Siegen. Bestenfalls scheibchenweise rücken Zeugen aus Umfeld des Angeklagten im Landgericht Siegen mit der Wahrheit heraus: Sie hatten mit der Tat zu tun
Die Zeugen rücken scheibchenweise mit der Wahrheit heraus. Wenn überhaupt. Viel „ich weiß nicht“, viel „ich erinnere mich nicht“, viel Sprachbarriere. Richter, Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung haben Probleme, manche Aussagen zu verstehen; nicht immer ist andersherum im Siegener Landgericht klar, ob Fragen präzise verstanden wurden. An diesem Verhandlungstag im Prozess gegen den Mann, der im August 2023 seine Ex-Partnerin ermordet haben soll, werden mehrere Männer, alles syrische Kurden, aus dem Umfeld des Angeklagten gehört. Sie sollen irgendwie mit der Tat zu tun gehabt haben.
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Der erste Zeuge sagt, dass er in der Tatnacht einen Anruf des Angeklagten - den er schon lange, aber nicht gut kenne - erhalten habe, gegen Mitternacht: Ob er mit nach Holland fahren, dafür mindestens 1000 Euro bekommen wolle? Sie säßen schon im Auto. Er habe es komisch gefunden, dass „er mir so viel Geld geben wollte“, und sagte ab. Vor einiger Zeit habe er sich nach einer Panne ein Auto von einem gemeinsamen Bekannten „geliehen“ - er durfte es nutzen, wenn er es brauchte - und auf sich zugelassen. Der Bekannte, bei dem der Wagen weiter stand, hat keinen Führerschein. Am näcvhsten Morgen jedenfalls habe der Bruder des Bekannten geklingelt, den Autoschlüssel dagelassen, sei wieder verschwunden. Später an diesem Tag sei die Polizei aufgetaucht, habe sich nach Schlüssel und Auto erkundigt. Der Wagen wurde beschlagnahmt. Hier wurden Kleidungsstücke in einer Tasche gefunden, die mit der Tat in Zusammenhang stehen sollen. Dazu später mehr.
Zeugen im Landgericht Siegen: Angeklagter fragte alle, ob sie mit nach Holland fahren
Aus demselben „Dunstkreis“ des besagten Bekannten sind weitere Zeugen geladen. Eine junge Frau, kein Job, keine Wohnung, sei seine beste Freundin, sie übernachte oft bei ihm. Sie erzählt, dass der Angeklagte am Morgen nach der Tat geklingelt habe, in die Wohnung gekommen sei, wo sie im gleichen Zimmer wie der Wohnungsinhaber schlief. Weiter habe sie nichts gesehen, nichts mitbekommen, der Wohnungsinhaber auch nichts erzählt. „Ich habe nichts damit zu tun“, sagt sie mehrfach. Ob ihr Freund, der Bekannte des Angeklagten, an diesem Tag die ganze Zeit zuhause gewesen sei? Wisse sie nicht. Sie habe nichts damit zu tun.
Der gemeinsame Bekannte vieler Zeugen und des Angeklagten, dessen Name während des Prozesses schon vielfach gefallen ist, sagt ebenfalls aus. Sie seien entfernt verwandt, den Beschuldigten nennt er „Cousin“. Auch ihn habe der Angeklagte ihn in dieser Sonntagnacht gegen 0 Uhr angerufen. Gleiche Begründung: Fahrt nach Holland mit der Familie, nicht wieder zurück, jemand solle das Auto wiederbringen. Er habe nicht helfen können, wie der Angeklagte habe er keinen Führerschein. Am nächsten Morgen habe der Angeklagte plötzlich im Zimmer gestanden und gerufen „steh auf, steh auf, ich habe meine Ehre reingewaschen“. Er habe eine Tasche in der Wohnung lassen wollen und sei wieder verschwunden. Diese Tasche habe er dann wenig später im Bad entdeckt, im Waschbecken nasse Kleidungsstücke. „Das kam mir komisch vor“, sagt der Zeuge.
