Mülheim. Die Hilfsbrücken über die A40 in Mülheim entstehen in wenigen Monaten. Doch für „richtige“ Brücken braucht die Bahn sechs Jahre – warum?

Im Akkord ersetzt die Deutsche Bahn die drei Eisenbahnbrücken über die A40 in Mülheim-Styrum, die Mitte September bei einer Tanklaster-Explosion beschädigt wurden. Schon Ende des Jahres soll die erste Hilfsbrücke stehen , im Sommer 2021 dann die anderen beiden. Doch es sind eben nur Provisorien, damit der Verkehr wieder fließen kann. Für den Bau einer „richtigen“ Brücke veranschlagt die Bahn dagegen sechs bis sieben Jahre. Warum dauert das so lange? Oder besser noch: Warum kann die Hilfsbrücke nicht einfach stehen bleiben?

Behelfsbrücken können natürlich viele Jahre lang sicher den Verkehr ermöglichen. „Sie sind aber eine Übergangslösung“, sagt Marcus Vierhaus, Leiter Brückenerneuerung bei der DB NRW. Es werden Fertigelemente aus Stahl verbaut. Dadurch erfüllen sie nicht im gleichen Maß die Anforderungen wie eine individuell geplante Brücke. Stahlbrücken sind lauter als solche aus Beton. Auch die Abstände und Breiten, für Randwege, Dienstwege und dergleichen sind andere.

Wie sieht die A40 in hundert Jahren aus?

80 bis 100 Jahre soll eine Brücke halten, dafür braucht es vor allem: Planungsvorlauf. Ist es zu erwarten, dass die Straße oder der Kanal, den die Brücke überquert, in dieser Zeit erweitert wird? Das muss mit dem „Kreuzungspartner“, zum Beispiel mit einer Stadt oder Straßen NRW, geklärt werden. Eine sinnvolle Variante muss optimal auf den Verkehr abgestimmt und wirtschaftlich sein, konfliktfrei umzusetzen und sie soll die Einschränkungen für alle drumherum gering halten: für Pendler, Anwohner, Umwelt und natürlich für Bahnreisende. „Dabei ist die Dauer der Streckensperrung natürlich ein sehr großes Kriterium“, sagt Vierhaus.

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Eine Großbaustelle hat auch Auswirkungen auf Fahrpläne im ganzen Land, auf andere Baustellen, auf die Pläne externer Partner wie Straßen.NRW oder Städte. Sträucher und Bäume können wegen des Artenschutzes nur von Oktober bis Februar gerodet werden … Es ist so komplex, dass bei planbaren Baustellen drei Jahre zwischen der fertigen Planung und dem eigentlichen Baubeginn liegen, erklärt Vierhaus. „Nur so kann die Vielzahl an Baustellen frühzeitig bei der Erstellung des Fahrplans berücksichtigt werden.“

Dies ist der wohl größte Zeitfaktor. „Egal, wie schnell ich die Brücke berechne oder konstruiere – ein längerer Planungs- und Genehmigungsvorlauf, bis ich bauen kann, wird immer bestehen bleiben“, sagt Vierhaus. „Den kann man auch nicht mit höherem Personaleinsatz umgehen. Es gibt einfach Fristen und Abhängigkeiten, die man nicht verkürzen kann. Ein Planfeststellungsverfahren folgt klaren Regeln. Klar ist aber auch, dass die Planungen so optimiert werden, dass die Arbeitsschritte so getaktet und verzahnt werden, dass keine Zeit verloren geht.“

Je länger die Planung, desto kürzer die Bauzeit?

