Dreis-Tiefenbach/Siegen. Die Tochter der ermordeten 23-Jährigen spricht immer noch von der Tat. Kann ein Kleinkind in einem Mordprozess aussagen? Und was ist das wert?
Wenn es irgendwie geht, möchte es die 1. Große Strafkammer der Kleinen ersparen, vor Gericht auszusagen. Schon seit Beginn des Verfahrens vor dem Siegener Landgericht geht es um das Kind, das wohl dabei war und mitangesehen hat, wie der Vater, zur Tatzeit 23 Jahre alt, die gleichaltrige Mutter ermordet haben soll; am frühen Morgen des 14. August, auf einem Waldweg an der niederländischen Grenze. Mit einem Schnitt von hinten durch die Kehle, dann folgten 29 Messerstiche in den Körper. Zusammen mit einem Zeugen, der bei der Fahrt dabei war, ging es danach zurück ins Siegerland, wo das Kind und seine kleine Schwester, damals wenige Wochen alt, bei den Großeltern vor der Haustür in Dreis-Tiefenbach abgeliefert wurden.
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Dort erzählte die Kleine, was passiert sei. Auch der Polizei gegenüber. Und auch sonst, sagt ihre Vormundin vom Kreisjugendamt im Zeugenstand: Immer wieder fange sie davon an, von sich aus. „Papa hat die Mama totgemacht. Papa ist böse.“ Der Prozess dreht sich auch um die Frage: Was ist die Aussage eines Kleinkindes in diesem Fall juristisch wert? Kann, darf sie aussagen? Denn sie ist nicht nur Augenzeugin, sondern auch Tochter des Angeklagten. Hätte also ein Zeugnisverweigerungsrecht. Aber versteht sie das überhaupt?
Tochter der Getöteten und des Angeklagten aus Dreis-Tiefenbach erzählt immer wieder vom Mord
Grundsätzlich geht es auch vor Gericht, auch bei solch blutigen Taten, zuerst um das Kindeswohl. Die Vormundin trifft eine eindeutige Entscheidung: Die beiden Töchter des Opfers leben inzwischen bei ihrer Großmutter, es gehe ihnen den Umständen entsprechend gut. Die ältere kann und könnte aussagen, habe die Ereignisse „sehr präsent“, erzähle von sich aus und zeige an ihrem eigenen Körper an, wie Papa Mama getötet habe. Aber ihrem Wohl sei das „in dieser Runde nicht förderlich“, sagt die Pädagogin. Es würde die Kleine ihrer Einschätzung nach sehr belasten.
Es wird deutlich, wie kompliziert die Situation auch juristisch ist. Und wie traurig. Die Kleine sei ein offenes, mitteilungsbereites Kind, sagt die Sachverständige, die sich als Psychologin, Kriminologin und Pädagogin vorstellt. Das Kind habe grundsätzlich ein robustes Wesen, sei zugänglich und bereit, Informationen zu geben. Die Konzentration und den Fokus für eine Zeugenrolle könne sie aber ihrem Alter gemäß nicht durchhalten. Phasenweise könne sie berichten, was passiert ist, aber Kinder in diesem Alter haben auch Spaß am Erzählen, oft komme die Fantasieebene dazu, außerdem eine gewisse Beeinflussbarkeit: Wird in Fragen eine mögliche Antwort mitgeliefert („Hatte nur Papa das Messer?“), neigten sie dazu, dies zu bejahen, auch wenn das Kind hier nicht sonderlich empfänglich sei. In diesem Fall komme laut Sachverständiger hinzu, dass die Kleine Sprache zwar gut versteht, aber hohe Defizite in ihrer eigenen Sprachentwicklung habe. Sie spreche vorwiegend in Ein-Wort-Sätzen, zeige und demonstriere viel. Sie könne sprachlich nicht uneingeschränkt darstellen, was sie möchte.
Verteidiger: Gab es bei dem Mord einen „Onkel mit Messer“, gab es einen Mit-Täter?
Sie erfülle zwar nicht die Voraussetzungen für eine Aussagefähigkeit, gleichwohl seien die Angaben des Mädchens, das immer wieder ähnliche Sätze zum Tatgeschehen äußere, konstant. Was sie schlaglichtartig erzählt habe und nach wie vor immer wieder erzähle – Auto, Wald, nicht aussteigen, Mutter auf Boden, wegfahren – habe sich anhand anderer Quellen überprüfen lassen. Das Kind habe das über die Zeit nicht erweitert und nicht variiert: „Sie sagt allen immer wieder: Mama ist tot. Papa ist böse“, so die Gutachterin. Das gehe so weit, dass die Pflegemutter sich scheue, mit dem Mädchen zu anderen Kindern zugehen, aus Sorge, diese zu verschrecken. „Kinder in diesem Alter verstehen den Tod in seiner Endgültigkeit noch nicht“, erläutert die Sachverständige. Anhand eines Wellensittichs und einem Besuch am Grab habe man versucht, ihr behutsam klarzumachen, dass die Mama nicht wiederkommt.
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Verteidiger Andreas Trode hat seine juristischen Probleme mit allem, was mit der Tochter des Angeklagten zu tun hat. Immer wieder beantragt er, Hörensagen-Aussagen nicht zuzulassen, ob nun die Familie erzählt, was die Kleine berichtet habe, oder die Polizei. Im Oktober wurde das Kind von einer Ermittlungsrichterin vernommen. Und dort seien Suggestivfragen gestellt worden, die die Sachverständige in ihrer Begutachtung aufgenommen habe – aus seiner Sicht unzulässig. Es entspinnt sich ein längerer Streit zwischen den beiden: Sie sei die falsche Sachverständige, da sie nicht zugeben könne, eine suggestive Frage gestellt zu haben, verweist Trode auf die Protokolle: Bei der Ermittlungsrichterin sei ein „Onkel mit Messer“ ins Spiel gebracht worden – und damit eine mögliche Tatbeteiligung des Mannes, der bislang nur als Zeuge geführt wird. Er werde beantragen, dass das Gutachten der Sachverständigen auf inhaltliche und methodische Fehler bei der Befragung des Kindes untersucht wird. Womöglich brauche es eine neue Gutachterin, eine erneute Befragung des Mädchens. Ob das dem Kindeswohl dient: Fraglich.