Düsseldorf. War es verhältnismäßig, 12.500 Handy-Kontakte von 24 Polizisten aus Essen/Mülheim zu überprüfen? Ein Gutachten nährt jetzt Zweifel.

Bei der Aufarbeitung rechtsextremer Chat-Gruppen im Polizeipräsidium Essen/Mülheim sind die Ermittler möglicherweise über das Ziel hinausgeschossen. Das legt ein Gutachten der Düsseldorfer Kanzlei „Plan A“ nahe, das die SPD-Opposition am Mittwoch im Landtag präsentierte. Eine massenhafte Durchleuchtung von Handy-Kontakten erscheine unverhältnismäßig und habe Zufallsbekanntschaften der Beschuldigten in die Nähe rechtsextremistischer Ermittlungen gerückt, kritisierte Rechtsanwalt Ingo Bott. Die verantwortliche Besondere Aufbauorganisation (BAO) „Janus“ im Polizeipräsidium Bochum habe sich „datenschutzrechtlich wie die Axt im Walde“ aufgeführt.

Unabhängig davon dauern die Ermittlungen nach rechten Chats bei der NRW-Polizei an. „Bislang gibt es keine abgeschlossenen Verfahren“, teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg am Donnerstag auf Anfrage mit. Es werde gegen 25 Beschuldigte ermittelt.

Alle Kontakte aller beschlagnahmten Polizisten-Handys wurden durchleuchtet

Im Frühjahr war bekannt geworden, dass bei den Ermittlungen gegen 24 Polizeibeamte aus Essen/Mülheim sämtliche Kontaktdaten aus allen beschlagnahmten Mobiltelefonen der Beschuldigten von Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland durchleuchtet wurden. Dabei sollte überprüft werden, ob es Verbindungen der Chat-Polizisten zu rechtsextremistischen Netzwerken gibt. Insgesamt wurden rund 12.500 Rufnummern an sämtliche Landeskriminalämter und Verfassungsschutzbehörden sowie an den Zoll und das Bundeskriminalamt übermittelt.

Die massenhafte Datenabfrage führte zunächst nur zu 26 Treffern. So ergaben sich Verbindungen zu neun Personen der rechtsextremen Gruppe „Steeler Jungs“ sowie in die Hooligan-Szene in Essen und Dortmund. Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte mit Blick auf diese Erkenntnisse davor gewarnt, dass man das Instrument der sogenannten kriminaltaktischen Anfrage „nicht leichtfertig infrage stellen sollte“. Die Datensätze würden nach dem Abgleich sofort wieder gelöscht und stünden für weitere Anfragen nicht mehr zur Verfügung.

Ist das neue Polizeigesetz bei kriminaltaktischen Abfragen zu großzügig?

Der von der SPD eingeschaltete Gutachter Christoph Buchert sieht die Massenanfrage zwar durch das neue Polizeigesetz gedeckt, äußerte jedoch Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Aktion. Es habe die Sensibilität gefehlt, offenkundig Unbeteiligte wie etwa Kindergarten-Kontakte oder Zufallsbekanntschaften von der Überprüfung auszunehmen. SPD-Innenexperte Hartmut Ganzke forderte Nachbesserungen im NRW-Polizeigesetz, um uferlose Datenabfragen künftig zu verhindern. Der Kreis von relevanten Kontaktpersonen müsse juristisch enger gefasst werden.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wollte den Bochumer Ermittlern keinen Vorwurf machen und verwies vielmehr auf eine politische Verantwortung für das Vorgehen: „Der Rechtsstaat macht nicht Sachen, weil er es kann, sondern weil er es darf“, sagte GdP-Landeschef Michael Mertens. Im vergangenen Jahr waren zufällig mehrere private Polizei-Chatgruppen im Präsidium Essen/Mülheim öffentlich geworden, in denen über Jahre Bilder und Botschaften mit rechtsextremer Hetze geteilt worden waren. Das Innenministerium hatte daraufhin eine harte Aufklärungsarbeit in Gang gesetzt.