Siegen. Vor Landgericht Siegen wird grausamer Mord an junger Mutter verhandelt. Viele Fragen sind noch offen. Der Überblick über den bisherigen Prozess.

Brutalität und Heimtücke dieser Tat sind schockierend: Eine junge Frau, Mutter zweier Kinder, wird nachts in einem dunklen Wald hinterrücks ermordet, mutmaßlich von ihrem bereits vorher gewalttätigen Ex-Freund, der sie in diesem Moment zu Sex mit einem Fremden gezwungen haben soll. Ihre ältere gemeinsame Tochter (4) muss das wohl mitansehen, wird davon schwer traumatisiert. Das wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten (zur Tatzeit 23) vor, der sich seit Februar vor dem Landgericht Siegen wegen Mordes verantworten muss. Bisherige Zeugenaussagen und Indizien bestätigen im Wesentlichen diesen Tatablauf (wir berichteten) – und auch die gewalttätige Vorgeschichte in der Beziehung des Paares.

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Dennoch gibt es bisher in diesem Prozess zahlreiche Fragen, die noch nicht schlüssig beantwortet worden sind. In der Beweisaufnahme wird das auch durch die Fragen der 1. Großen Strafkammer deutlich, die später auch die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu bewerten hat.

Der Augenzeuge: Todesfahrt von Siegen nach Holland und zurück - zahlreiche Ungereimtheiten

Da ist zum einen der Hauptbelastungszeuge. Er sei von Siegen aus mit Angeklagtem, späterem Opfer und den kleinen Kindern mitgefahren, habe bei einer Pause kurz vor der deutsch-niederländischen Grenze den Mord mitangesehen, sagte er bislang aus. Im Unklaren bleibt zunächst, warum ihm nichts an dieser Fahrt komisch vorkam; mit wildfremden Menschen, mitten in der Nacht. Wenn es ein Ausflug war – warum sollte er dann überhaupt mitkommen? Warum sollte er das Auto zurückfahren, wie wollte die Familie zurückkehren? Kam es ihm nicht seltsam vor, dass der Angeklagte – der angeblich seinen Führerschein verloren hatte – den ganzen Hinweg am Steuer saß? Warum fuhr er klaglos mit zurück nach Siegen, mit dem Mann, der gerade seine Ex-Freundin getötet hatte? Half ihm noch dabei, Tatwaffe und Handy der Toten zu vergraben, das Mietauto zu waschen und zurückzubringen – und fuhr dann angeblich nach Frankfurt, um sich das Geld für die Todesfahrt von einem Cousin oder Bekannten des Angeklagten abzuholen? Vor Gericht begründet er das mit seinem ausgiebigen Drogenkonsum vor und nach der Tat, dem Schock und dass der Beschuldigte ihn zumindest unterschwellig nachher die ganze Zeit mit dem Messer bedroht habe. Auch sei ihm gesagt worden, dass er nun Mittäter sei und daher besser schweige.

In Saal 165 des Siegener Landgerichts wird der Prozess wegen der Ermordung einer 23-jährigen Frau geführt (Archiv).
In Saal 165 des Siegener Landgerichts wird der Prozess wegen der Ermordung einer 23-jährigen Frau geführt (Archiv). © WP | Hendrik Schulz

Womöglich werden die Fragen nach einer Mitschuld des Zeugen in einem eigenen Prozess geklärt: Mehrfach wurde im Landgericht angedeutet, dass der Mann in dieser Sache selbst noch zum Angeklagten werden könnte. Wegen illegaler Einschleusung Geflüchteter steht er parallel bereits selbst vor dem Landgericht.

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Bezüglich eines möglichen Motivs und zum Hintergrund der Tat lässt der Zeuge sich auf Nachfrage zu einer Aussage hinreißen: Der Angeklagte, der sich zumindest beim Prozessauftakt selbst noch als streng islamisch darstellte (Bart, Kopfbedeckung, „verheiratet nach islamischem Ritus“, aber nicht mit der Getöteten) habe nach seiner Kultur, nach seiner Tradition gehandelt, sagt der Mann. „Sie wollte ihm fremdgehen, das wollte er nicht.“ Wenn er von ihr Sex mit anderen Männern verlangt, geht sie fremd?, fragt die Vorsitzende etwas ungläubig. „Ja.“ Ein weiterer Zeuge, dem der Mitfahrer von der Tat erzählte und der später ausgerechnet mit dem Angeklagten in einer Gefängniszelle saß, hatte ähnliches berichtet: Er habe auf die Frau eingestochen, um seine Ehre wieder reinzuwaschen, sagte er im Prozess.

