Siegen. Völlig bizarr: Wollte Angeklagter, dass „Zweitfrau“ sich um Kinder und den Haushalt kümmert - damit seine Freundin mit ihm Drogen nehmen kann?
Die Zeugin nimmt überhaupt kein Blatt vor den Mund. Die heute 19-Jährige wollte der Angeklagte ihrer Schilderung zufolge als seine „Zweitfrau“ haben, neben der Mutter seiner Kinder, die er am frühen Morgen des 14. August 2023 auf einem Waldweg in Emmerich-Elten ermordet haben soll. Eine Woche verbrachte sie mit dem Paar, erzählt sie – eine mehr als bizarre Woche; mit dem Ziel, die „Dreiecksbeziehung“ zu etablieren. Die junge Frau erlebte die wohl überaus komplizierte Beziehung zwischen mutmaßlichem Täter und Opfer hautnah mit und liefert vor Gericht womöglich wichtige Anhaltspunkte auf ein mögliches Motiv.
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Sie lernte ihn demnach kennen, als sie an der Bushaltestelle stand. Sie habe eine Fernbeziehung mit einem Mann aus Dreis-Tiefenbach geführt, sich mit ihm zerstritten, wollte nach Hause ins Saarland fahren. Der Angeklagte hielt demnach mit dem Auto an, fragte, ob sie mitkommen wolle. „Da hatte ich noch kein Kopftuch“, sagt sie. Sie sei eingestiegen, sie hätten sich „verquatscht“, wobei er nicht erzählte, dass er Freundin und Kinder hatte. Bis abends seien sie herumgefahren, er habe angeboten, dass sie über Nacht bleiben könne. Sie habe schnell gemerkt, dass er ein Tablettenproblem habe, sich nur mit Hilfe der Medikamente entspannen könne. Sie hätten auch zusammen Marihuana geraucht.
Völlig bizarres Kennenlernen: Beim ersten „Date“ haben hinten im Auto zwei andere Sex
Daraus wurde wenig später eine Beziehung, sagt sie. „Ich weiß eigentlich gar nicht, warum.“ Ein paar Tage nach dem Kennenlernen sei er bei ihr im Saarland aufgetaucht, im Auto, zusammen mit einem anderen Mann, der wiederum ein sehr junges Mädchen dabeihatte, das in Siegen bekannt dafür sei, sich mit Pillen zuzudröhnen und dann wahllos mit Männern schlafe. Mit ihr hätten der Angeklagte und seine Freundin auch vorher schon Sex gehabt. Sie stieg vorn ein, der Angeklagte am Steuer, hinten sei es zur Sache gegangen. „Ich hatte zu der Zeit selber ziemlich oft einen sitzen“, sagt die Zeugin. Sex im Auto habe sie aber verweigert.
Sie ließ sich dennoch auf ihn ein, übernachtete irgendwann mit ihm bei seiner Mutter, sagt sie. Da sei seine Freundin dazugekommen, habe ihn angeschrieen wegen ihr, der anderen Frau, habe ihr eine Zigarettenschachtel an den Kopf geworfen. Woraufhin er „ziemlich eskaliert“ sei, seine Freundin weggedrängt, geschlagen habe, auch gegen seine Mutter habe er die Hand erhoben. Sie sei aus dem Haus gelaufen – er rief demnach an, wollte alles erklären, sammelte sie wieder ein. „Für mich war das eigentlich gegessen, ich wollte ihn nicht mehr.“ Damit begannen wohl die bizarren Tage, etwa eine Woche vor dem Mord; eingesperrt in der Wohnung.
Zeugin als „Zweitfrau“? Sollte sich für das Paar um Kinder und Haushalt kümmern
Die Zeugin schildert, dass sie links liegen gelassen, über sie bestimmt worden sei. Ihr sei wohl die Rolle einer Ersatzmutter zugedacht gewesen, die sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern habe, damit der Angeklagte und das spätere Opfer ihr „Jugendleben“ wieder führen können, wieder „Pfiff“ in die Beziehung komme – unterwegs sein, zusammen Drogen nehmen. Damit habe die junge Frau aufgehört, als sie das erste Mal schwanger wurde. Der Angeklagte habe seine Tage demnach vielfach mit „Herumfahren“ verbracht – ohne Führerschein –, Drogen verkaufen und nehmen. Das wollte er wiederhaben, sagt sie. Seine Freundin sollte die „Neue“ überreden, bei seinem Plan mitzumachen. Das Paar habe mehr oder weniger die ganze Zeit heftig diskutiert.
