Gladbeck. Massive Kürzungen im sozialen Bereich: Viele Angebote in Gladbeck stehen auf dem Spiel. Das DRK rechnet mit einem sechsstelligen Defizit.

Die Tafel in Gladbeck steht vor dem Aus. Daraus macht Wilhelm Walter keinen Hehl. Der Chef des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) vor Ort warnt vor dem Ende dieses Angebotes für arme Menschen in der Stadt. Und auch der Caritasverband blickt düsteren Zeiten entgegen – kämen Kürzungen im Sozialbereich, wie sie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen plant. Auswirkungen in Gladbeck wären gravierend.

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Tausende Beschäftigte der Wohlfahrtspflege haben kürzlich in Düsseldorf gegen Kürzungen im sozialen Bereich demonstriert. Würde der Rotstift tatsächlich, wie gedacht, angesetzt, versiegte in Gladbeck eine Quelle der Hilfe für Bedürftige. Kämpft das DRK, das den mobilen Tafelladen durch die Stadt rollen lässt, ohnehin gegen die explodierende Armut bei mangelnder Finanzausstattung an. Der Ober-Rotkreuzler Wilhelm Walter sagt: „Wir wissen nicht, was wir überhaupt noch bekommen.“ Er geht für dieses Jahr insgesamt von mehr als 100.000 Euro Defizit aus.

Das Deutsche Rote Kreuz rechnet mit einem sechsstelligen Defizit

Für den Gladbecker Kreisverband sollen um die 20.000 Euro aus dem Sozialfonds des DRK-Landesverbands fließen, aber „wir haben noch keine Zusage“. Mit diesem Geld finanziert das Rote Kreuz Angebote wie den Hausnotruf. „Von den geplanten Kürzungen wäre die Tafel betroffen“, sagt Wilhelm Walter. Er berichtet: „Als wir im Jahre 2022 mit dem Tafelladen angefangen haben, sind wir noch gut mit Spenden bedacht worden. 2023 haben wir 60.000 Euro aus dem Stärkungspakt bekommen.“

In diesem Jahr sei es finanziell schon extrem eng. Bei weiteren Kürzungen gehe dem DRK viel Geld verloren, bei der Tafel wäre mit einer „Unterdeckelung von mindestens 60.000 Euro“ zu rechnen. Wilhelm Walter sagt‘s klipp und klar: „Wir rutschen in ein dickes Minus. Die Tafel ist in ihrer Existenz bedroht.“

Die Tafel Gladbeck des Deutschen Roten Kreuzes macht am Mittwoch, 03. April 2024, Station auf dem Marktplatz in Gladbeck. Im Bild: Wilhelm Walter, DRK. Foto: Thomas Gödde / FUNKE Foto Services

„Wir rutschen in ein dickes Minus. Die Tafel ist in ihrer Existenz bedroht“

Wilhelm Walter
DRK-Chef in Gladbeck

Sicher, das DRK gucke, wo es noch Geld sparen könne. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt. „Die Betriebskosten sind relativ hoch.“ Das DRK überlege sogar, „ein, zwei Fahrzeuge zu verkaufen“.

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Und mit Rückläufen – sprich: Beiträgen der Tafel-Kundschaft – ist, verständlicherweise, auch nicht wirklich ein Start zu machen. Obendrein schwinde das Spendenaufkommen. Für 2025 prognostiziert der DRK-Chef in Gladbeck wenigstens 50.000 Euro „Miese“, allein bei der Tafel. Und das bei einer immensen Aufgabe, nämlich arme Menschen in der Stadt zu versorgen und zu unterstützen. „Wir können das Problem nicht wegschieben.“ Es dürfte sogar zunehmend ins Bewusstsein der Bevölkerung treten. Denn: Bedürftigkeit und Not breiten sich, so Wilhelm Walters Erfahrung, immer stärker aus.

Arme Menschen stehen in Gladbeck Schlange, um an der Tafel Lebensmittel zu erhalten.
Arme Menschen stehen in Gladbeck Schlange, um an der Tafel Lebensmittel zu erhalten. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Der Caritasverband Gladbeck sieht ebenfalls einige seiner Angebote in Gefahr. Auch wenn „im bestehenden Haushaltsentwurf noch keine vollständige Übersicht über die Auswirkungen der Kürzungen erfasst werden kann“, wie Sprecherin Antonia Gemein sagt. Die Caritas erwarte jedoch weitere kürzende Auswirkungen „zusätzlich zu denjenigen, die bereits eindeutig hergeleitet werden können“.