Die Spuren: War der Fundort der Leiche in Emmerich-Elten wirklich der Tatort?

Unklarheiten gibt es auch bezüglich der Spurenlage am Fundort, so wie sie sich anhand der Aussagen bislang darstellt. Nach derzeitigem Stand war der Feldweg neben der Autobahn in Emmerich-Elten, auf dem der Leichnam der jungen Frau am Montag, 14. August 2023 von einem Landwirt gefunden wurde, auch der Tatort. Laut Obduktion sei ihr Körper aber nahezu blutleer gewesen, hieß es im Gericht – vor Ort wurde demnach nicht ansatzweise so viel Blut gefunden, wie die schweren Verletzungen nahelegten. Das passt bislang nicht zusammen. Von Hinweisen auf einen möglichen anderen Tatort war bislang allerdings auch keine Rede. Zur Spurenlage in dem später gereinigten Mietauto wurden noch keine Zeugen gehört, ebenso wenig zur angeblich in Eiserfeld vergrabenen Tatwaffe.

Die Missgeschicke: Wegen Datenschutz-Bestimmungen keine eindeutigen Belege

Bei den Ermittlungen scheint nicht alles glatt gelaufen zu sein. Zunächst wurde der mutmaßliche Tatort verunreinigt, sagen Zeugen aus: Reifenspuren des bei der Tat verwendeten Autos wurden von Einsatzfahrzeugen überdeckt, weil der Bereich nicht als Tatort eines schweren Verbrechens gemeldet worden sei. Auch die Kleidung der Leiche wurde von Notfallsanitätern verändert, bevor die Ermittler sie in Augenschein nehmen konnten: Um den Herzschlag zu messen. Warum wurde das nicht entsprechend durchgegeben? Zumal schwere Stichverletzungen deutlich sichtbar gewesen sein sollen. Dennoch gelang es den Ermittlern der Mordkommission, Indizien zu sammeln.

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Ebenfalls unglücklich, zumindest in diesem Fall: Die deutschen Datenschutzbestimmungen. Gegenüber der Einfahrt zum Feldweg in Elten befindet sich eine Tankstelle. Deren Videokameras erfassen die unbefestigte Straße auch, hätten das bei der Tat genutzte Fahrzeug also filmen können. Da aber laut geltenden Gesetzen nur das Tankstellengelände abgebildet werden darf und nicht der öffentliche Straßenraum, blieben den Ermittlern nur Indizien (Rücklicht-Umrisse), keine handfesten Belege.

Der Angeklagte: Im Landgericht Siegen schweigt er bislang beharrlich

Wahrscheinlich wird auch abschließend ungeklärt bleiben, wie der Beschuldigte sein Opfer dazu gebracht hat, mit ihm diese Fahrt anzutreten, sexuelle Handlungen mit einem Fremden zu beginnen. Die Familie der Getöteten hatte von Übergriffen und Drohungen während der mehrjährigen Beziehung berichtet, die sich zuletzt zugespitzt hätten. Wenige Tage vorher habe der Angeklagte die Frau in ihrer Wohnung zusammen mit einer anderen Frau eingesperrt, beide mit einem Messer bedroht und zu Sex gezwungen. Daraufhin habe sie die Beziehung beendet; versucht, sich endgültig von ihm zu lösen. Möglich, dass er sie wieder bedrohte – der Zeuge habe jedenfalls nicht das geringste wahrgenommen, beteuert er.

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Weitere Zeugen, die in der Tatnacht, vom 13. auf den 14. August dabei waren, gibt es keine. Auch den indirekten Aussagen der 4-jährigen Tochter, die nach dem Geschehen ihrer Familie erzählte was passiert sei, misst das Gericht daher besondere Bedeutung bei. Aufschluss könnte letztlich hier nur der Angeklagte selbst geben – aber der schweigt zu allen Vorwürfen bislang beharrlich.