Siegen/Netphen. Ist der mordverdächtige Linkshänder doch beidhändig? Gutachter beurteilt Videoaufnahmen, auf denen er mit rechts handelt. Verteidiger empört sich.

Der Mordprozess um die getötete Netphenerin geht in die nächste Runde: Auf Wunsch von Verteidiger Andreas Trode wurde von dem Rechtsmedizinier, der den Leichnam der 23-Jährigen obduzierte, nun eingeschätzt, ob der Angeklagte wirklich Linkshänder ist oder ob dieser auch in der Lage war, die Tat mit der rechten Hand auszuführen. Ihm und dem Gericht liegen Videos vor, in denen der Angeklagte auf Überwachungsaufnahmen zu sehen sind, die am selben Tag vor und nach der Tat entstanden sind. Die Videos liefern laut dem Gutachter keinen klaren Beweis für eine Linkshändigkeit. Der Verteidiger empört sich über das Vorgehen des Landgerichts Siegen. Der Prozess vor der 1. großen Strafkammer wird auch in dieser Woche kein Urteil finden.

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Überwachungsaufnahmen zeigen: Beschuldigter könnte auch beidhändig sein

Die Videos zeigen Überwachungsaufnahmen vom 14. August 2023, dem Tag des Mordes an der jungen Mutter. Eines zeigt die Bilder einer Tankstelle, die gegen 1:40 Uhr, also vor der Tat, aufgenommen wurden. Alle drei am Mord beteiligten Personen steigen aus dem BMW aus, der Beschuldigte dreht den Tankdeckel auf, nimmt ihn heraus und nimmt sich die Zapfpistole. Alles macht er mit rechts. „Nach den Videos hätte ich nicht sagen können, ob es ein Rechts- oder Linkshänder ist. Da hätte ich sogar eher gesagt, es sind mehr Bewegungen mit der rechten Hand ausgeführt worden“, sagt der Gutachter.

Auf einem weiteren Video, das am Vormittag nach der Tat aufgenommen wurde, sind der Beschuldigte und sein Begleiter dabei zu sehen, wie sie das Fahrzeug in einer Saugerhalle reinigen. „Da sieht man, dass beide Hände genommen werden. Es wird die Hand benutzt, die gerade für den Arbeitsablauf praktischer ist“, so der Gutachter. Für das Wischen des Kofferraums legt der Angeklagte den Lappen je nach Position in beide Hände. Zwei weitere Videos, die den Bezahlvorgang in einer Tankstelle und einem kleinen Laden zeigen, zeigen eine Tendenz zur Linkshändigkeit, liefern jedoch keine Klarheit bei der Frage nach der stärkeren Hand.

Gutachter kann keine finale Aussage treffen: Verteidiger enttäuscht über Vorgehen der Kammer

„Man kann anhand der Videos sehen, dass er beide Hände benutzt. Ich kann die Stärke der Hände nicht beurteilen, aber es ist zu erkennen, dass beide Hände für Alltagstätlichkeiten benutzt werden“, sagt der Gutachter. Ob er nun Rechts-, Links- oder Beidhänder ist, kann er nicht mit Sicherheit einschätzen. In einem Telefonat mit der Kammer hatte er bereits bestätigt, dass seiner Einschätzung nach auch ein Linkshänder sehr wohl in der Lage gewesen wäre, die Schnitte und Stiche mit der schwächeren rechten Hand durchzuführen – zumal das Tatgeschehen dynamisch gewesen sei, die Personen ihre Position verändert hätten, auch das Messer in die andere Hand habe wechseln können. Nach erneuter Betrachtung der Bilder führte er aus, dass Schnitte in beide Richtungen durchgeführt worden sind und das Anzeichen für Schnitte von vorne und von hinten vorliegen.

Auf Nachfrage von Verteidiger Andreas Trode erläutert der Gutachter, dass ihm von der Kammer in der Verfügung schon vor Ansehen der Videos mitgeteilt wurde, dass der Verdächtige laut eigener Angabe Linkshänder sei, auf den Videoaufnahmen jedoch auch zu sehen ist, wie er seine rechte Hand benutzt. Dies ermögliche laut Trode keine objektive Einschätzung der Händigkeit. „Ich bin super enttäuscht. Das geht so nicht“, so der Verteidiger. Auch, dass derselbe Gutachter und nicht etwa wie seines Vorschlages zufolge ein namhafter Rechtsmediziner der Berliner Charité die Begutachtung übernehme, bemängelte er. Trode hat angekündigt, einen Befangenheitsantrag zu stellen und hat mitgeteilt, dass er sich weigert, am Fortsetzungstermin am Freitag, 28. Juni (13 Uhr), ein Plädoyer zu halten. Der 11. Juli soll nun der letzte Termin im Prozess sein.

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