Gedanklich arbeiten die Planer ohnehin in mehreren Phasen: In Mülheim entsteht die Behelfsbrücke mit der endgültigen Lösung im Hinterkopf. Fundament oder Tiefenbohrung? Fünf oder 20 Meter tief? Lehmige Böden bringen andere Herausforderungen mit sich als sandige Untergründe. Auf dem Mittelstreifen oder mit viel Platz? Ziel ist es natürlich, dass Arbeiten für die Behelfsbrücken auch denen im Endzustand zugute kommen kommen, erklärt Vierhaus: „Synergien werden genutzt, wo es geht.“ Auch Abnahmen und Dokumentation würden baubegleitend gemacht. Klar ist jedoch: Eine kurze Bauzeit setzt einen langen Vorlauf mit entsprechender Planung voraus.

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Bleibt die Entscheidung, ob „unter rollendem Rad“ gearbeitet wird oder ob die Strecke eine längere Zeit gesperrt wird, um das Projekt konzentriert voran zu bringen. Eine Variante, die Straßen.NRW in den letzten Jahren auf der A40 und der A3 mit überraschendem Erfolg getestet hat. Auch Vierhaus sagt: „Einerseits versuchen wir, möglichst viel unter rollendem Rad zu bauen, um den Fahrgast nicht zu beeinträchtigen. Wenn wir sperren müssen, wird nach Möglichkeit ein Paket gemacht. Wir bündeln Maßnahmen, wo es nur geht, um unsere Fahrgäste möglichst wenig zu beeinträchtigen.“ Aber das sei „immer eine Einzelfallentscheidung. Da wird schon ausgeschöpft, was möglich ist.“

Herner Unternehmen verkürzt Bauzeit durch Innovation

Heitkamp-Geschäftsführer Jörg Kranz.
Heitkamp-Geschäftsführer Jörg Kranz. © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Zumindest was die Bauzeit angeht, gibt es jedoch Ideen, wie diese sich erheblich verkürzen lässt. Eine hat das Herner Unternehmen Heitkamp bereits vor einem Jahr in Emmerich umgesetzt . Die „Schnellbaubrücke“ über die A3 entstand in nur 80 statt in 200 Tagen, wie es bei herkömmlicher Bauweise nötig gewesen wäre. Statt mit Beton arbeitete Heitkamp bei den Widerlagern, auf denen die Brückenplatte aufliegt, mit Kunststoffgittern, die lagenweise mit Erde gefüllt wurden. Das sparte nicht nur Bau und Aushärtungszeit, sondern auch Platz, erklärt Geschäftsführer Jörg Kranz: „Betonlager müssen lange aushärten. Und wir müssen sie abstützen, was meist in den Verkehrsraum eingreift.“ Mit der neuen Bauweise musste die Autobahn nur an zwei Wochenenden gesperrt werden, um die 35 Meter lange Platte einzuschieben.

Vorbilder gab es in den Niederlanden, für Deutschland war die die Brücke mit Widerlagern aus Geokunststoff-Bewehrter-Erde ein Pilotprojekt. Dafür hatte Heitkamp reichlich Überzeugungsarbeit leisten müssen. „Wir haben in Deutschland natürlich einen hohen Standard und bauen immer ein Stück weit für die Ewigkeit. Es ist auch gut so, dass wir Normen haben. Nur wenn Sie was Neues machen wollen, müssen Sie dickere Bretter bohren“, sagt Kranz. „Aber schneller bauen die Chinesen auch keine Brücke.“

Die Technik eigne sich für etwa die Hälfte der Brücken in Deutschland, schätzt Kranz, auch für größere Projekte und Eisenbahnbrücken. „Unser System haben wir auch der Deutschen Bahn vorgestellt.“ Das Interesse sei da. Nun sollen mit entsprechenden Vertretern der DB Gespräche geführt werden, um die Anforderungen abzustimmen. Die Auswertungen der zahlreich verbauten Sensoren zeigen weniger Verformungen als erwartet. Die Lebensdauer betrage ebenfalls mindestens 100 Jahre, die Materialien seien allesamt wiederverwendbar und günstiger. „ Fernziel muss es sein , dass diese moderne Bauweise ins deutsche Regelwerk aufgenommen wird.“

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