„Cousin“ des Angeklagten: Er brachte Tasche mit Kleidungsstücken in Siegener Wohnung vorbei
Dann wird die Chronologie unklar. Er sei zu Fuß nach Siegen gegangen, habe unterwegs einen Anruf vom Nachbar erhalten: Die Polizei suche nach dem Angeklagten. „Ich war schockiert“. In der Stadt habe er den Hauptbelastungszeugen getroffen (der mit nach Holland gefahren war), der auf Nachfrage erzählt habe, dass der Angeklagte seine Frau getötet habe, was er zunächst nicht geglaubt habe. „Ich hatte sehr sehr viel Angst!“, sagt der Zeuge, betont das immer wieder. Er sei „komplett durcheinander“ gewesen, sei zu Fuß kilometerweit durch den Wald gegangen. Bis sein Bruder anrief: Der arbeitet bei der Anwaltskanzlei, von der im Prozess ebenfalls schon mehrfach die Rede war. Nachdem er erzählte, was los sei, habe der Bruder ihn abgeholt - zusammen mit dem Anwalt, den er über einen Sprachkurs kennengelernt und in der Folge oft weiterempfohlen habe. Sie überredeten ihn demnach, zur Polizei zu gehen. Vorher habe er noch die Tasche und die nassen Kleidungsstücke aus seinem Bad in eine Plastiktüte und die ins Auto gepackt - das auf den ersten Zeugen zugelassen war. Warum? Aus Sorge, dass er verdächtigt werden würde, dem Angeklagten geholfen zu haben. „Ich wollte da nichts mit zu tun haben!“
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In den Ermittlungsakten stehen weitere Details. Der Mitfahrer nach Holland könnte auch am Abend, als der Angeklagte ihn anrief, schon in seiner Wohnung gewesen sein, räumt der Mann auf Nachfrage ein. „Ich kann mich nicht genau erinnern.“ Der habe öfter bei ihm übernachtet, auch er habe keine Wohnung. Er spricht davon, dass er zwei Tage lang seine Wohnung nicht habe betreten können. Auf Nachfragen: „Ich hatte Angst, ich weiß nicht.“ Schließlich erzählt er die Geschichte, die auch der Mitfahrer vom Tatablauf erzählt hatte: Die Fahrt nach Holland, die Pause in Emmerich-Elten, dass es dort um Sex ging, dass der der Angeklagte sie dann von hinten mit einem Messer getötet habe. „Ich habe viele Geschichten gehört“, sagt der Mann, dessen Name in diesem Fall immer wieder auftaucht. Am Ende kämen sie alle von dem Mitfahrer, der in einem anderen Verfahren wegen Menschenschmuggels angeklagt ist.
Noch ein „Cousin“: Er fuhr mit dem Angeklagten zu Eltern des Opfers, die Kinder wegbringen
Dann sagt der Bruder des Autobesitzers aus. Auch ihn habe der Angeklagte in der Tatnacht um Hilfe gebeten bei der Fahrt nach Holland, auch er habe - wie alle anderen Zeugen - abgelehnt und bis zum Morgen geschlafen. Auch bei ihm sei der Angeklagte am nächsten Morgen aufgetaucht, in diesem Fall sollte er helfen, die Kinder zu den Großeltern zu bringen, worauf er sich nach einigem Drängen schließlich eingelassen habe und ins Auto stieg. Vorn: Der Angeklagte, daneben der Mitfahrer, er hinten neben den Kindern. Beide hätten geweint. „Warum weint deine Tochter?“, habe er gefragt. Antwort: „Nur so.“ Die 4-Jährige habe etwas auf Deutsch gesagt, was er nicht verstanden habe, sich dann bei den beiden Männern mehrfach erkundigt, was passiert sei. Der Angeklagte habe seine „Ehefrau umgebracht“, seine „Ehre geschützt“, hieß es demnach schließlich. Im Handschuhfach habe er ein schwarz-rotes Messer gesehen, Klingenlänge 10 bis 12 Zentimeter.
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Ein anderer Zeuge erzählt, dass er den Angeklagten kenne, weil der sein Drogendealer sei. „Immer mal wieder“ habe er Marihuana von ihm gekauft, der Mann sei immer freundlich und korrekt gewesen, habe ihn nie übers Ohr gehauen. Angekündigt habe er das in seinem WhatsApp-Status, „wenn er mal wieder was hatte“. Manchmal sei bei der Übergabe eine Frau bei ihm im Auto gewesen.