Siegen/Dreis-Tiefenbach. Schwierige Beziehung der Ermordeten zum Angeklagten eskalierte zuletzt immer mehr: Sie fürchtete um ihr Leben, so Familie im Landgericht Siegen.
Die Beziehung war nicht gut für sie, schon länger nicht. Zuletzt behandelte der junge Mann (damals 23) seine gleichaltrige Partnerin immer schlechter. Dieses Bild ergibt sich aus den Aussagen der Angehörigen der im August 2023 an der niederländischen Grenze ermordeten Frau aus Dreis-Tiefenbach vor der 1. großen Strafkammer des Siegener Landgerichts. Regelmäßig hätten die beiden gestritten, in den Monaten vor ihrer Ermordung habe sich der Angeklagte immer unberechenbarer und gewalttätiger verhalten.
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Die Beziehung: Ihr Vater ging mit dem Mann zum Angeln, der seine Tochter getötet haben soll
Noch als Teenager seien die beiden zusammengekommen, 2019 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Streit und Stress habe es immer gegeben, den hätten sie auch mitbekommen, so Eltern, Schwester, Tante und Freundin im Zeugenstand. An Gewalt kann sich die Schwester nur einmal erinnern: Sie sei dabeigewesen, als er mit einem Messer herumgefuchtelt habe. Ansonsten: Nur Spuren. Blaue Flecken, Andeutungen. Von sich aus erzählt habe das spätere Opfer nur selten etwas. Darauf angesprochen, sei sie ausgewichen, habe verheimlicht: Sie liebe, könne nicht ohne ihn.
Angeklagter bleibt gefesselt
Der Angeklagte bleibt während der Verhandlungen in Saal 165 des Siegener Landgerichts bis auf Weiteres gefesselt. Das hat die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach angeordnet und einen entsprechenden Antrag des Verteidigers Andreas Trode zurückgewiesen.
Die Fesselung sei angeordnet worden, da man von der Justizvollzugsanstalt über gewalttätiges Verhalten des Beschuldigten informiert worden sei, so die Vorsitzende. Es bestehe demnach Suizidgefahr, der Mann habe geäußert, Geiseln nehmen zu wollen, sei an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Mithäftlingen beteiligt gewesen.
Der Mann bestreitet das: Diese Vorwürfe habe ein ebenfalls dort inhaftierter Zeuge des Prozesses erzählt, „der die ganze Zeit nur gelogen“ habe und ihm nur das Leben schwer machen wolle. Das Gericht werde sich beim Gefängnis erkundigen, vorerst bleibe es bei der Fesselung: Der geordnete Ablauf des Verfahrens und die Sicherheit aller Prozessbeteiligten hätten bei einem solchen Verdacht Vorrang.
Man sah sich demnach bei Familienfeiern, bei Geburtstagen, habe ihn nach anfänglicher Skepsis schließlich akzeptiert, „ihn in die Familie aufgenommen“, so die Mutter. Ihr Vater war erst nicht einverstanden, wegen der unterschiedlichen Kultur und Religion. „Aber sie war sehr verliebt in ihn. Er war schon in Ordnung.“ Zu Weihnachten bekam er demnach Geschenke, gekocht wurde ihm zuliebe ohne Schweinefleisch. „Zu mir war er immer freundlich“, sagt die Mutter. Aber Frauen, ihrer Tochter gegenüber, habe er sich nicht so verhalten, wie sie das als europäische Frau erwarte. Der Vater nahm den Freund seiner Tochter mit zum Angeln. Ruhig sei der junge Mann gewesen. Kindererziehung? „Nicht so seins“, so die Schwester. Die Freundin zuhause mit den Kindern, „er hat sein Leben gelebt.“
Die Eskalation: Hat er sie nach der Geburt eingesperrt und zu Sex mit anderer gezwungen?
