Mülheim. Ein Mülheimer Priester muss sich für eine Affäre verantworten, ein Polizist wegen eines WhatsApp-Chats. Die Liste der spektakulärsten Prozesse.

Was bleibt vom Jahr 2022 in Mülheim? Leider auch dies: Erinnerungen an brutale Tötungen, lebensgefährliche Attacken, sexuelle Übergriffe. . . und an die darauf folgenden, teils aufsehenerregenden Gerichtsprozesse. Wie Juristen die Verbrechen beurteilten: eine Übersicht.

Nach Affäre mit Minderjährigem: Mülheimer Priester in zweiter Instanz freigesprochen

Zum Stadtgespräch wurde dieser Fall: Anfang 2022 hatte das Bistum Essen einen Mülheimer Priester suspendiert. Von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung war die Rede. Vier Monate später, im Mai, wurde der katholische Geistliche vom Amtsgericht Mülheim wegen sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten sowie einer Zahlung von 1000 Euro verurteilt. Auf seine Berufung hin entschied das Landgericht Duisburg im November auf Freispruch.

Küssen, kuscheln und mehr hatte ein junger Mann aus Essen dem Priester über einen Chat im März 2018 angeboten, so die Anklage. Für 40 Euro „Taschengeld“, mit Zunge fünf Euro mehr. Kennengelernt hatten sich beide über das Portal „Gay Romeo“. Man traf sich auch im Haus des Geistlichen; das sei einem „aufmerksamen Katholiken“ aufgefallen, hieß es vor Gericht.

Szene vom Berufungsprozess im November vor dem Landgericht Duisburg: Dieser endete mit einem Freispruch für den Mülheimer Priester (r.).
Szene vom Berufungsprozess im November vor dem Landgericht Duisburg: Dieser endete mit einem Freispruch für den Mülheimer Priester (r.). © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

In den Prozessen ging es immer wieder um Geschenke an den Jüngeren: PC-Spiele, Kleidung, Einladungen. . . Die Zuwendungen könne man doch „verrechnen“, boten beide sich im Chat an. Für das Amtsgericht stand fest, dass der Geistliche für den Sex gezahlt hatte und dass er auch – spätestens nach einigen Wochen – gewusst habe, dass er sich mit einem erst 17-Jährigen eingelassen hatte. In zweiter Instanz gab der Zeuge aber an, er könne sich an vieles nicht mehr erinnern. Die Richter vermochten daher nicht zweifelsfrei zu klären, ob Geld geflossen ist. Nur dann wäre die Beziehung strafbar gewesen.

Der Angeklagte hatte durchgehend betont: „Ich bin kein Missbrauchstäter.“ Für die katholische Kirche ist das Verfahren noch nicht erledigt: Man müsse noch klären, ob sich der Priester nach dem Recht der Kirche schuldig gemacht hat, hieß es im November.

Eigenen Cousin missbraucht: 33-Jähriger muss für Jahre ins Gefängnis

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Fünf Jahre und acht Monate Gefängnis: So lautete im Mai das Urteil des Landgerichts in einem anderen Missbrauchsprozess. Bis zuletzt hatte der angeklagte Mülheimer (33) beteuert: „Ich habe meinen Cousin nicht missbraucht. Niemals.“ Die Richter aber zweifelten nicht an seiner Schuld. Zwischen 2013 und 2015 habe er sich in mindestens drei Fällen an seinem zu Beginn erst sieben Jahre alten Vetter vergangen, durch einen Zungenkuss und andere teils gravierende sexuelle Praktiken.

Entscheidend war vor allem ein psychologisches Gutachten, das dem Hauptzeugen im Teenager-Alter bescheinigte, zwar spärlich ausgesagt, aber doch tatsächlich Erlebtes wiedergegeben zu haben.

