Duisburg/Mülheim/Essen. Nach dem Tanklaster-Brand auf der A40 bei Mülheim muss ein Essener (43) für ein Jahr und neun Monate in Haft. Ihm droht noch eine weitere Strafe.
Der Schock sitzt auch fast zwei Jahre danach noch tief. Im Landgericht Duisburg erzählt der bei dem Tanklaster-Unfall auf der A40 bei Mülheim schwer verletzte Autofahrer noch einmal, wie er den Crash erlebte. Todesängste habe er in dem Moment gehabt: „Ich habe aus dem Augenwinkel gesehen, wie der Tanklaster auf mich zukippte. Das war für mich keine Frage, ob ich sterbe. Für mich war klar, dass ich sterbe.“ Kurz darauf gehen 35.000 Liter Kraftstoff in Flammen auf. Die Schäden, die dadurch verursacht werden, sind immens. Dass es nur zwei Verletzte gab, den Autofahrer und den Ex-Lkw-Fahrer, ein kleines Wunder.
Der Mann, der dafür verantwortlich ist, weil er betrunken den Tanklaster gesteuert hatte, muss ins Gefängnis. Vor dem Landgericht Duisburg hat der inzwischen 43-jährige Essener am Mittwoch seine Berufung nach vorheriger eindringlicher Empfehlung des Vorsitzenden Richters zurückgezogen. Damit ist das Urteil des Amtsgerichts Mülheim aus der Vorinstanz rechtskräftig: Ein Jahr und neun Monate Freiheitsstrafe wegen fahrlässiger Brandstiftung, fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung. Der Mann ist noch auf freiem Fuß, dürfte aber zeitnah eine Ladung zum Haftantritt bekommen.
Ende 2019: Polizei rückt wegen häuslicher Gewalt an
Es ist wahrscheinlich, dass es dabei nicht bleibt. Zum Unfallzeitpunkt stand der Mann unter Bewährungsauflagen. Hintergrund ist ein Vorfall häuslicher Gewalt. Mit 2,91 Promille Blutalkohol war der Essener Ende 2019 erst seine damalige Freundin und dann die alarmierten Polizisten angegangen. Wegen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung gab es im Februar 2020 sieben Monate Haft mit Bewährung am Amtsgericht Essen. Die Staatsanwaltschaft dürfte nun durchsetzen, dass auch diese Strafe angetreten werden muss.
Es war auch nicht das erste Mal, dass der Mann vor dem Unfall mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist - in der Regel unter teils massivem Alkohol-Einfluss. 1,77 Promille hatte er um die Mittagszeit, als der Crash mit dem Tanklaster am 17. September 2020 geschah.
„Das ist nicht zu erklären und nicht zu rechtfertigen“
Wie schon bei dem Termin am Amtsgericht gibt sich der Angeklagte geläutert: „Ich wollte das alles nicht“, sagt der 43-Jährige, „und ich weiß, dass das nicht zu erklären und nicht zu rechtfertigen ist.“ Er entschuldigt sich erneut bei dem Autofahrer, der dies annimmt. Er habe nach dem Unfall eine Entgiftung gemacht und sich danach in eine stationäre Entziehungsklinik gegeben. Er präsentiert dem Gericht einen Arbeitsvertrag seiner neuen Stelle als Lagerist, die er im Mai angetreten hat. Er sei vom Alkohol losgekommen. Er und seine langjährige Freundin hätten sich getrennt. Auch die Bewährungshelferin bescheinigt insgesamt eine gute Sozialprognose.
Allerdings hat der Essener nicht mal ihr von dem Unfall erzählt. „Ich habe mich geschämt“, sagt er. Lange nach dem Unfall war er für die Ermittlungsbehörden nicht greifbar. Wohl nicht nur wegen der stationären Therapie, sondern möglicherweise auch, weil die sich bei der Suche nach ihm nicht übermäßig bemüht haben, das klingt am Rande der Verhandlung durch. Über den Klinik-Aufenthalt war etwa die Bewährungshelferin informiert.
Festnahme bei Flug in den Urlaub am Flughafen Düsseldorf
Festgenommen wurde der Mann zufällig bei einer Ausweiskontrolle am Flughafen Düsseldorf - ein Jahr nach dem Crash. Er hatte mit seiner Ex-Freundin ein paar Tage Urlaub in der Türkei machen wollen. Es folgten einige Tage in Untersuchungshaft.
Auf einen grünen Zweig kommen wird der Mann in diesem Leben wohl nicht mehr. Noch hätten sich die Versicherungen nicht gemeldet, sagt sein Anwalt. Aber vermutlich haben die erst die Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung abgewartet. So dürfte sich die Deutsche Bahn bemühen, zumindest einen Teil ihrer Kosten, allein 13 Millionen Euro für das zerstörte Brücken-Bauwerk über der A40, zurückzuholen. Der volkswirtschaftliche Schaden durch diverse längere Sperrungen von Bahnstrecke und Autobahn für die Reparaturarbeiten dürften kaum zu beziffern sein. Dem 43-Jährigen stünde allein ein Verdienst bis zur Pfändungsgrenze von rund 1330 Euro zu.
Unfallopfer ist bis heute in psychologischer Behandlung
Der Autofahrer, der noch immer unter den Folgen des Unfalls leidet, war aus seinem Wohnort in Sachsen-Anhalt zur Verhandlung angereist. Die Bilder gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf, sichtlich betroffen ist er bei seiner Vernehmung. Die Beweglichkeit seines linken Arms ist bis heute eingeschränkt, er ist noch immer in psychologischer Behandlung. Seine Therapeutin habe ihm vor kurzem geraten, sich für seine „posttraumatische Belastungsstörung“ stationär aufnehmen zu lassen. Er wolle das machen. „Ich habe sehr viel Glück gehabt, dass ich jetzt hier sitze“, sagt der 62-Jährige.
Er war auf dem Nachhauseweg von seinem Job in den Niederlanden, als der Unfall geschah. „Ich sehe das Feuer immer noch“, sagt er, „und es war schon eine Strafe, wieder hier her kommen zu müssen.“ Der Anwalt des 43-Jährigen kündigt in der Verhandlung an, dass sein Mandant künftig einen monatlichen Obolus an den 62-Jährigen überweisen wolle. Als kleines, aber klares Zeichen. Da ist der Autofahrer schon wieder auf dem Nachhauseweg. Das Ende der Verhandlung wartet er nicht ab.