Hintergrund, soweit sie das beobachtet habe: In der von ständigem Streit geprägten Beziehung sei er wohl schon vor längerer Zeit fremdgegangen, was sie sehr verletzt habe. Das Paar war zusammen, seit beide 19 waren. Sie habe ihn daraufhin damit provoziert, auch andere Männer haben zu wollen, irgendwann zeigte sie ihn wohl bei der Polizei an. „An der Stelle ging die Beziehung kaputt“, so die Zeugin. Er habe das Gefühl gehabt, dass sie ihm in den Rücken gefallen sei, „das konnte sie nie wieder gut machen“. Er habe dann eine andere Frau haben wollen, statt die Beziehung wieder aufzubauen, sie wollte ihm umso mehr beweisen, dass sie ihn liebe und er ihr vertrauen könne, während er immer sicherer gewesen sei, „dass sie ihn nur verarscht“. Sie habe selbst mehrere Jahre in einer toxischen Beziehung gelebt, habe Schläge und Todesdrohungen erlebt. „Das hat sich bei denen genauso angehört.“ Beide hätten sich gegenseitig provoziert, angeschrien, es habe sich immer wieder immer weiter aufgeschaukelt. Aber wenn sie sich mal nicht gestritten hätten, habe man auch gemerkt, dass sie sich wirklich geliebt hätten.
Späteres Opfer im Wald bei Siegen auf Knie gezwungen, Waffe an Kopf gehalten?
Schon vorher hatte die Familie der Getöteten von der Situation berichtet, dass der Angeklagte die junge Frau zusammen mit einem fremden Mädchen in der Wohnung eingeschlossen habe. Davon erzählt die Zeugin nun aus der Innensicht. Demnach eine völlig konfuse Situation: Sie wollte eigentlich nur weg, sagt die 19-Jährige, die beiden anderen hätten sich sehr oft und heftig gestritten, versucht sie, die Fremde, zu instrumentalisieren. Er wolle seine „Frau“ nicht mehr, habe er zu ihr gesagt, während das spätere Opfer ihr erzählt habe, was er für ein schlimmer Mann sei. Die Lage sei immer unberechenbarer geworden. Immer wieder hätten sich zwei der drei Beteiligten in wechselnden Konstellationen miteinander „verbündet“ – etwa habe die Freundin sie überwachen sollen und wollen, sagt die Zeugin, es dann aber doch nicht getan. Sie habe sich dieses Mal wirklich endgültig von ihm trennen wollen, die Kinder mitnehmen, was er ihr verbot: Nur wenn sie keinen anderen Mann haben werde. Sie müsse sich fügen, sonst würde es ihrem Vater schlecht gehen, habe er gedroht. „Du weißt, wozu ich fähig bin, provozier‘s nicht!“, soll er gesagt haben.
Damit spielt die junge Frau auf eine Begebenheit an, die ebenfalls im Prozess schon Thema war. Die Freundin habe ihr erzählt, dass er sie „in den Wald geschleppt, auf die Knie gezwungen und eine Waffe an den Kopf gehalten“ habe – sie solle das im Gedächtnis behalten, „beim nächsten Mal geht es anders aus“, so ihre Schilderung.
In Wohnung eingeschlossen: Auf einmal will sie Sex zu dritt - und er dreht auf Drogen durch
Dann plötzlich habe die Freundin Sex gewollt, die erst vor wenigen Wochen ein Kind zur Welt gebracht hatte – nicht der Angeklagte, wie bisher geschildert worden war. „Das wollte ich nicht“, sie habe aber darauf bestanden. „Vor mir gab es wohl schon andere Frauen, alles vor den Kindern.“ Er sei daraufhin durchgedreht, habe versucht mit ihr zu schlafen, sie habe ihn weggestoßen. Daraufhin habe er mit seiner Freundin geschlafen. „Ich hatte die ganze Zeit nicht viel zu melden.“ Sie ging nicht, weil er die Tür abgeschlossen habe. Später dann hätten sich die beiden Frauen wieder „verbündet“, ihm vorgespielt, dass sie einverstanden mit seinen Plänen seien, sich bestens verstehen würden. Das wiederum habe ihn völlig überfordert – weil er sich mit Medikamenten „völlig zugedröhnt“ habe. Ihr Eindruck, so die Zeugin: „Hätten wir was falsches gesagt, bringt er uns alle um.“ Er habe angefangen, ihr komplettes Handy zu löschen. Explizit bedroht habe er sie nicht, „aber wenn ich nicht spurte, habe ich schon gemerkt, dass da was passieren könnte“.
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Am Morgen hauten die beiden Frauen ab, während er seinen Rausch ausschlief. Sie habe nur zufällig mitbekommen, dass die Freundin von ihrer Mutter abgeholt wurde, „sonst hätte sie mich zurückgelassen“, so die Zeugin. Sie dachte, die Sache wäre geklärt, sie hätte es hinter sich. Bis die Freundin Kontakt zu ihr aufnahm, es ging um eine Fahrt nach Holland, auf die sie mitsollte. „Ich sagte ihr ‚mach‘s nicht‘!“ Aber sie habe wohl nicht von ihm lassen können, auch dieses Mal nicht. „Ich weiß nicht, was bei denen falsch war.“
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