Ermittlungen zu rechten Polizei-Chats führen zu Anklage wegen Kinderpornografie

Ein zwei Sekunden langer Video-Schnipsel stand im Mittelpunkt eines Verfahrens gegen einen Polizisten (32). Das Amtsgericht hatte ihn in erster Instanz wegen Kinderpornografie zu einer Strafe von 3600 Euro verurteilt: Die von ihm via Whatsapp verschickte Sequenz zeigte Bilder eines Jungen, der in der Vorschule ertappt wird, wie er mit dem Inhalt seiner Hose spielt. Auch das Landgericht in zweiter Instanz hielt dies für Pornografie, hatte aber Zweifel, ob der Film die vom Gesetz geforderten „erheblichen sexuellen Inhalte“ aufweist. So erfolgte ein Freispruch.

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Das Brisante an der Geschichte: Der Film war nur aufgefallen, weil der Polizist als Berufsanfänger in einer Dienstgruppe gelandet war, die offenbar zu jenem Kreis Mülheimer Polizisten gehörte, die durch den Austausch rechten Gedankengutes in die Schlagzeilen geraten waren. Im Zuge der Ermittlungen war auch sein Handy beschlagnahmt worden. Die Ankläger fanden viele Bilder auf dem Gerät, darunter Torten mit Hakenkreuzen, Hitler-Schnauzbärte, schwarze Menschen in Ketten. Da der Polizist alles nur empfangen hatte, war es nicht strafbar. Das einzige, was angeklagt wurde, war das Video. Der 32-Jährige gab an, es für einen Scherz gehalten zu haben, daher habe er es sogar seiner Oma und anderen Verwandten gesendet.

„Sportnachweis erschummelt“: Staatsanwaltschaft warf Polizisten Betrug vor

Zwei andere Polizisten (beide 31) hatten es sich bei einem Sportnachweis einfach gemacht: Sie meldeten die fürs Laufen und Schwimmen geforderten Zeiten ganz einfach ohne jede Überprüfung. Da für die Tests aber immer automatisch acht Dienststunden gutgeschrieben wurden, hätten sie sich einen Vorteil erschlichen, so Staatsanwaltschaft und Amtsgericht. Wegen Betruges kassierten sie Geldstrafen.

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Auch drei weitere Polizisten wurden zunächst verurteilt. Der Verteidiger plädierte vehement für alle Mandanten: „Man muss sich nur den Berg von Überstunden ansehen, den sie vor sich herschieben. Auf diese acht Stunden kam es ihnen nicht mehr an.“ Und tatsächlich endeten vor dem Landgericht alle Verfahren mit Freispruch. Die Kammer war nicht ausreichend überzeugt davon, dass beim Schummeln das Erreichen eines persönlichen materiellen Vorteils im Vordergrund stand.

Verheerender Unfall auf der A 40: Nach knapp zwei Jahren stand die Strafe fest

Nach dem verheerenden Tanklaster-Brand auf der A 40 bei Styrum im September 2020 schickte das Amtsgericht einen Essener Anfang 2022 für ein Jahr und neun Monate in Haft. Der 43-Jährige, der betrunken gefahren war, legte Berufung ein. Nach eindringlichen Worten der Landgerichtskammer zog er diese zurück – und akzeptierte seine Strafe wegen fahrlässiger Brandstiftung, fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung.

Wie dramatisch sich die Situation damals darstellte, wurde deutlich, als ein Autofahrer erneut vom Crash berichtete. „Ich habe aus dem Augenwinkel gesehen, wie der Laster auf mich zukippte. Für mich war klar, dass ich sterbe.“ 35.000 Liter Kraftstoff gingen in Flammen auf. Es glich einem Wunder, dass nur der Unfall- und der Autofahrer verletzt wurden. Bis heute benötigt der Zeuge intensive psychologische Hilfe.

Der Fahrer des Tanklastzuges (r.) bei der Berufungsverhandlung im August am Landgericht Duisburg.
Der Fahrer des Tanklastzuges (r.) bei der Berufungsverhandlung im August am Landgericht Duisburg. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

An jenem 17. September hatte der Lkw-Fahrer 1,77 Promille im Blut. Vor Gericht gab er sich geläutert: „Ich wollte das alles nicht. Und ich weiß, dass es nicht zu rechtfertigen ist.“ Er habe sich nach dem Unfall in eine Entziehungsklinik begeben, sei trocken. Die von ihm angerichteten Schäden sind immens, allein 13 Millionen Euro für die zerstörte Brücke über die Autobahn.