In dem halben Jahr vor ihrem Tod habe er sich so verändert, dass ihre Familie mehr mitbekam. Sie erzählte mehr, in Telefonaten und Sprachnachrichten, von Gewalt und Drohungen, regelmäßig sahen sie blaue Flecken an ihr. Er habe versucht, über sie zu bestimmen, sie von Freunden zu isolieren, wollte ihr etwa freizügige Kleidung verbieten. Manches schaffte er, aber sie ließ sich nicht alles bieten. Versuchte wohl immer, die Beziehung und die kleine Familie zu retten, kam nicht von ihm los. „Du musst von diesem Mann weg“, habe ihre Tante gesagt, nachdem die vierjährige Tochter nach einem Besuch nicht wieder nach Hause wollte: Papa schreie, Mama weine viel. Auch ihre Mutter sagt: In ihrer letzten Woche habe sie der Tochter erstmals geraten, die Beziehung zu beenden. „So lange sie glücklich ist, akzeptiere ich alles – außer Gewalt und schlechtes Verhalten gegenüber Kindern.“
Die Nacht 8./9. August 2023 soll ein Wendepunkt gewesen sein. Die junge Frau habe erkannt, dass es so nicht weitergehe, bat erstmals überhaupt ihre Familie um Hilfe: Sie sei eingesperrt in ihrer Wohnung, habe Angst, dass er sie umbringt. Vor wenigen Wochen erst hatte sie ihr zweites Kind zur Welt gebracht, das er wohl gar nicht wollte. Schon vor der Geburt sei er mehrfach fremdgegangen, immer gewalttätiger geworden. „Man schlägt keine schwangeren Frauen!“, sagt die Schwester vor Gericht. Nun erholte sie sich noch von der Geburt, er habe Sex verlangt. Als sie das nicht konnte, nicht wollte, habe er ein völlig fremdes, blondes Mädchen in die Wohnung gebracht, mit ihr geschlafen. Dann habe er Sex zu dritt gefordert, beide Frauen mit einem Messer bedroht. Sie habe per Handy Kontakt zur Familie gehalten: nicht klingeln, nicht die Polizei rufen. Sonst bringe er sie um. Er erwischt sie beim Telefonieren, so die Schwester, droht auch ihr: Sie solle sich nicht einmischen, „sonst würde er mit mir das gleiche machen“. Wenig später schickte er vom Handy der Schwester eine Nachricht, dass es ihm leidtue, das alles nicht so gemeint gewesen sei.
Die besorgte Familie habe sich nachts draußen versteckt, die Wohnung beobachtet. Die Situation schien sich beruhigt zu haben, so die Mutter. Früh am nächsten Morgen habe sie ihrer Tochter mit den Kindern und der anderen Frau zur Flucht vor ihm verholfen, sie versteckt. „Die Nacht war nicht schön für die beiden.“ Auch die andere Frau sei wohl vergewaltigt worden. Sie habe ihn davon abgehalten, seine Freundin zu erstechen. „Wäre sie nicht dazwischengegangen, hätte er mich abgestochen“, habe ihre Tochter erzählt. Das Messer habe er die ganze Zeit in der Hand gehalten. Erstmals zeigte ihre Tochter ihren Freund dann bei der Polizei an.
Am Morgen danach habe der Angeklagte ihn angerufen, sagt der Vater des Opfers: Er suchte sie: „Wenn du mir nicht sagst, wo sie ist, schmeiße ich meine Pille ein und stech euch alle nieder“, habe er gedroht. Auch er hörte demnach, dass der nun Ex-Freund im Gefängnis sei und war vorerst einigermaßen beruhigt.
Die 23-Jährige machte einen Rückzieher. Sie sei in ihre Wohnung zurückgekehrt, habe der Familie erzählt, er sei in Untersuchungshaft. Was nicht stimmte. Die Anzeige zog sie zurück. Als ihr Vater nach dem Grund fragte, habe sie gesagt: „Wenn man mit dir in den Wald fährt, du auf die Knie musst und ein Messer am Hals hast – was würdest du tun?“ Genau so wurde die 23-Jährige keine Woche später an der niederländischen Grenze ermordet. Bei der Trennung aber blieb es wohl. Auch wenn es ihr sehr schwer fiel, erzählt eine Freundin, sie fühlte sich einsam, vermisste ihn. Fürchtete sich gleichzeitig vor ihm.
Ihr letzter Tag: Sie habe nach der Trennung glücklich gewirkt wie seit Jahren nicht
Am Sonntag, 13. August, sei die Schwester mit den Kindern zu Besuch gewesen, erzählt die Schwester im Zeugenstand. Sie habe glücklicher gewirkt als seit Jahren, gelöst, ihre Profile in den Sozialen Netzwerken reaktiviert, Fotos von sich hochgeladen, ihren Beziehungsstatus auf „Single“ gesetzt. Das bestätigen auch ihre Eltern, Großeltern, die dabei waren, eine Freundin, mit der sie sich endlich einmal wieder treffen wollte. „Sie hat richtig gestrahlt“, so ihr Vater. Endlich könne sie ihre Kinder taufen lassen, habe seine Tochter gesagt. Und erstmals von sich aus blaue Flecken am Körper gezeigt, die er ihr zugefügt habe.
An diesem Sonntag habe der Angeklagte in ihrem Beisein mehrfach angerufen, sagt die Schwester aus: „Sie haben sich gestritten, weil sie ihn verlassen hat. Er wollte sie wohl zurück.“ Sie habe entgegnet: „Warum hast du mich dann betrogen?“ Er wisse wo sie sei, dass sie von einem schwarzen Audi aus beobachtet werde, habe er gedroht. Sie hätten gedacht, dass er aus der Haft heraus anruft.
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Abends, so die Schwester, hätten sie noch per WhatsApp Kontakt gehabt, sie habe von einem anderen Ex-Freund erzählt, den sie geküsst habe. Sie sei total glücklich, schrieb sie spätabends. „Das war die letzte Nachricht von ihr.“ Morgens habe sie dann bemerkt, dass ihre Schwester um 5 Uhr in der Nacht ohne Grund den Familien-Chat verlassen habe. Da war sie wohl schon tot.