Hattingen. Ermittler finden im Oktober 2003 in Hattingen eine zerteilte Leiche. Die Tat am Rande der Innenstadt zieht die Medien wie ein Magnet an.

Nie ist das Medieninteresse in Hattingen größer als bei dieser Bluttat im Oktober 2003: Eine Mutter (49) hat ihren Sohn (27) zunächst mit zehn Axtschlägen getötet, anschließend die Leiche zerteilt und in Alukisten und eine Reisetasche gelegt. Der Bruder der Frau alarmiert die Polizei, als er Blutspuren und Verwesungsgeruch bemerkt.

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30 Journalisten, sechs Fernseh- und sieben Fotokameras, Teams von RTL, ARD, Sat.1, WDR, etliche Zeitungs- und Radiojournalisten drängen sich in die Polizeiwache an der Hüttenstraße, nur wenige hundert Meter entfernt vom Tatort. Fast schon verloren sitzen Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen, Polizeisprecher Manfred Michalko und Wachleiterin Petra Kaufmann ihnen gegenüber und geben Auskunft.

Ein Kameramann filmt das Wohnhaus am Rande der Innenstadt in Hattingen.
Ein Kameramann filmt das Wohnhaus am Rande der Innenstadt in Hattingen. © dpa | Bernd Thissen

Sie stellen die Tatwerkzeuge vor: die Axt, eine Kettensäge, Messer, andere kleine Sägen, eine Schaufel. Sachlich sind die Auskünfte, es sei „eine furchtbare Tat“, sagt etwa Lichtinghagen. Für die Polizisten, die den Leichnam gefunden haben, sei es trotz professioneller Hilfe ein schwierig zu verarbeitender Fall, erklärt Michalko.

Wenige Wochen vor der Tat zieht der Sohn wieder ein

Die Frau lebt in einem Mehrfamilienhaus, ist einmal wegen eines kleinen Ladendiebstahls aufgefallen. Früher arbeitete sie in einem Altenheim und im Krankenhaus als Helferin, danach in einem Rotlicht-Etablissement in Holzwickede. Lange wohnt der Sohn im Haus nebenan, doch wenige Wochen vor der Tat zieht er zu seiner Mutter – weil er rausgeworfen wurde.

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Der 27-Jährige ist drogenabhängig. In seinem Umfeld wird er als „psychisch krank“ beschrieben, Psychiater Norbert Leygraf attestiert eine paranoide Schizophrenie. Mitte der 1990er-Jahre spielt er mittelalterliche Rollenspiele wie „Das schwarze Auge“, auch der Mann, der im Jahr 1999 in Oberstüter seinen Nachbarn mit einem Highlander-Schwert enthauptet, gehört hierbei zu seinem Bekanntenkreis.

Er driftet ab in „mystische Kreisen“, wie ehemalige Freunde es bei der Verhandlung vor dem Schwurgericht beschreiben. Fühlt sich verfolgt, tickt immer wieder aus, auch mitten in der Nacht. Der junge Mann wird aggressiver, achtet überhaupt nicht mehr auf sein Äußeres.

In der Wohnung kommt es immer wieder zum Streit

In der Wohnung der Mutter kommt es zum Streit. Er soll sie geschlagen haben, sagt sie später aus. Diesen Herausforderungen ist die Frau offensichtlich nicht gewachsen. „Er hat mich so gequält“, sagt die 49-Jährige bei ihrer Verhaftung.

Drei Ehen, zum Teil mit gewalt­tätigen Männern, hat sie hinter sich, alle sind gescheitert. Mehrfach ist sie selbst körperlich schwer erkrankt, hat seit der Schulzeit Probleme mit ihrem zweiten Sohn.

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Der lebt von seiner Mutter, verweigert Sozialhilfe. „Er hat Leistungsverweigerung als Lebensphilosophie vertreten. Er hatte kein richtiges Interesse am Leben“, sagt die Mutter im Gespräch mit einem der beiden hinzugezogenen Psychologen in diesem Fall.

„Die Tat stand am Ende eines jahrelangen Martyriums“

„Ich bekam große Angst, als er sagte: Jetzt bist du dran!“ Verzweifelt schildert sie, was auf ihr lastete. In der Nacht zum 9. Oktober 2003, nachdem ihr Sohn sie mit einem Besenstiel geschlagen hat, holt sie eine Axt aus dem Schlafzimmer und erschlägt im Affekt ihren Sohn.

Meinung der Gutachter

Deutliche Hinweise sahen die Psycho-Gutachter Norbert Leygraf und Norbert Schalast vor dem Essener Schwurgericht, dass die Angeklagte durch das Zusammenleben mit ihrem psychisch erkrankten und aggressiven Sohn im Affekt gehandelt haben könne.Die Gutachter schildern am zweiten Verhandlungstag am Landgericht ein problematisches Mutter-Sohn-Verhältnis.

„Die Tat stand am Ende eines jahrelangen Martyriums“, sagt Staatsanwalt Lichtinghagen. „Sie hat nur auf die Gewalt ihres Sohnes reagiert“, betont der Anwalt der Frau.

Das Schwurgericht nimmt der Angeklagten ihre Aussage ab

Die Kammer hinterfragt nicht weiter, ob sich die Angeklagte wirklich nicht an die Tat und die folgenden Tage erinnere. Dass sie die Leiche mit einer Bügelsäge zerteilt und verpackt hat, hält ihr das Gericht nicht vor, verzichtet auf die Schilderung der Einzelheiten. Richter Esders erklärt, dass ihr Verhalten „für das Strafmaß keine Bedeutung hat“.

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Laut schluchzt die Hattingerin nach ihren letzten Worten vor dem Essener Schwurgericht auf. Sie habe die Axt nicht gekauft, um ihren Sohn zu töten, beteuert sie. Das Gericht nimmt es ihr ab – mit vier Jahren Haft wegen Totschlags in einem minderschweren Fall verzichtet es auf eine hohe Strafe.

Bisher sind in der Reihe der Akte Hattingen erschienen: