Siegen/Emmerich. Prozess um getötete 23-Jährige: Nerviger Zeuge hat alles gesehen. Kanzlei schleppt immer neue Zeugen an. Anwalt kann das alles kaum glauben.
Der Mann ging der Polizei irgendwann gehörig auf die Nerven. Der Zeuge war bei einem Mord dabei – so nah, dass er womöglich noch selbst Beschuldigter in einem weiteren Strafverfahren werden könnte. Das ist er nämlich bereits: Er soll in großem Stil Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland geschleust, ihren Tod dabei zum Teil billigend in Kauf genommen haben. In diesem Prozess jedenfalls ist der Mann der wohl einzige Zeuge, der erzählen kann, wie der Angeklagte die Mutter seiner eigenen kleinen Kinder am frühen Morgen des 14. August 2023 auf einem Waldweg an der niederländischen Grenze ermordet haben soll. Der Beschuldigte schweigt dazu nach wie vor.
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Der Zeuge erzählt auch, aber das ist mühsam. Auch vor Gericht hatte er überaus umständlich und über mehrere Stunden hinweg ausgesagt, mehrfach Pausen verlangt, mit großer Geste diskutiert, wenn die Kammer Nachfragen stellte. Nach dem Motto „habe ich doch gerade gesagt, glauben Sie mir nicht?“ Hier geht es unter anderem um eine Tatortrekonstruktion, am Ort des Geschehens in Emmerich-Elten. Der Zeuge sollte den Ermittlern die Stelle zeigen, wo der Angeklagte der Frau von hinten mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten haben soll, während sie vor ihm, dem Wildfremden, für Oralsex auf die Knie ging. Wie der andere die Leiche ins Gebüsch gezerrt, sich nachher die Hände gewaschen habe. Wie er ihn davon abgehalten hab, auch noch die eigenen Kinder zu töten, weil die ja alles mitangesehen hatten. Das alles sollte auf Video aufgenommen werden. Sollte.
Zeuge konsumiert Marihuana, um weiter an Vernehmung durch Polizei teilnehmen zu können?
„Er brauchte extrem viele Pausen und war sehr mitgenommen“, sagt der Chef der Hagener Mordkommission vor Gericht. Aber das könne auch gut geschauspielert gewesen sein. „Großes Palaver“, sagt der Ermittlungsleiter. Der Syrer kenne laut seines Zeugenbeistands aus seinem Heimatland eine andere Polizei, weigerte sich demnach strikt, gefilmt zu werden. Mit Engelszungen versuchten es die Ermittler, „das war schon recht nervig“. Er wirkte ängstlich, aufgebracht, nervös, fürchtete sich, habe geweint, sagt ein Beamter, der dabei war. Zwischendurch habe er den Verdacht gehabt, dass der Zeuge einen Joint rauchte, „um runterzukommen“, sagt ein Beamter. „Ist das so üblich bei der Polizei?“, fragt Verteidiger Andreas Trode ungläubig: „Dass Zeugen in ihrer Gegenwart Straftaten begehen?“ Der Mann habe kurz davor gestanden, die Tatortrekonstruktion abzubrechen, habe sich mit seinem Zeugenbeistand zurückgezogen, sei zurückgekehrt, nachdem er sich beruhigt hatte. Er habe eben den Verdacht gehabt, sagt der Polizist: „Er hat etwas aus der Tasche geholt, dass eher die Form eines Joints als einer Zigarette hatte.“
Der Mann hatte vor Gericht selbst gesagt, während einer Vernehmungspause bei der Polizei Marihuana konsumiert zu haben. Was ihm niemand glaubte, die Polizei auch nicht bestätigt – für den Vor-Ort-Termin wird es zumindest angedeutet. Am Ende verzichteten sie auf die Kamera. Sie wollten weiterkommen. Für einen Strafprozess könne es nicht richtig sein, wenn man einen Zeugen zur weiteren Vernehmung Drogen konsumieren lässt, stellt Trode fest.
Anwalt findet es fragwürdig: Cousin des Angeklagten arbeitet für Kanzlei, die Zeugen vertritt?
Am Ende der Tatortrekonstruktion habe der Mann dann deutlich mitgenommen gewirkt. „Das ging ihm nah. Es wirkte glaubwürdig“, sagt der Beamte. Immerhin deckten sich seine Angaben mit dem, was die Ermittler anhand von Spuren und weiteren Indizien herausfanden. Dieser Zeuge war es auch, der die Polizei zielstrebig zu der Stelle an der Sieg in Eiserfeld führte, an der der mutmaßliche Täter das Messer und das Handy der Getöteten vergraben hatte.
Nicht nur in diesem Zusammenhang taucht immer wieder eine Siegerländer Anwaltskanzlei auf, die mehrere Zeugen betreut, die offenbar irgendwie mit dem Mord (und zum Teil auch mit dem Einschleusen) in Verbindung stehen. Vertreter der Kanzlei brachten demnach Zeugen dazu, sich bei der Polizei zu melden, begleiteten sie zu Vernehmungen. Darunter auch den Hauptbelastungszeugen, der wohl bei der Tat dabei war. Sie fuhren mit zur Tatortrekonstruktion nach Elten. Mehrere der anderen Männer, vor denen der Belastungszeuge sich eigenen Angaben zufolge fürchte, haben denselben Nachnamen. Ob die Polizei mal einen Hintergrundcheck vorgenommen habe? Zumal diese Männer offenbar alle aus dem Dunstkreis des Angeklagten kämen, fragt Verteidiger Trode. Ein Auszubildender der Kanzlei soll demnach der Cousin des Angeklagten sein, immer wieder in Erscheinung getreten, bei Befragungen von Zeugen, die seinen mutmaßlichen Verwandten belasten könnten, zugegen gewesen sein. Das findet der Anwalt extrem fragwürdig: „Wer hat ein Interesse, all diese weiteren Zeugen anzuschleppen?“
Zeuge eingeschüchtert: Freute sich die Familie des Angeklagten über Tod des Opfers?
Nicht nur das sei aus seiner Sicht unzulässig. Nachdem der Zeuge die Polizei zur vergrabenen Tatwaffe geführt hatte, bei der auch Teile des Handys der Getöteten gefunden wurden, sei danach wiederum der mutmaßliche Cousin nochmals mit dem Zeugen am Fundort gewesen und lieferte dann ein weiteres Handyteil bei der Polizei ab. Das habe er im Gebüsch gefunden. Verteidiger Trode glaubt kaum, was er hört: „Wer sucht von sich aus Gegenstände am Flussufer, die die Polizei nicht findet?“ – „Das kam mir auch komisch vor“, sagt ein Beamter. Ein anderer Polizist habe sich auch gefragt, warum die Kanzlei nochmal von sich aus am Siegufer gewesen sei und gesucht habe: „Das war schon merkwürdig. Gefühlt jeden Tag bekamen wir was Neues von der Kanzlei rübergeschoben.“ Ein Anwalt der Kanzlei habe zudem als Zeugenbeistand in der polizeilichen Vernehmung Fragen an den Zeugen gerichtet, ihn inhaltlich belehrt, sagt Trode. „Er ist kein Vernehmungsbeamter.“
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Der Polizist berichtet auch von einer weiteren Aussage: Eine Person aus der Nachbarschaft der Eltern des Angeklagten habe in der Mordnacht laute Geräusche gehört, eine Unterhaltung, in der Wohnung seien wohl viele Menschen gewesen. Sie hätten demnach darüber gesprochen, dass das Opfer tot sei – und sich darüber gefreut. Später habe die Person die Aussage widerrufen: „Aus Angst vor der Familie.“