Siegen. Weil sie nicht seine Zweitfrau sein wollte: Schnitt durch Kehle, von Ohr zur Ohr, 29 Messerstiche. Polizist spricht in Siegen von „Abschlachten“.

So langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen. Im Mordprozess vor dem Siegener Landgericht hat am Freitag, 19. April, der Leiter der Mordkommission ausgesagt und die Ermittlungsschritte dargelegt, nachdem am 14. August 2023 eine weibliche Leiche an der niederländischen Grenze gefunden wurde, die im Zuge einer großangelegten Suchaktion im Siegerland noch am gleichen Tag als die vermisste 23-Jährige aus Dreis-Tiefenbach identifiziert werden konnte.

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Immer mehr Indizien legen nahe, dass sich die Tat mit großer Wahrscheinlichkeit so zugetragen hat, wie es die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last legt: Zusammen mit einem Zeugen fuhr die Familie demnach nachts zu dem Waldweg in Emmerich-Elten, dort drängte der Beschuldigte die Frau zu Sex mit dem Fremden, schnitt ihr dabei von hinten die Kehle durch, während die ältere Tochter (4) zusah, stach mehrfach auf sie ein und zerrte sie ins Gebüsch. Dann ging es zurück nach Siegen, um 4.53 Uhr.

Die Festnahme: „Der Angeklagte war in weinerlicher Verfassung“

Die Lage sei zunächst unübersichtlich gewesen, schildert der Beamte des Hagener Polizeipräsidiums. Demnach habe man erst einmal nur gewusst, dass ein vierjähriges Kind erzählt hatte, dass der Vater der Mutter mit einem Messer „auf den Rücken geklopft“ habe. Als dann der Leichnam gefunden wurde, habe man beide Vorfälle schnell zuordnen können. Der Beschuldigte, der die Mutter seiner beiden Kinder in deren Beisein am frühen Morgen auf einem Waldweg mit einem tiefen Schnitt durch die Kehle umgebracht haben soll, sei umgehend festgenommen worden. Er sei am Abend in „weinerlicher Verfassung gewesen“, so der Chefermittler. Er habe nichts gemacht, habe er in seiner Zelle gegreint, er sei zur Tatzeit in einer Spielhalle gewesen, er werde zu Unrecht festgehalten. „Ich bin kein Mörder, ich bin nur Drogendealer“, habe er gesagt.

Das Auto: BMW sendet Positionsdaten - Polizei weiß genau, wann wo wie lange gehalten wurde

Die Ermittler machten Zeugen ausfindig, manche meldeten sich von selbst, alle wurden vernommen, so der Beamte über die folgenden Tage. Die Mordkommission fand über den Mietwagenverleih schnell das mutmaßliche Tatfahrzeug, den das Opfer mieten musste, da der Angeklagte keinen Führerschein hat, stellte den BMW sicher. Im Inneren wurden Blutspuren des Opfers gefunden. Mit Hilfe des Herstellers konnte die Fahrtroute genau nachvollzogen werden. Demnach senden moderne Autos bei bestimmten Ereignissen - Start, Stopp, Türen öffnen und schließen - Positionsdaten an den Hersteller. Bis ins Detail wusste die Polizei mit großer Wahrscheinlichkeit nun, wann es in Siegen losging, an welcher Tankstelle und an welcher Raststätte wie lange gehalten wurde. Sogar, dass der Wagen auf der Rückfahrt auf der A45-Lennetalbrücke anhielt und mitten auf der Autobahn 24 Sekunden die Fahrertür geöffnet wurde. Gefunden wurde unterhalb der Brücke aber nichts, was dort womöglich hinausgeworfen wurde.

Der Leichnam der jungen Frau wird auf einem Waldweg in Emmerich-Elten, nahe der Grenze zu den Niederlanden, gefunden.
Der Leichnam der jungen Frau wird auf einem Waldweg in Emmerich-Elten, nahe der Grenze zu den Niederlanden, gefunden. © FUNKE Foto Services | Konrad Flintrop

1700 Kilometer in kürzester Zeit wurde der Wagen demnach gefahren: Zunächst nach Saarbrücken, wo die Geliebte oder „Zweitfrau“ des Beschuldigten lebt, von der Familie und Freunde der Getöteten bereits erzählt hatten. Dann zurück nach Siegen, mit dem späteren Opfer, den beiden Kindern und dem Zeugen, einem mutmaßlichen „Zufallsbekannten“. Der sei wohl obdachlos gewesen, gleichwohl immer modisch gekleidet, habe bei Bekannten übernachtet und wahrscheinlich nur zugestiegen, weil er für die Nacht keinen Schlafplatz hatte.

Die Tatwaffe: Messer wird hinterm Aldi in Siegen-Eiserfeld in der Sieg gefunden

Auch das Messer wurde gefunden, genau an der Stelle, zu der der Hauptbelastungszeuge, der bei der ganzen Todesfahrt mit im Wagen saß und vor dessen Augen die junge Frau wohl ermordet wurde, die Polizei führte: Eine kleine „Insel“ in der Sieg, eine flache Erhebung, hinter dem Aldi in Eiserfeld. Die Gerichtsmedizin konnte dieses Messer der Tat klar zuweisen, auch wenn sich keine DNA-Spuren fanden. Die Einstiche seien zwar sehr unterschiedlich gewesen, so der leitende Ermittler, da die Klinge aber vorn gerundet gewesen sei, könnten die Wunden diesem Messer zugeordnet werden.

Das Motiv: Wollte er eine neue Frau haben und die Mutter seiner Kinder behalten?

Die Tat selbst sei mit äußerster Grausamkeit durchgeführt worden, so der ansonsten nüchterne Beamte, der an dieser Stelle zu einer drastischen Schilderung ansetzt: Eine „absolute Übertötung“ sei das gewesen: „Um einen Menschen zu töten, braucht es keine 29 Stiche. Sie wäre nach dem Kehlenschnitt tot gewesen.“ Der verlief von Ohr zu Ohr. Die Hände der jungen Frau seien zerschnitten gewesen, wie er es noch nie gesehen habe. Angesichts der Grausamkeit der Tat könne man von einem wahren „Abschlachten“ sprechen.

Um einen Menschen zu töten, braucht es keine 29 Stiche. Sie wäre nach dem Kehlenschnitt tot gewesen.
Leiter der Mordkommission - im Zeugenstand

Der Angeklagte habe sich den Annahmen und Erkenntnissen der Ermittler zufolge wohl in eine zweite Frau verliebt und wollte Beziehungen zu beiden führen. Das habe zu erheblichem Streit mit der Mutter seiner Kinder geführt, deren Beziehung ohnehin schon belastet war und die um keinen Preis Erst- oder Zweitfrau sein wollte. „Er konnte wohl nicht damit leben, dass sie ihn verlassen wollte“ - er habe beide Frauen gewollt. Der Hauptbelastungszeuge hatte demnach von „Ehrenmord“ gesprochen, auch gegenüber anderen Zeugen sei der Begriff gefallen. Der Angeklagte selbst habe in einer Nachricht davon geredet, dass er seine „Ehre gewaschen“ habe.

Mordprozess vor dem Landgericht Siegen: Neue Fragen - Zeuge kifft in Anwesenheit der Polizei?

Gleichwohl sind noch viele Fragen offen. Verteidiger Andreas Trode und auch das Gericht wollen noch die Rolle einer Siegerländer Anwaltskanzlei stärker beleuchten: Mehrere Zeugen aus dem Dunstkreis des Angeklagten seien von Vertretern der Kanzlei zur Polizei geschickt und teils auch begleitet worden - auch der Hauptbelastungszeuge. Ein Angestellter der Kanzlei, der bei Zeugenbefragungen und Suchaktionen der Polizei involviert gewesen sein soll, sei zudem ein Cousin des Angeklagten.

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Ebenfalls für fragende Gesichter im Saal 165 des Landgerichts sorgte ein Polizist mit der Aussage, dass er den Verdacht gehabt habe, dass der Belastungszeuge bei einer Tatortrekonstruktion einen Joint geraucht hatte. In Anwesenheit der Polizei.

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