Caritas Gladbeck: Schaffung weiterer Arbeitsplätze verlangsamt oder unmöglich

Und die haben es in sich, sollte es hart auf hart kommen. Die Caritas Gladbeck rechnet mit 59 Prozent weniger Mittel bei der Förderung von Maßnahmen zur beruflichen Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung. Das treffe konkret den weiteren Ausbau von Arbeitsplätzen und Arbeitsfeldern im hauseigenen Inklusionsunternehmen „Grünwerk“. Antonia Gemein erklärt: „Hier wurde bislang die Ausstattung der Arbeitsplätze gefördert. Wenn dies gekürzt wird bzw. wegfällt, wird die Schaffung neuer Arbeitsplätze mindestens verlangsamt, wenn nicht gar unmöglich.“

Nicht nur die Zukunft bei „Grünwerk“, wo 15 Menschen (allerdings nicht in Vollzeitstellen) beschäftigt sind, treibt die Caritas-Verantwortlichen um. „Auch in den Werkstätten wird die Situation schwieriger“, stellt Antonia Gemein klar. Dabei sei das Ziel des Verbands doch, noch mehr an Inklusion umzusetzen, noch mehr Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

Für die Suchtberatung der Caritas Gladbeck wird es kritisch

Streichungen würden, Wissensstand heute, noch weitere Kreise ziehen: „Abstrakt bleiben momentan noch zu erwartende Kürzungen in der Suchtberatung (- 37 Prozent) und in der gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung (- 57 Prozent).“ Die Caritas könne noch nicht festlegen, wie sich das in konkreten Zahlen auswirke. Es sei jedoch beispielsweise für die Suchtberatung kritisch: „Die Folgen des neuen Cannabis-Gesetzes werden wir in den kommenden Jahren zu spüren bekommen.“ Im Bereich „gesellschaftliche Inklusion“ könnten fehlende Gelder unter anderem Freizeitprogramme kippen.

Zukunft einiger Angebote ist fraglich

Der Bereich Kinder, Jugend und Familie bleibt gleichfalls nicht ungeschoren: „Unsere Familienberatung (Erziehungsberatung) kooperiert mit den örtlichen Familienzentren. Diese Beratungsarbeit wurde bislang gefördert und nun gestrichen.“ Wie dann noch Sprechstunden der Caritas am Standort Brauck erhalten bleiben können – Fragezeichen. „Wir müssen gucken, ob wir das noch stemmen können.“

Antonia Gemein, Sprecherin des Caritasverbands Gladbeck, am Freitag, 25. November 2022. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services

„Während wir vor Ort in nahezu allen unseren Arbeitsbereichen eine immer weiter steigende Nachfrage erleben, blicken wir auf der anderen Seite nun diesen Kürzungen entgegen. Und das in einer gesamtpolitischen Lage, in der sich die Gesellschaft immer weiter spaltet“

Antonia Gemein
Sprecherin des Caritasverbands Gladbeck

Die Förderung der Beratung für Familien mit Fluchterfahrung entfalle vollständig. Die Caritas-Sprecherin ergänzt: „Noch nicht konkret benennen können wir die Auswirkungen der Kürzungen um 53 Prozent im Bereich der Selbsthilfeförderung sowie Hilfen bei der Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen, insbesondere in der häuslichen Versorgung und Entlastung pflegender Angehöriger.“ Indirekte Konsequenzen kämen auf die Caritas ebenfalls zu: in der Finanzierung der Investitionskosten der Pflegeschulen (- 69 Prozent) „bei schon jetzt deutlichem Fachkräftemangel“.

Auswirkungen auf weitere Organisationen

Antonia Gemein zieht das Fazit: „Während wir vor Ort in nahezu allen unseren Arbeitsbereichen eine immer weiter steigende Nachfrage erleben, blicken wir auf der anderen Seite nun diesen Kürzungen entgegen. Und das in einer gesamtpolitischen Lage, in der sich die Gesellschaft immer weiter spaltet.“

Trotzdem kämpft die Caritas darum, ihrem Namen – nämlich „Nächstenliebe“ – gerecht zu werden. „Derzeit arbeiten wir beispielsweise an der Verstetigung unserer Stelle der Koordination der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe, für die keine Förderung durch Bund, Land, gemeinnützige Organisationen oder Stiftungen mehr möglich ist“, sagt Antonia Gemein.

Kundgebung in Düsseldorf, Protest gegen Kürzungen in der Freien Wohlfahrtspflege
1800 Beschäftigte des Awo-Unterbezirks Münsterland-Recklinghausen, zu dem Gladbeck gehört, protestierten in Düsseldorf gegen Einsparungen in sozialen Bereichen. © WAZ | Awo

Anders als DRK und Caritas befürchtet das Diakonische Werk Gladbeck-Bottrop-Dorsten in der Stadt keine Kürzungen. Begründung: Es sei hier nur mit dem Geschäftsbereich der Seniorenhilfe tätig, in der „die Refinanzierung meistens Bundesgesetz“ sei, stellt Verena Gigla, Leiterin des Öffentlichkeitsreferates, fest.

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Für die Arbeiterwohlfahrt (Awo) antwortet ihre Kollegin Sophia Schalthoff auf Anfrage dieser Zeitung: „In Gladbeck sind vorrangig die rebeq mit dem Standort an der Stollenstraße und das Projekt ,Stärken – Ermutigen – Perspektiven schaffen‘ (StEP) betroffen.“ Kürzungen hätten Arbeitsplatz-Abbau und Reduzierung des Angebots zur Folge.

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