Psychisch Kranker hielt Mutter für Roboter – und tötete sie bestialisch

Auch mit Fällen erschreckender Brutalität mussten sich die Gerichte beschäftigen. So mit der bestialischen Tötung einer Mülheimerin (68) in der Nacht zum 1. Dezember 2021 in Styrum. Ihr Sohn hatte immer wieder auf sie eingestochen, ihr den Kopf abgetrennt und mit einem schweren Tischgestell zugeschlagen. Das Landgericht ordnete im August die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Der 36-Jährige hatte einem Sachverständigen von Verfolgungswahn und Halluzinationen berichtet. „Bei der Tat habe ich geglaubt, meine Mutter sei ein Roboter.“ Er war überzeugt davon, dass sie einen Chip in ihrem Körper trage, der die Menschheit von Corona heilen könne. „Eine Stimme befahl mir: Hol den Chip heraus.“

Der 36-jährige Mülheimer (M.), der seine Mutter getötet hat, im August vor dem Landgericht Duisburg.
Der 36-jährige Mülheimer (M.), der seine Mutter getötet hat, im August vor dem Landgericht Duisburg. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der Beschuldigte hatte auch erzählt, er habe seit dem 20. Lebensjahr Cannabis konsumiert und kurz vor der Tat noch Amphetamin. Für ihn war dies die Ursache seiner Wahnvorstellungen – ein Gutachter aber erkannte einen deutlich früheren Zeitpunkt für den Ausbruch einer paranoiden Schizophrenie. Zur Tatzeit war der Mann schuldunfähig. Ohne streng überwachte Therapie seien weitere schwere Taten zu befürchten: „Es besteht eine Gefahr für jeden, den er – vielleicht nur bei einer Zufallsbegegnung – in sein Wahnsystem einbezieht.“

36-Jähriger in Forensik untergebracht: Opfer liegt seit der Attacke im Wachkoma

Auch einen anderen 36-jährigen Mülheimer schickte das Landgericht in die Forensik. Er hatte eine Mitbewohnerin in der Nacht zum 8. Juni in der Wohneinrichtung Worringer Reitweg so schwer verletzt, dass sie seither im Wachkoma liegt. Offenbar hatte er sich eingebildet, sie sei Teil einer Verschwörung gegen ihn. Schon früher war er gewalttätig geworden – in allen Fällen hielt die Kammer ihn für schuldunfähig.

Auffällig: Der Zustand des 36-Jährigen, der bereits seit dem 8. Juni vorläufig untergebracht war, hatte sich trotz Behandlung kaum verbessert. Während der Verhandlung lachte er leise vor sich hin, veranstaltete auch mal eine Partie Schattenboxen.

Grauenhafte Tat vor den Augen vieler Kinder: Verfahren gegen 34-Jährigen läuft

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Eine dritte Tat, die die Mülheimer entsetzte, hat sich am 14. Juni neben einem Spielplatz in Styrum zugetragen – viele Kinder wurden unfreiwillig Zeuge. Auch vor den Augen der eigenen drei Kinder soll ein 34-Jähriger seine Ex-Partnerin umgebracht haben. Eine Not-OP konnte die 31-Jährigen nicht mehr retten.

Die Ankläger werten die Tat als Mord aus niederen Beweggründen: Der Mann soll gefürchtet haben, dass die ehemalige Lebensgefährtin das alleinige Sorgerecht erstreiten könnte. Das Verfahren vor dem Landgericht wird wohl 2023 ein Ende finden.

Tödlicher Unfall bei Rewe bleibt ungesühnt: Angeklagter stirbt vor dem Prozess

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Juristisch nicht mehr verhandelt werden kann hingegen der Unfall, der sich im April 2020 auf dem Rewe-Parkplatz am Depot in Speldorf ereignet hat: Eigentlich sollte sich dafür ein 87-Jähriger im November vor dem Amtsgericht verantworten – der Mann starb jedoch kurz zuvor. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen: Er hatte eine Speldorferin (68) überfahren und einen Akkordeonspieler schwer verletzt. Möglicherweise habe er Gas- und Bremspedal verwechselt. Viele Fragen blieben offen.