Hattingen. Hattingen gerät weltweit in den Schlagzeilen: Eine dramatische Familientragödie spitzt sich in Toronto zu – Tat „in geistiger Umnachtung“.
Er ist ein guter Schüler, ein beliebter obendrein. Als „genial“ wird er bezeichnet, „schon fast ein Prototyp eines lieben Menschen, der immer viel Verständnis für andere hat und selten etwas abschlagen kann“. Am Gymnasium Waldstraße wird er Ende der 1980er-Jahre sogar zum Schülersprecher gewählt. Und dennoch kommt es später zu dieser unfassbaren Tat zum Jahreswechsel 1996/97, bei der der 26-Jährige in seinem Studenten-Apartment in Toronto (Kanada) seinen Vater (50), einen Geographie-Professor an der Ruhr-Uni in Bochum, mit 18 Messerstichen tötet.
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Die Nachbarn stehen unter Schock, ehemalige Mitschüler sind sprachlos. Das Verhältnis sei gut, der Sohn ein eher ruhiger Mensch. „Für mich ist völlig unvorstellbar, dass er seinem Vater Gewalt angetan haben soll“, sagt eine Nachbarin zur WAZ. „Das würde ich ihm nie zutrauen“, meint ein Mitschüler.
Was passiert ist: Zum Jahreswechsel besucht der Vater seinen Sohn in Toronto, wo dieser seit dem August 1996 studiert. Doch schon wenige Stunden nach seiner Ankunft kommt es zur Bluttat – kanadische Polizisten nehmen den Studenten in einer Nebenstraße fest.
Gerüchte schießen in Hattingen schnell ins Kraut
Schnell schießen im 6167 Kilometer entfernten Hattingen Gerüchte ins Kraut: War er Mitglied einer Sekte, fühlte sich von Dämonen getrieben? War er krank?
Im Zuge der Gerichtsverhandlung vor dem Essener Schwurgericht wird die Dramatik dieser Familientragödie deutlich: Mediziner haben die Hilferufe des Studenten offenbar nicht ernst genommen. Anfang 1996 klagt er beispielsweise einem Psychotherapeuten an seinem damaligen Studienort Konstanz, dass er sich „einsam und wurzellos“ fühle.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich seine Eltern Anfang der 1990er-Jahre trennen und die Mutter – eine Finnin – wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt ist. Zudem ist er nach der Schulzeit mehrmals umgezogen, hat immer wieder seinen Freundeskreis gewechselt. Doch der Mediziner stuft das Problem als nicht gravierend ein. Er solle sein geplantes Auslandsstudium antreten, rät er ihm. „Der falsche Rat, wenn sich einer wurzellos fühlt“, analysiert ein vom Gericht hinzugezogener Psychiater.
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In Toronto kommt der junge Mann nicht zurecht. Er fühlt sich verfolgt, stellt sein Rad deswegen in Nebenstraßen ab. Es kommt zu paranoiden Schüben. Nach Weihnachten sieht er sich als Doppelagenten, bedrängt von den Geheimdiensten CIA und KGB.
Er fühlt sich verfolgt, hält sich für einen Doppelagenten
Er sendet neue Hilferufe, bittet seine kanadischen Freunde, mit ins Krankenhaus zu gehen. Aber auch hier sehen die Ärzte keinen akuten Handlungsbedarf. Nach Neujahr soll er wiederkommen.
Er ruft seinen Vater in Deutschland an. Dieser ist alarmiert, bittet eine Nachbarin darum, die Blumen zu gießen. Am 8. Januar sei er zurück. „Dass er seinen Sohn in Kanada besucht, hat er mir nicht gesagt.“
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Der Uni-Professor, den seine Studenten als streng, aber gerecht bezeichnen, landet zum Jahresbeginn in Toronto. Als er im Studenten-Apartment ankommt, trifft er auf seinen Sohn und dessen Freunde. Der 26-Jährige bittet diese zu bleiben – doch sie gehen. Wenige Stunden später passiert die Tat. Später stellt sich im Zuge der Ermittlungen heraus, dass er seinen Vater für Adolf Hitler gehalten hat.
Gutachter: Tat geschah „in geistiger Umnachtung“
Der Täter kommt in eine psychiatrische Klinik nach Whitby, wo seine Schuldfähigkeit überprüft wird. Ein mit der Familie befreundeter Anwalt sagt zur WAZ: „Das ist eine schreckliche Familientragödie. Der Junge ist schwer, schwer krank.“ Nicht mal seine Mutter habe er erkannt. „Er ist nicht auf dieser Welt.“ Zwei kanadische Gutachter bestätigen, dass er seinen Vater „in geistiger Umnachtung“ erstochen habe. Der High Court ordnet die Rückführung nach Deutschland an.
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Ende April wird er am Amtsgericht Hattingen dem Haftrichter vorgeführt. Es wird die Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie im Sauerland angeordnet. Auch das Schwurgericht bestätigt die Einweisung des wegen einer Psychose schuldunfähigen Mannes.
Die große Tragik des Todes in Toronto indes bleibt: Er hätte vermutlich verhindert werden können.
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