hat den Angeklagten (24) am Mittwoch, 7. August, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Überzeugung der 1. großen Strafkammer hat der Syrer im August 2023 die damals 23-jährige Mutter seiner beiden Kinder auf einem Feldweg nahe der niederländischen Grenze grausam mit einem Messer ermordet. Das Gericht ist damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage gefolgt. Die Verteidigung hat angekündigt, in Revision zu gehen.

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Vor der Urteilsverkündung ist bereits der Wartebereich vor Saal 165 im Landgericht voll. Journalisten drängeln sich an der Sicherheitsschleuse um die besten Plätze, drinnen sind alle Plätze im Zuschauerbereich besetzt. Der gefesselte Angeklagte lässt das Blitzlichtgewitter der Kameras mit grimmiger Miene über sich ergehen. Sein Bart ist noch struppiger geworden, die Schultern hängen. Als die Vorsitzende Richterin das Urteil verkündet, senkt der 24-Jährige den Blick, der Kopf zuckt, er wendet sich seinem Verteidiger zu. Dann hat er sich wieder im Griff, folgt den Ausführungen der Richterin weitgehend reglos.

Mordprozess Landgericht Siegen: Er wollte sie auf die Probe stellen, ob sie‘s wirklich macht

Die Familie der Getöteten hat ihre Blicke auf ihn geheftet. Vater, Mutter und Schwester der Getöteten, sind im Prozess als Nebenkläger aufgetreten, sie kämpfen mit den Tränen. Sie seien sehr glücklich, dass er nicht mehr auf freien Fuß kommen werde, wird die Schwester nachher zu einer Reporterin sagen.

Ziemlich genau ein halbes Jahr hat der Prozess gedauert. Die Vorsitzende rekapituliert am Mittwoch die Vorgeschichte; seine wohl schwere Kindheit in und die Flucht aus Syrien, die von permanentem Streit geprägte An-Aus-Beziehung zur Mutter der beiden gemeinsamen Kinder, die sich in den Wochen vor ihrer Ermordung weiter verschärfte. Bei der Geburt der jüngeren Tochter, wenige Wochen vorher, durfte er schon nicht dabei sein. Und sie zeichnet den Tatablauf nach: Wie das (Ex-)Paar auf der Fahrt nach Holland darüber sprach, dass sie Sex mit anderen Männern haben wolle, auch in seiner Gegenwart. Dass sie das immer wieder einforderte - denn er ginge ja schließlich auch fremd. „Er wollte sie auf die Probe stellen, ob sie‘s tatsächlich macht“, so Dreisbach, deswegen habe er den gemieteten BMW auf den Feldweg gesteuert.

„Er erkannte, dass sie in seiner Gegenwart dazu bereit war, Sex mit einem anderen zu haben.“

Elfriede Dreisbach
Vorsitzende Richterin

Sie machte es wohl tatsächlich. Sie küssten sich, dann forderte er sie auf, vor ihm mit dem Mitfahrer, dem späteren Hauptbelastungszeugen, Sex zu haben. Was sie auch tat: Sie kniete sich hin, öffnete die Hose des anderen Mannes. Womit er wohl nicht gerechnet hatte. „Er erkannte, dass sie in seiner Gegenwart dazu bereit war, Sex mit einem anderen zu haben.“ Da habe er beschlossen, sie zu töten. Unbemerkt von ihr holte er ein Messer aus dem Auto, kehrte zurück und stach ihr von hinten in den Hals. Sie erhob sich sofort, versuchte die Klinge abzuwehren, flehte: „Bitte bring mich nicht um, ich habe kleine Kinder!“ Er fügte ihr weitere schwere Wunden an Hals und Händen zu, sie konnte noch ein paar Schritte zurückweichen, bevor sie zusammensackte. Er stach am Boden weiter auf sie ein.

Mordprozess Siegen: Auf diese Beweise und Zeugen stützt sich das Landgericht beim Urteil

Der Zeuge stand nach Überzeugung des Gerichts noch hinter dem Auto, sah vieles, aber nicht alles. „Er war entsetzt, hat aber nichts getan“, so die Richterin. Danach half er dem Täter, sich zu waschen, das Auto zurück nach Siegen zu fahren, zu reinigen, zurückzugeben, die Kinder bei den Großeltern abzusetzen, die Tatwaffe zu vergraben. Dass der Zeuge die Frau getötet habe, weil sie etwas gegen ihn wegen seiner Schleusertätigkeit in der Hand habe, wies das Gericht zurück: Das Motiv überzeuge in keiner Weise, es gebe keine Anhaltspunkte für eine vorherige Verbindung zwischen der Getöteten und dem Zeugen. Er habe zwar wiedersprüchliche Aussagen gemacht, das Kerngeschehen aber immer konstant geschildert. Abweichungen seien durch die lange Zeit erklärbar und dass der Zeuge „emotional angegriffen“ war. Auch für Absprachen der anderen Belastungszeugen, zu denen der Angeklagte unmittelbar nach der Tat Kontakt hatte - zu ihnen habe er gesagt, dass er seine Frau umgebracht habe, um seine Ehre zu waschen - gebe es keine Gründe.

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Die Kammer stützt das Urteil im Wesentlichen auf die Aussage des Zeugen, dazu Standort- und Türöffnungsdaten des BMW, Überwachungsvideos von Tankstellen und Waschanlage. Die Angaben der damals 4-jährigen Tochter, die die Tat mitansehen musste, habe das Gericht sehr vorsichtig gewertet: Nur das, was sie anderen von sich aus, spontan und ohne Nachfrage erzählte - immer sinngemäß „Papa hat Mama totgemacht“ - wurde berücksichtigt. Verteidiger Trode hatte auf die richterliche Vernehmung des Kleinkinds verwiesen, wo es auf Nachfrage auch sagte, dass der andere Mann die Mama getötet habe. Zu viele suggestive Einflüsse, begründet das die Vorsitzende: Wenn man bei einem so kleinen Mädchen immer wieder nachfrage, denke es, dass etwas Falsches erzählt wurde - und biete deshalb eine andere Version an.

Landgericht Siegen: Mordmerkmal Heimtücke erfüllt - sie konnte ihn nicht sehen, ahnte nichts

Auf dem Handy der Getöteten fand sich ein Foto, das den Angeklagten mit einem Bowiemesser zeigt, mutmaßlich die spätere Tatwaffe. Es gibt Zigarettenstummel vom Tatort mit DNA-Spuren vom Angeklagten, vom Opfer und vom Zeugen. Der Angeklagte war mithin der Täter, stellt das Gericht fest. Er habe den Mord zwar nicht vor Gericht, aber vor Zeugen zugegeben. Anders als behauptet habe er keine Drogen genommen, sei direkt nach dem Mord klar und fokussiert gewesen. Das Mordmerkmal der Heimtücke sei erfüllt: Sie war arg- und wehrlos, als er sie von hinten angriff, während sie kniete. Und wusste das auch. „Streit zwischen ihnen war normal, Drohungen an der Tagesordnung“, so die Vorsitzende; die Getötete sei keine „Untergebene“ gewesen, habe für sich vehement gleiche Rechte gefordert. „Sie ist nachts mit den Kindern zu ihm ins Auto gestiegen“, sie habe ihn geküsst, sich dann vor dem anderen Mann hingekniet - „das sind keine Anzeichen von Angst“, so Dreisbach als Replik auf das Plädoyer der Verteidigung, der die Arglosigkeit der jungen Frau bezweifelt hatte.

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Genau 359 Tage nach der Tat ist der Fall nun abgeschlossen - vorläufig: „Ja klar“, sagt Verteidiger Andreas Trode auf die Frage nach der Revision. Die Gründe hatte der Anwalt in seinem Plädoyer bereits angedeutet: Er hält den Hauptbelastungszeugen für nicht glaubwürdig genug; manche, aus seiner Sicht entscheidende Aspekte des Falls seien vor Gericht nicht ausreichend behandelt worden.