Mülheim/Essen/Duisburg/Oberhausen. Im Fall rechter Chat-Netzwerke bei der Polizei in Mülheim dauern die Ermittlungen zwei Jahre später noch an. 20 Beamte sind seitdem suspendiert.

Das Auffliegen eines rechten Chat-Netzwerks bei der Polizei in Mülheim im September 2020 hat den Ermittlungsbehörden einen kaum vorstellbaren Wust an Arbeit beschert. Es sind Zahlen, die erschlagen: In den vergangenen beiden Jahren hat die aus Neutralitätsgründen zuständige Polizei in Bochum 45 Terabyte Daten auf sichergestellten Mobiltelefonen und Rechnern ausgewertet. Bei der Sichtung des Materials auf den Handys der Beamten hätten elf weitere Präsidien des Landes NRW mitgeholfen, sagt Isabel Booz, Sprecherin der federführenden Staatsanwaltschaft Duisburg. Deren Aktenbestand zu dem Skandal umfasst aktuell weit über 30.000 Seiten. In strafrechtlicher Hinsicht sind die Folgen allerdings weit überschaubarer.

Gegen 25 männliche Beschuldigte vorwiegend aus Essen, Mülheim und Oberhausen, die alle aktuell oder in der Vergangenheit in der dem Polizeipräsidium Essen unterstehenden Wache in Mülheim eingesetzt waren, hat die Staatsanwaltschaft ermitteln lassen. Sie hatten in mehreren Chat-Gruppen mit Namen wie „Alphateam“ oder „Kunta-Kinte“ „in großer Anzahl“, so Booz, etwa Hitlerbilder, Hakenkreuze und SS-Runen ausgetauscht. Darunter seien auch volksverhetzende Inhalte und Gewaltdarstellungen gewesen. Im Laufe der Ermittlungen hätten die Beschuldigten zu den Vorwürfen mehrheitlich keine Angaben gemacht.

Sieben Strafbefehle gegen Polizisten sind rechtskräftig

Inzwischen hat das Amtsgericht Mülheim auf Antrag der Staatsanwaltschaft sieben Strafbefehle erlassen, die rechtskräftig sind. Nicht nur wegen rechter Hetze. Die Ermittler fanden auch andere Delikte. Die Strafbefehle seien „unter anderem wegen Verstößen gegen das Waffengesetz, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen sowie Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung“ beantragt worden, so die Duisburger Staatsanwaltschaft.

Die Strafbefehle enthielten mehrheitlich Verurteilungen zu Geldstrafen mit Tagessätzen im zweistelligen Bereich. Mit 150 beziehungsweise 200 Tagessätzen in zwei Fällen allerdings auch über der rechtlich bedeutenden Grenze von 90. Diese beiden Beamten gelten jetzt als vorbestraft.

Beschuldigte gehen gegen Verurteilung am Landgericht Duisburg vor

Ein Polizist hat sogar einen Strafbefehl über 240 Tagessätze erhalten. Dieser wie auch zwei weitere vom Amtsgericht verhängte Verurteilungen haben allerdings noch keine Rechtskraft. Die Beschuldigten gehen dagegen vor. Aktuell liegen diese drei Fälle zur Entscheidung bei der Berufungsinstanz am Landgericht Duisburg.

Bei zwei Fällen habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt, weil die zugrunde gelegten Vorwürfe bereits verjährt gewesen seien, erklärt Booz. In weiteren acht Fällen sei die Einstellung des Verfahrens erfolgt, weil die Beschuldigten zwar verwerfliche Inhalte in den geschlossenen Chat-Gruppen geteilt hätten, aber nicht zur weiteren Verbreitung außerhalb davon aufgerufen hätten.

Ermittlungen dauern in fünf Fällen noch an - Ende nicht absehbar

In fünf Verfahren dauern die Ermittlungen auch zwei Jahre später an. Wann diese abgeschlossen werden könnten, ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht abzuschätzen.

Disziplinarrechtlich hat das Auffliegen der Truppe größere Kreise gezogen als strafrechtlich. Intern habe es Untersuchungen gegen 44 Polizisten, zwei davon 2020 bereits im Ruhestand, gegeben, sagt Victor Ocansey, Sprecher des zuständigen Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW (LAFP). Weil diese Verfahren erst aufgenommen werden, wenn die strafrechtlichen Ermittlungen rechtskräftig beendet sind, dürfte deren Abschluss auch noch dauern. Bis heute seien 20 Beamte weiter suspendiert, also „vorläufig des Dienstes enthoben“, wie es offiziell heißt - bei vollen Bezügen. Ein Polizist sei auf eigenen Antrag hin entlassen worden, sagt Ocansey.

21 Beamte sind wieder im aktiven Dienst bei der Polizei

17 von 18 bislang beendeten Disziplinarverfahren habe das LAFP inzwischen ohne Folgen eingestellt. In einem Fall habe es eine Disziplinarmaßnahme gegeben. Nähere Angaben dazu macht das LAFP mit Verweis auf den Daten- und Persönlichkeitsschutz nicht. 21 Beamte befänden sich wieder im aktiven Dienst. Ob sie in ihre alte Dienststelle zurückgekehrt sind - auch dazu könne das LAFP aus Gründen der Fürsorgepflicht keine Angaben machen.

Die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte die Auswertung des Mobiltelefons eines Polizeibeamten, gegen den von der Staatsanwaltschaft Essen in einem anderen Zusammenhang ermittelt wird. Worum es dabei geht, dazu sagt deren Sprecherin Anette Milk auch zwei Jahre später nichts, um das weitere Verfahren nicht zu gefährden. Ein Ende der Ermittlungen in dem Komplex ist auch bei dem Ausgangspunkt noch nicht absehbar.